d’Land: Professor Klump, Sie waren fünf Jahre lang Vizepräsident der Goethe-Universität Frankfurt und vor einem Jahr ein aussichtsreicher Anwärter auf das Präsidentenamt dort. Was gab den Ausschlag für Luxemburg?
Rainer Klump: Ich war beeindruckt, wie die Suche nach dem neuen Rektor hier organisiert wurde: sehr professionell und mit viel Sachverstand. Gereizt hat mich, eine noch junge Universität, die aber große Perspektiven hat, leiten zu können – noch dazu in einem mehrsprachigen Umfeld. Ich habe eine sehr bewusste Entscheidung für diesen Wechsel getroffen und bereue sie nicht.
Die New York Times veröffentlichte im Herbst 2012 ein Ranking der 150 weltbesten Universitäten. Dazu wurden über 2 000 Firmenchefs und Personalmanager aus der ganzen Welt befragt. Die Goethe-Universität belegte dort den zehnten Platz und war die beste Uni Kontinentaleuropas. Wie wurde sie derart beliebt?
Für die Wirtschaftswissenschaften und die internationale Vermarktung der Uni war ich damals zuständig (lacht). Nun, solche Rankings kann man immer hinterfragen. Fakt ist, dass die Goethe-Universität bis 2000 aus verschiedenen Gründen noch keinen so guten Ruf hatte. Man konnte sie aber in relativ kurzer Zeit in eine andere Liga bringen: durch Fokussierungen in der Forschung, den Ausbau von Wirtschaftskontakten und Pflege internationaler Beziehungen.
Haben Sie das in Luxemburg ebenfalls vor?
Es bietet sich an. Vielleicht sind die Voraussetzungen hier sogar noch besser, weil die Universität jung ist und neue Wege leichter beschreiten kann als eine etablierte Hochschule. Das Frankfurter Beispiel zeigt auf jeden Fall, dass sich eine Universität durch entsprechendes Management in einem überschaubaren Zeitraum neu positionieren lässt.
Vor drei Wochen waren Sie im parlamentarischen Hochschulausschuss zu Gast und sagten dort, die Strategie der Universität werde einer Revision unterzogen. Wie ist das zu verstehen?
Wir ändern sie nicht völlig, sondern bewerten sie kritisch. Das tun alle Universitäten regelmäßig. In Luxemburg ist der Zeitpunkt gerade jetzt günstig: Die Uni besteht seit gut zehn Jahren, ein neuer Rektor ist da, die Regierung hat gewechselt und der Umzug nach Belval steht an. Wir werden uns fragen, was bisher erreicht wurde und welche Ziele wir in den nächsten zehn Jahren ansteuern.
Die Universität soll, das ist sogar im Universitätsgesetz vorgeschrieben, eine Forschungsuni sein. Wo steht sie dabei Ihrer Meinung nach?
Sie hat einen ausgezeichneten Weg genommen und leistet in bestimmten Forschungsbereichen interna-tional Herausragendes – und das schon nach gut zehn Jahren. Das klappt in den beiden interdisziplinären Zentren sehr gut, dem Zentrum für Sicherheit im IT-Bereich und dem Luxembourg Centre for Systems Biomedicine. Europäisches Recht ist ein weiterer Vorzeigebereich. Und: Die Computerwissenschaften geben wichtige Impulse auch in andere Bereiche hinein. Luxemburg ist in diesen Gebieten auf der internationalen Landkarte angekommen und gerade für junge Forscher ein interessanter Ort. Das beeindruckt mich, das will ich weiterentwickeln.
Würden Sie, als Volkswirt und früherer Vizepräsident für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften der Uni Frankfurt, die Fakultät für Wirtschaft, Recht und Finanzen in Luxemburg stärken?
Ich habe mich gestern (Mittwoch, den 18. März, d. Red.) mit dem Finanzminister intensiv über die Forschung im Finanzwesen unterhalten. Die Luxembourg School of Finance ist ja schon ein prio-ritärer Bereich. Weil ich das Gebiet gut kenne, werde ich persönlich mithelfen, dass unsere Strategiediskussion erörtert, wie wir auf neue Entwicklungen im Finanzbereich von der Forschungsseite her reagieren können.
Generell werde ich versuchen, und das ist ein Teil der Strategieüberlegungen, die Forschung an der Uni in den Bereichen zu entwickeln, die für das Land und die Regierung in der wirtschaftlichen Entwicklung prioritär sind: Biotech, ICT und Materialwissenschaften, aber auch Finanzen. Und wir reden gerade darüber, ob wir die Logistik stärken können und den Bereich Sustainability. Der ist sehr breit und reicht vom nachhaltigen Bauen bis in die Sozialwissenschaft. Es gibt, das ist mein Eindruck nach zehn Wochen Amtszeit, unglaublich viele intellektuelle Kapazitäten an der Universität. Der Strategieprozess soll sie bündeln und klären, wo man eventuell noch aus- und aufbauen muss.
Haben Sie den Eindruck, dass die Uni unabhängig genug forschen kann?
Sie meinen, unabhängig von der Politik, der Wirtschaft?
Von beiden – wenn Sie sagen, die Forschung an der Uni solle den wirtschaftlichen Prioritäten der Regierung folgen.
Moderne Universitäten im 21. Jahrhundert sind keine Elfenbeintürme. Das ist gut so. Die Studenten kommen aus allen Bereichen der Gesellschaft, Doktoranden aus der ganzen Welt. Weil die Universität auf vielfältige Weise eingebunden ist in Wirtschaft und Gesellschaft, soll sie mit der allgemeinen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung mitleben. Dadurch setzt sie sich mit dem Land, der Wirtschaft, der Gesellschaft auseinander und gewinnt Impulse für die Forschung und die eigene Weiterentwicklung.
Das klingt aber, als wäre freie Forschung nicht möglich.
Es ist die Aufgabe des Universitätsmanagements, die Grenzen zu definieren, in denen freie Forschung stattfindet. Die Aufgabe stellt sich immer wieder neu, auch hier. Ich sehe jedoch bisher keine Indizien dafür, dass das nicht möglich wäre. Speziell ist natürlich, dass wir die einzige Uni im Land sind. Jeder schaut auf uns. Das ist ein Vorteil; wir wollen ja vernetzt sein. Man muss aber im Dialog mit der Wirtschaft und der Gesellschaft bleiben. Was übrigens einen Großteil meiner bisherigen Arbeit ausgemacht hat: Ich bin Menschen und Institutionen begegnet, die ein Interesse an uns haben. Ich habe ausgelotet, welche Interessen das sind, habe unsere Sicht erklärt und klargemacht, in welchen Bereichen die Universität ihre Autonomie braucht. Ein grundsätzliches Problem dafür sehe ich nicht.
Dem parlamentarischen Hochschulausschuss haben Sie gesagt, Sie möchten die Universität stärker im Land verankern. Warum ist das nötig?
Ich meine, die Uni ist bekannt im Land und wird als wichtiger Akteur verstanden. Ich würde mir aber wünschen, dass man noch etwas stolzer ist auf das, was sie heute schon für Luxemburg leistet, und noch besser wahrnimmt, wie groß ihre Rolle für die Zukunft des Landes ist. Das ist eine sehr zentrale Rolle: Die Universität wurde gegründet als ein Zeichen, als ein Motor für das neue Luxemburg, das auf die Wissensgesellschaft hin orientiert ist. Die Uni spielt diese Rolle, sie hat viele exzellente Wissenschaftler angezogen, aber im öffentlichen Bewusstsein ist das noch nicht so angekommen. Ich finde es zum Beispiel verwunderlich, dass kürzlich in der Presse mit einem Pariser Professor darüber diskutiert wurde, ob ein Land eine „digitale Universität“ benötigt, aber unerwähnt blieb, dass die Uni Luxemburg das schon seit zehn Jahren ist. Also: Mir wäre wichtig, dass man wahrnimmt, welche Kapazitäten bereits aufgebaut wurden und dass die Uni sich damit auch international positioniert. Man kann sie, auch im Interesse des Landes, sehr selbstbewusst als ein Symbol des neuen Luxemburg bekannt machen. Weshalb auch die Kommunikation ein Thema unserer Strategieüberlegungen sein wird.
Meinen Sie, dass die Universität, wenn sie im Land wahrgenommen wird, in erster Linie als Forschungseinrichtung verstanden wird oder als Hochschule?
Im Moment kann ich das nur anekdotisch beantworten. Universitäten sind ganz vielfältige Einrichtungen. Sie sind Zentren und Motoren eines nationalen Wissenschaftssystems gerade weil sie so vielfältig sind. Die Uni ist die größte Forschungseinrichtung im Land, aber sie verknüpft das mit der Lehre und zuweilen sogar mit Wirtschaftsaktivitäten. Das ist etwas Besonderes. Unterschiedliche Gruppen außerhalb der Uni sehen in der Regel nur ein Element: die Forschung, die Lehre, die Spin-off-Aktivitäten. Wichtig wird sein, auch für mich als Rektor, deutlich zu machen, dass die Universität all diese Elemente integriert und entwickelt.
Die Universität hat seit ihrer Gründung den Anspruch, in den Forschungsprioritäten exzellent zu sein. Aber als Hochschule, zumal als einzige im Land, muss sie auch in Bereichen lehren, die für die Forschung nicht prioritär sind. Wie sichert man dort eine hochwertige Lehre durch eine hochwertige Forschung ab? Man muss sich das ja leisten können. Gerade in Zeiten angespannter Haushaltslage.
Auch an anderen Universitäten wird nicht jedes Fach von Nobelpreisträgern gelehrt ...
Sicher nicht. Aber der nationale Forschungsfonds FNR zum Beispiel will Doktoranden-Stipendien mittelfristig nicht mehr individuell, sondern im Block an Doktorandenschulen vergeben. Die Ausbildung dort soll Kriterien genügen, zu denen neben der Priorität für FNR und Regierung auch der „Nutzen“ der Forschungsarbeit zählt, die mit der Dissertation verbunden ist.
Das sind für mich zwei verschiedene Fragen. Mit dem Forschungsfonds haben wir einen guten Kompromiss gefunden: Für bestimmte Bereiche, die für den FNR von Bedeutung sind, gibt es diese Block-Stipendien, aber daneben immer noch Gebiete, in denen allein die Qualität der Forschung entscheidet. Das ist für uns ganz wichtig. Luxemburg muss, wenn es eine allgemeine Forschung will, eine Forschungsförderung zulassen, die sich nicht nur nach dem Gebiet und dem Nutzen richtet, der damit verbunden wird, sondern nach der Qualität des jeweiligen Projekts. Auch wegen der Beteiligung an EU-Programmen: Bewirbt ein Wissenschaftler sich darum, wird immer gefragt, wie viel aus nationalen Töpfen fließt. Wir haben an der Universität zum Beispiel hervorragende Mathematiker, die auf europäischer Ebene sehr erfolgreich sind. Wir würden ihnen jede Möglichkeit nehmen, sich dort weiterhin zu bewerben, wenn wir sie vom nationalen System ausschlössen, Forschungsmittel einzuwerben.
Zu der anderen Frage: Weil eine Uni so breit ist, gibt es immer Bereiche, in denen kein Nobelpreisträger lehrt – um es mal so zu formulieren. Entscheidend ist dann die Kultur, die man in der Institution insgesamt schafft. Eine Kultur, die die Forschung und die Qualität der Forschung hochhält und darauf Wert legt, dass die Forschungsergebnisse so in die Lehre einfließen, dass junge Menschen zum Lernen motiviert werden. Das muss man aufbauen. Das geht über eine Berufungspolitik, in der man auf die Qualität der Forschung achtet – wir diskutieren beispielsweise mit dem Aufsichtsrat der Uni derzeit über unsere Qualitätskriterien bei der Rekrutierung von Professoren. Man macht es zweitens mit der Ausgestaltung der Doktorandenschulen, das wollen wir dieses Jahr abschließen. Und man motiviert die Postdoktoranden für Neues. Eine Forschungsuniversität muss Neugier und Freude am Forschen vermitteln.
Trotz budgetärer Zwänge.
Das ist nicht nur eine Frage des Budgets. Ich bin zum Beispiel überzeugt, dass man durch Entwicklung der Forschungskultur neue Sponsoren findet. Die Mittel, die wir haben, müssen wir natürlich ebenfalls entsprechend einsetzen. Da Sie das Budget anschneiden: Ich bin in der glücklichen Lage, dieses Jahr über ein höheres Budget zu verfügen als 2014. Dadurch konnten wir darüber nachdenken, welche Zügel wir lockerer lassen. Mit den Fakultäten beraten wir, welche neuen Doktorandenstellen wir schaffen, im nächsten Aufsichtsrat werden wir neue Professuren zur Ausschreibung vorschlagen. Das Signal lautet: Die Uni wächst weiter, sie kann weiter expandieren. Man wird natürlich sehr genau schauen, wo die Mittel investiert werden.
Die Regierung hat ja gesagt, bis Ende dieses Jahres soll die Uni mit den öffentlichen Forschungsinstituten in bestimmten Bereichen gemeinsame Strategien entwickeln; danach könnten die Budgets aller Beteiligten eventuell erhöht werden. Wie kommt man da voran?
Das sind zwei Pisten. Die Koordinierung der Strategien kommt gut voran. Wir stimmen uns in den nationalen Prioritätsbereichen ab. Das Gesprächsklima ist gut. Der neue Direktor des Luxembourg Institute of Science and Technology wird zu der Runde noch hinzustoßen. Ein erstes, sehr konstruktives Gespräch mit ihm hatte ich schon. Wir reden mit den Forschungsinstituten darüber, Infrastrukturen gemeinsam zu nutzen, gemeinsame Projekte anzugehen, aber auch, und das ist interessant, eventuell gemeinsame Berufungen vorzunehmen. Also Leute einzustellen, die dann eine Funktion sowohl an der Uni als auch in den Instituten innehätten. Diese Formel kenne ich aus Deutschland. Sie war dort extrem wichtig, um gewisse Befindlichkeiten im Umgang miteinander zu überwinden. Treten die Leute stärker in Kontakt miteinander, verbessert das den Umgang der Institutionen untereinander.
Die Frage des Budgets nach 2015 ist unabhängig von diesen Absprachen. Wir haben das mit der Regierung angeschnitten, in die weitere Diskussion werden Elemente unseres Strategieprozesses einfließen. Bislang wurde uns kommuniziert, dass die Möglichkeit besteht, die Budgets der Uni auszuweiten.
Im Parlament liegt ein Entwurf zur Reform des Universitätsgesetzes. Vorgesehen ist unter anderem, den Einfluss des Rektors zu beschneiden und den Universitätsrat nicht mehr von ihm leiten zu lassen, sondern von einem aus dem Rat gewählten Präsidenten. Ihr Vorgänger Rolf Tarrach hatte sich dagegen gewehrt und das bestehende „angelsächsische Führungsmodell“ verteidigt. Wie sehen Sie das?
Eine noch so junge und in der Entwicklung befindliche Universität sollte aufpassen, dass sie sich nicht durch Überbürokratisierung lähmt. Insofern bin auch ich sehr für klare Leitungsstrukturen – was nicht ausschließt, dass man in den betreffenden Gremien sehr offen und transparent über die Universitätspolitik diskutiert. Über das Universitätsgesetz hatte ich im vergangenen Jahr mit der Regierung gesprochen. Mein Eindruck ist, dass die Überlegungen dazu im Moment ruhen. Das ist wichtig für mich, der neue Rektor sollte Zeit haben, die Uni richtig kennenzulernen. Danach könnte man über die Gesetzesrevision reden – und in diese Diskussion möchte ich mich aktiv einbringen.
Weshalb sollte mehr Mitsprache zur Bürokratisierung führen? Im Senat der Uni Frankfurt waren Sie Mitglied der Liste Universitas, zu deren hochschulpolitischen Aussagen gehörte, dass ein starker Senat die Universitätsleitung kontrollieren solle.
Ja, stimmt (lacht). Aber auch in Frankfurt ist der Präsident der Universität zugleich Vorsitzender des Senats. Ich finde es für eine Universität nicht sinnvoll, zu viele Machtzentren nebeneinander aufzubauen. Wir haben einen Aufsichtsrat mit einem Präsidenten, wir haben das Rektorat mit dem Rektor an der Spitze. Käme dazu noch der Conseil universitaire mit einem eigenen Präsidenten, müssten drei Gremien zu einer Balance finden. Das würde die Abläufe über-bürokratisieren. Ich bevorzuge ein Modell mit klarer Verantwortung des Rektorats und des Rektors. Aber wie gesagt: Das schließt überhaupt nicht aus, dass der Conseil universitaire eine wichtige Rolle spielt und in vielen Belangen um seine Meinung gefragt wird. Ich denke, in den letzten Wochen habe ich gezeigt, dass ich dieses Gremium sehr ernst nehme.