Gibt man bei Booking.com „Mullerthal“ als Suchbegriff ein, bietet einem die Hotelsuchmaschine rund 50 Resultate an. Am besten von den Gästen bewertet wurden, mit 9,6 Punkten und der Note „außergewöhnlich“ auf einer Skala von zehn, zwei Bed&Breakfast und eine Ferienwohnung. Erst dann folgt mit 9,2 Punkten das erste Hotel der Region. Knapp dahinter ist die erste Jugendherberge mit immerhin noch 9,1 Punkten und der Bemerkung „hervorragend“ platziert. Dass die Gäste die Jugendherberge so gut bewerten, ist nicht unbedingt eine Überraschung. Denn Architektur und Ausstattung sind dort zeitgenössisch und rezent, die Übernachtung im Schlafsaal kostet 24 Euro und für Familien gibt es Vierbettzimmer. Sieht man sich die Hotels an, ist dies nicht unbedingt der Fall. Gut unterhalten sind sie laut Kundenbewertungen durchaus. Aber es ist ein tristes Bild, das viele Hoteliers von ihren Geschäften präsentieren. Altmodische Einrichtungen auf unterbelichteten, wenn nicht komplett verwackelten Bildern. Dafür sind Zimmerpreise von 100 bis 200 Euro die Nacht aber keine Ausnahme. Wer ein Wochenende im Müllerthal verbringen möchte, dort mittags und abends in eines der vielen gastronomischen Lokale einkehrt, ist, ohne sich anzustrengen, 600 bis 700 Euro los. Es ist dieses Angebot, das viele der verbleibenden Hotels der Region machen, sie bieten Zimmer im Sterne-Hotel, eine qualitativ sehr hochwertige gastronomische Küche im Restaurant, dazu noch ein überdachtes Schwimmbad mit Sauna, heute Wellness genannt.
In den Achtziger- und Neunzigerjahren wurde mit diesem Konzept viel Geld verdient, wissen die Leute aus der Region. Belgische Zahnärzte und deutsche Bäcker, die ihre Coupons einlösten und ihre Zinsen in den Banken entlang der Sauer abholten, blieben im Hotel, gingen ins Restaurant, um ein wenig Schwarzgeld auszugeben, bevor sie die Grenze überquerten. Die gutbürgerliche Innenausstattung und Küche war ihrem Profil angepasst. Diese Gäste zahlten bar, so dass es sogar heute noch Hotels gibt, die keine Kreditkarten akzeptieren. Doch dann kam erst die Zinsbesteuerungsrichtlinie, dann die Finanzkrise und das Bankgeheimnis wurde abgeschafft. Die aktuelle Krise im Gaststättengewerbe im Osten und Norden des Landes ist einer der Kollateralschäden. Einerseits, weil die Kunden ausbleiben – angesichts von Ausgaben von um die 700 Euro für ein Wochenende fahren manche wohl lieber in die große, statt in die kleine Schweiz. Und andererseits, weil sich die Auflagen der Banken bei der Kreditvergabe verändert und die Betriebe nicht investiert haben.
Was im Müllerthal passiert ist, lässt sich ohne Schwierigkeit aus den offiziellen Statistiken herauslesen. Gab es 1995 noch 78 Hotels mit 1 467 Zimmern in der Region, waren es 2015 noch 35 Hotels mit 659 Zimmern, ein Rückgang um jeweils 55 Prozent. Das ist der größte Kapazitätsverlust im Vergleich aller Regionen im Land. Zudem macht Sandra Bertholet vom Regionalen Tourismusbüro (ORT) darauf aufmerksam, dass die Hotelbetriebe recht klein waren und es auch geblieben sind: Die Durchschnittszimmerzahl hat sich in den vergangenen 20 Jahren nicht verändert und liegt bei 19 Zimmern.
Was das bedeutet, erklärt Robert Hein vom Romantikhotel Bel Air in Echternach. Für seinen Betrieb mit 38 Zimmern, Restaurant, Piano-Bar, Wellness mit Massage-Angebot, Tennisplatz und Parkanlage braucht er 24 Leute Personal. Allein die Heizkosten fürs Schwimmbad belaufen sich auf tausende von Euros jährlich. Seit er das Hotel 2013 übernommen hat, hat er drei Millionen Euro investiert. Er hat unter anderem die Schwimmbadbeleuchtung erneuert. Eine Unterwasser-Glühbirne kostet 11 000 Euro, berichtet er. Um die Kosten zu decken und einen Gewinn zu erwirtschaften, muss er die Zimmer zum Preis von 134 Euro die Nacht vermieten, sonst legt er Geld drauf. Dabei ist der Konkurrenzdruck hoch, keine 500 Meter neben seinem Etablissement befindet sich das Grand Hotel, das bei einer vergleichbaren Zimmerzahl ebenfalls ein Panorama-Hallenbad mit Spa-Bereich anbietet. Im Alltag führt das dazu, dass sich die Hotels auf den Buchungswebseiten preislich unterbieten, bis runter auf unter 90 Euro die Nacht. Darauf wird dann noch eine Kommission von rund 15 Prozent fällig und die Rentabilität stimmt definitiv nicht mehr.
Dass es einen Investitionsstau gibt, bestätigt Sandra Bertholet vom ORT. Bertholet und Hein führen das auch auf die Finanzkrise, beziehungsweise die strengen Solvenzregeln zurück, denen die Banken seither unterliegen. Wegen der hohen Insolvenzrate im Gaststättengewerbe, erklärt Robert Hein, den vielen Cafés und Restaurants, die wenige Monate nach der Eröffnung wieder schließen, habe die Branche bei den Banken keinen guten Ruf. Der Bankier, mit dem man jahrelang zusammengearbeitet habe, dürfe aufgrund der neuen Regeln zur Berechnung des Ausfallrisikos keinen Kredit gewähren, auch deshalb sei die Ausstattung der Hotels in der Region mitunter recht altmodisch. Andere Beobachter sehen dafür noch andere Ursachen. Da ist einerseits das Generationenproblem. Viele der Hotelbetreiber, in der Hotelfachschule in Diekirch ausgebildet, stünden kurz vor der Pensionierung. Ihre Kinder, sagt Hein, wollen angesichts der Rentabilitätsraten und ungewisser Zukunftsaussichten nicht unbedingt ins Geschäft einsteigen, zumal ihnen das Steueramt bei der Betriebsübernahme gleich eine größere Rechnung zukommen lasse. Da wäre es, bei Hotels innerhalb des Bauperimeters einträglicher, den Betrieb in Mietwohnungen umzubauen, sagt Bertholet. Ein anderer Branchenkenner, der nicht genannt werden will, weist auf die ehemalige Kundschaft von Steuerhinterziehern und den Ursprung der Einnahmen hin. Hätten die Hoteliers groß renoviert und investiert, sagt er, hätte vielleicht jemand nachgefragt, woher das Geld kommt, was die Eigentümer in Erklärungsnot gebracht hätte.
So ist die Zahl der Übernachtungen in Hotels, Herbergen und Pensionen im Müllerthal in den vergangenen 20 Jahren von 113 000 auf 54 690 um über die Hälfte gefallen. 80 Prozent der Übernachtungen in der Region gehen auf die Campingplätze zurück, sagt Bertholet. Auch Campingplätze gibt es weniger als früher. Doch sie haben sich angepasst, stellen den Kunden fertige Holzhäuschen, sogenannte Pods zur Verfügung, damit sie von der kostbaren Urlaubszeit möglichst wenig mit dem Aufbau seiner Unterkunft aufwenden müssen. Denn die wenigsten Gäste bleiben länger als ein paar Tage im Müllerthal, erklärt Robert Hein. Die Region sei eher Ziel des zweiten oder dritten Kurzurlaubs im Jahr. Auch deshalb gehe die Zahl der Übernachtungen zurück. Für 700 Euro, bemerkt Joe Nilles, Geschäftsführer im Hotel Trail Inn in Berdorf, das ebenfalls der kaufmännischen Familie Hein gehört, könne man heute eine Woche nach Ägypten fahren. Dank Billigflügen und Pauschalangeboten haben sich die Reisegewohnheiten der Gäste insgesamt verändert und der Schießentümpel konkurriert mit den Pyramiden.
Sowohl das Bel Air wie das Trail Inn gehören zu den acht Hotels, die einen Dreijahresvertrag mit dem Start-Up Regiôtels von Gergory Tugendhat unterzeichnet haben. Tugendhat ist Direktor der Hotelgruppe Goeres und hat bei großen Hotelgruppen wie Accor in aller Herrenländer langjährige Erfahrungen gesammelt. Mit seiner Firma will er den im Vertrieb in den Neunzigern steckengebliebenen Betrieben helfen, den technologischen Sprung ins 21. Jahrhundert zu schaffen. Gegen 15 Prozent Kommission auf den Übernachtungen nimmt er ihnen das Marketing ab, gestaltet Webseiten neu, führt Computer-Programme zur Koordination der Buchungen quer hinweg über alle Verkaufskanäle ein. Die Hotels bezahlen dann nur noch ihm eine Kommission, die Kosten zur Weitervermarktung übernimmt er. Die Instrumente, die Tugendhat anbieten will, sind bei größeren Hotelketten Standard. Sein Konzept ist vor allem deshalb innovativ, weil er mehrere kleine Firmen föderiert, die sich diese Instrumente sonst nicht leisten könnten. So hoffen die Beteiligten am Projekt, das von der Regierung über verschiedene Förderprogramme rund eine Million Euro Unterstützung erhalten soll, die Zahl der Übernachtungen wieder steigern zu können. Für Robert Hein, der aus eigener Kraft eine Auslastungsrate von 67 Prozent erreicht hat, geht es aber vor allem auch darum, einen besseren Zimmerpreis zu erzielen. Er hat sich und Tugenhat eine untere Grenze gesetzt, die nicht unterschritten werden soll. Auch wenn die Konkurrenz 500 Meter weiter nicht bei der Initiative dabei ist und ihn unterbieten kann.
Caroline Gierten vom Hotel Meyer in Beaufort findet die Initiative Regôtels nicht per se schlecht. Doch vor zwei Jahren, sagt sie, hat der Betrieb, den sie gemeinsam mit ihrem Mann führt, selbst um die 30 000 Euro in ein Programm zur Verwaltung der Buchungen investiert, deshalb ergibt ein Vertrag mit Regôtels ihrer Ansicht nach zu diesem Zeitpunkt keinen Sinn. Sie würden sonst zweimal für die gleiche Dienstleistung zahlen, findet sie. Und dadurch, wie sie mehr oder weniger deutlich zu verstehen gibt, auch noch die Konkurrenten querfinanzieren, denen jetzt mit staatlichen Mitteln geholfen werde, Investitionen nachzuholen, die sie in ihrem Betrieb aus eigener Initiative und Kraft gestemmt haben. Außerdem, sagt sie, habe das Hotel weiterhin eine ganze Reihe von Buchungen, die direkt eingehen, Kunden die seit Jahrzehnten kommen. Warum sollte sie auf deren Übernachtungen eine Kommission an Regiôtels abgeben?
Joe Nilles vom Trail Inn erwartet sich, dass diese Art Konkurrenzdenken durch die Initiative Regiôtels abnimmt. Das Hotel ist ein Beispiel dafür, wie sich ein Betrieb der veränderten Nachfrage anpasst. Die Ausstattung im Trail Inn ist einfach, korrekt und ohne Firlefanz. Es gibt keinen Sauna-Bereich und kein Wellness. Dafür leitet Nilles aber auf Nachfrage Mountainbike- und Wandertouren durch das Müllerthal. Die Ausrüstung dafür organisiert er den Gästen bei der lokalen Beschäftigungsinitiative. Der Müllerthal-Trail, darauf ist Sandra Bertholet stolz, ist einer von nur rund einem Dutzend als besonders ausgezeichnet geltenden Wanderwegen in Europa. Und er zieht jedes Jahr mehr Wanderer an, 2016 110 000. Es ist dies Art von Touristen, auf die das Trail Inn ausgerichtet ist. Sie brauchen ein ordentliches Bett, ein gutes Frühstück und eine Lunchbox – zwei Brote, ein hartgekochtes Ei, Obst und Wasser für acht Euro – für unterwegs.
Was sie nicht brauchen, ist ein Fünf-Gänge-Menü, das stundenlanges Verharren am Tisch verlangt und sie vom Wandern abhält. Die Terrasse vor dem Trail-Inn an der Hautkreuzung in Berdorf ist unter der Woche auch nachmittags voll besetzt und es herrscht Biergartenstimmung. Nilles hat festgestellt, dass viele Wanderer, die am späten Morgen losziehen, nachmittags gegen drei oder vier Uhr essen wollen. Seine Küche ist deshalb durchgehend geöffnet, allerdings die einzige in der Gegend, die hungrigen Wanderern um diese Uhrzeit etwas bietet. Für ihn ist das Müllerthal mit seinen Wander- und Fahrradwegen als Touristenziel klar definiert, die Zielgruppe die aktive Bevölkerung, die weder Babys versorgt, noch Gehhilfen braucht und einige Tage in der Natur verbringen will, egal ob das Wetter gut oder schlecht ist. Diese Gäste, das weiß auch er, geben weniger Geld aus als die Kundschaft von früher, aber wenn man sich darauf einstelle, kämen sie. Und nicht nur die: Er empfängt neben Mountainbike-Fahrern auch Geschäftsleute, die in Echternach Betriebe besuchen, oder solche, die in der Hauptstadt kein Zimmer mehr bekommen haben. Auch Geschäftsreisende werden aus Budget-Gründen eher in sein Hotel als ins Vier-Sterne-Etablissement gebucht, berichtet er, die Distanz bis in die Hauptstadt spiele bei ausländischen Gästen kaum eine Rolle. Dass das Hotel- und Gaststättengewerbe im Müllerthal unumkehrbar zum Niedergang verdammt wäre, wie es die Statistiken und die sehr mediatisierte Schließung mancher Traditionshäuser vielleicht vermuten ließen, stimmt demnach nicht. Wer will, kann also durchaus Kundschaft finden.