Germanen sind nicht für überbordende Lebensfreude bekannt. Noch nie wurden so viele Porsche, BMW, Mercedes und Audi verkauft wie 2012. Wird dieser neue Rekord gefeiert? Jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Lieber machen die Konzernlenker düstere Prophezeiungen. „So viel ist sicher: Das Jahr 2013 wird hart“, warnte im Dezember Volkswagen-Chef Martin Winterkorn. Daimler-Boss Dieter Zetsche stimmte auf ein „herausfordernderes Umfeld“ ein. Porsche-Vorstand Matthias Müller unkte, der Zusammenbruch Südeuropas werde auch die deutsche Oberklasse nicht verschonen. Alle Premiumhersteller betonen aber, sie seien heute viel besser auf Krisen vorbereitet als vor fünf Jahren.
Wie damals sind Kostensenkung und Risiko-Abwälzung die Mittel der Wahl. Daimler zum Beispiel hat das Sparprogramm Fit for Leadership aufgelegt, mit dem in diesem Jahr eine Milliarde Euro eingespart werden soll. Der Druck wird an die Zulieferer weitergegeben, die ihrerseits Lieferanten in die Mangel nehmen. Der Getriebehersteller ZF etwa will in den nächsten zwei Jahren 500 Millionen Euro im Einkauf sparen. Diese Strategie könnte kurzsichtig sein: Immer mehr deutsche Autozulieferer geben auf – und verkaufen ihr Knowhow nach Fernost. Chinesische Firmen übernahmen zum Beispiel Saargummi, den Oberflächenspezialisten Sellner und den Sensorenhersteller Preh. Kiekert, der Weltmarktführer für PKW-Schließsysteme, gehört nun zu China North Industries.
Auch aus den Produktionsprozessen lässt sich immer noch mehr rausholen. Module, also baugleiche Komponenten für verschiedene Automodelle, erlauben höhere Stückzahlen bei niedrigeren Preisen. So werden zum Beispiel im Volkswagen-Konzern Teile zwischen den Modellen VW up!, Seat Mii und Skoda Citigo ausgetauscht. Die neue Baukastentechnologie soll bei VW die Kosten der PKW-Fertigung um 20 Prozent senken. Bei BMW werden auch die Werke selbst zunehmend modular aufgebaut: Wenn es in einem Land nicht gut läuft, soll eine Produktionseinheit einfach in ein anderes Werk gebracht werden.
Verstärkt kooperieren Hersteller. Renault baut für Daimler die neue A-Klasse von Mercedes: Citan und Kangoo sind baugleich. Demnächst sollen auch Smart und Twingo auf gemeinsamen Plattformen entstehen. Daimler fertigt Motoren für die zu Renault-Nissan gehörende Nobelmarke Infiniti. BMW liefert Motoren an Toyota und entwickelt mit den Japanern Batterien. Eine Allianz von BMW mit Peugeot-Citroën zur Entwicklung von Elektroantrieben platzte dagegen nach dem Einstieg von General Motors bei den Franzosen. Eine engere Zusammenarbeit der deutschen Hersteller kam über Planspiele gar nicht erst hinaus; nur in geringem Umfang kaufen BMW und Daimler gemeinsam ein.
Wie können ohne Kündigungen und Knowhow-Verlust Lohnkosten gesenkt werden? Während der Krise 2008/09 hatten deutsche Autofirmen in großem Stil auf „Kurzarbeit“ gesetzt, also Verringerung der Arbeitszeit bei Übernahme eines Teils des Lohns und der Sozialabgaben durch die Arbeitslosenversicherung. Die Gewerkschaft IG Metall fordert, dieses Instrument jetzt wieder einzusetzen und die Kurzarbeit von sechs auf 24 Monate zu verlängern. Die Bundesregierung sieht aber „keinen Grund für Hektik“ und gestattet vorerst nur bis zu zwölf Monate. „Geprüft“ werde noch, ob Kurzarbeit auch für die rund 100 000 Leiharbeiter in der deutschen Autoindustrie eingeführt werden kann, die zu schlechteren Bedingungen arbeiten als die 740 000 direkt Angestellten.
Bislang ist Kurzarbeit in Deutschland kein großes Thema: 2012 schickten Opel, Ford und Bosch Arbeiter für wenige Tage nach Hause. Bei Audi, Porsche und Daimler gab es dagegen zusätzliche Schichten. Seit Januar sind nun allerdings bei MAN 5 300 Lastwagenbauer in Kurzarbeit. Als Kandidaten dafür gelten auch die Arbeiter des VW-Werks in Emden, die schon am 13. Dezember in die Weihnachtsferien gingen, weil die Passat-Firmenwagen schlecht laufen.
Flexibilität ist das Zauberwort der Krisen-Pläne. BMW hat mit den Gewerkschaften „strategische Flexibilität“ vereinbart, um einen Absatzeinbruch von bis zu 20 Prozent aufzufangen. Bei Flaute können nun die Arbeiter bis zu fünf Wochen in den Urlaub geschickt werden; für Dreischichtbetrieb werden keine zusätzlichen Mitarbeiter eingestellt und ein Teil der Erfolgsprämie wird auf Arbeitszeitkonten ausgezahlt. Im Gegenzug sollen die Jobs der Stammbelegschaft bis 2017 sicher sein, und von den derzeit 12 000 Leiharbeitern werden 3 000 fest angestellt.
Bei der VW-Tochter Porsche wird die Wochenarbeitszeit der 6 000 Band-Arbeiter im Stammwerk von 35 auf 34 Stunden gekürzt, bei vollem Lohnausgleich, aber ohne zusätzliches Personal. Dafür darf Porsche Ingenieure bei Bedarf 40 Stunden beschäftigen – bekommt also mehr Flexibilität bei Forschung und Entwicklung. Der Gewinn von Porsche wird pro Sportwagen auf fast 17 000 Euro geschätzt. Von Januar bis November 2012 wurden 129 000 Porsches verkauft; bis 2018 sollen es pro Jahr 200 000 werden. Für 2013 erwartet Porsche, dass sich der Zuwachs abschwächt. Trotzdem wird die Zahl der Lehrlinge von 100 auf 150 erhöht.
Gregor Pillen von der Unternehmensberatung IBM Global Business Services schwärmt von den vorausschauenden deutschen Managern: Im Gegensatz zu anderen Europäern hätten sie „ganz bewusst in Krisenzeiten einen kühlen Kopf bewahrt und ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung stabil hoch gehalten oder sogar noch stärker investiert“.
Der Volkswagen-Konzern versprach im November, bis 2015 mehr als 50 Milliarden Euro zu investieren, davon zwei Drittel in Deutschland. „Wir wollen nicht, dass Europa ein Armenhaus wird“, erklärte VW-Chef Winterkorn: „Wir stehen dazu, dass wir in Europa Beschäftigung sichern.“ Ehrlicher klingt da schon die Ankündigung von BMW-Finanzvorstand Friedrich Eichinger, man werde „künftig mehr und mehr dort produzieren, wo das Wachstum stattfindet“. Tatsächlich bauen alle deutschen Hersteller gerade neue Werke in Schwellenländern und in den USA. Für China hat Daimler neuerdings sogar einen eigenen Vorstand, weil 2012 dort „nur“ 196 000 Mercedes verkauft wurden – ein Plus von 1,5 Prozent –, dagegen 405 000 Audis (+30 Prozent) und 326 000 BMWs (+40 Prozent).
In Europa erwarten die deutschen Hersteller bestenfalls Stagnation. Hier tobt eine Rabattschlacht: Der neue Golf 7 von VW war bereits zum Verkaufsstart mit 18 Prozent Nachlass erhältlich. Ein Drittel aller Neuzulassungen in Deutschland ist „taktisch“: Hersteller oder Händler melden Autos einen Tag auf eigenen Namen an – für die „Gebrauchtwagen“ sind dann locker 20 Prozent Rabatt drin. Um das zu überleben, ist hilfreich, dass Sparer den Banken von VW, Daimler und BMW allein im ersten Halbjahr 2012 mehr als 20 Milliarden Euro anvertrauten. Im Herbst mussten diese Konzerne für Kredite nur zwei Prozent Zinsen zahlen (dagegen Fiat 7,7 Prozent und PSA 8,5 Prozent). Besonders VW nutzte die Gelegenheit und besorgte sich als größter Anleihe-Emittent Europas mehr als neun Milliarden Euro.
Autos zu verleasen, ist ein riskantes Spiel: 2008 verlor BMW dabei mehr als 1,9 Milliarden Euro. Heute können viele Südeuropäer die Raten nicht mehr zahlen. Die Restwerte seien nun vorsichtiger kalkuliert, beruhigen die Autobanken. VW möchte in Westeuropa den Anteil von geleasten und kreditfinanzierten Fahrzeugen von derzeit 35 auf 40 Prozent steigern. Die Finanztochter von Daimler, die für 2,7 Millionen Fahrzeuge Verträge über 77 Milliarden Euro in den Büchern hat, will das Volumen bis 2020 verdoppeln.
Überhaupt sind die Ziele ambitioniert. VW will bis 2018 größter Autohersteller der Welt werden; 2013 soll mit 9,4 Millionen Fahrzeugen General Motors überholt werden. Die VW-Tochter Audi möchte bis 2020 mehr als zwei Millionen Autos pro Jahr verkaufen und damit BMW ablösen. Bis dahin will Daimler den Absatz von 1,4 Millionen Wagen auf 2,6 Millionen steigern und an Audi und BMW vorbei zur Nummer Eins im Oberklasse-Segment aufsteigen. BMW wiederum will die Marktführerschaft behaupten und im Jahr 2016 seinen 100. Geburtstag mit mehr als zwei Millionen verkauften BMW, Mini und Rolls-Royce feiern. Falls nicht ein Crash einen Strich durch die Rechnungen macht. Oder die Chinesen.