Was bringt eine Friseurin mit Meisterbrief dazu, sich zur Autohändlerin umschulen zu lassen und ein Geschäft zu eröffnen, das ganz auf US-amerikanische Autos spezialisiert ist? „Leidenschaft“, sagt Lydie Bové. „Ich habe immer amerikanische Autos gefahren, mein Mann auch. Der rosafarbene Cadillac zum Beispiel, der in Andy Bauschs Troublemaker II zu sehen war, das war unserer.“
Wer beim „rosafarbenen Cadillac“ stutzen musste, hat ganz Recht. Bei Lydie Bové gibt es weder jene neuen Serien-Cadillacs, die General Motors für den europäischen Markt konzipiert hat, um mit den Oberklasse-Karossen von BMW, Mercedes und Audi zu konkurrieren, aber dabei einfach keinen Fuß auf den Borden bekommt, obwohl die klobigen Vehikel technisch gar nicht schlecht sind. Noch die gezähmten Chevrolets, die dem Effizienzdenken des 21. Jahrhunderts geschuldet sind, noch die Chryslers, die seit der Fusion ihres Herstellers mit dem Fiat-Konzern als Lancias verkauft werden. Bové handelt mit den „richtigen“ US Cars, seit nunmehr 20 Jahren schon. Mit solchen Autos, bei deren Anblick einem auch heute noch der Gedanke von der unbeschränkten Freiheit den Kopf zu verdrehen vermag.
In dem großen Hangar am Ortsausgang von Biwer stehen gleich ein paar Exemplare dieser Gattung Auto. Ein Continental Mark IV von Fords Nobelmarke Lincoln beispielsweise, Baujahr 1974. Fast sechs Meter lang, mit besonders ausladender Motorhaube und kurzer Heckpartie, wie das damals Mode war, und mit einem Kühlergrill, der an einen Rolls-Royce erinnert. Der blitzblanke Innenraum lockt mit nussbraunen Ledersitzen, denen man ihre fast 40 Jahre nicht ansieht. „Das ist sozusagen eine Präsidenten-Limousine“, erklärt Lydie Bovés Ehemann Mike, der im Geschäft mithilft. Aber eigentlich sei der Continental Mark IV schon ein Opfer der Ölkrise der Siebzigerjahre gewesen: Sein 7,5 Liter V8-Motor „hat nur 223 PS. Das Vorgängermodell, der Mark III, brachte es auf fast 400 PS“.
Ein paar Schritte weiter ist ein anderer Schlitten geparkt, der unwillkürlich an ältere Hollywood-Filme denken lässt: ein weißes Ford LTD Cabrio Baujahr 1971 mit einem 6,9 Liter Big-Block-V8-Motor. „Der ist selten in Europa“, weiß Mike Bové. Der ebenfalls knapp sechs Meter lange LTD ist auch sehr gut erhalten. Die Bovés bieten ihn für 17 000 Euro an, den Mark IV für 15 000. Ob sie für die Preise ihren Käufer finden? „Weshalb nicht, das sind Liebhaberstücke.“
In erster Linie aber handelt Lydie Bové mit Neuwagen. Auch wenn ihr Geschäft, das sich noch bis Ende vergangenen Jahres in Gonderingen befand, an jene amerikanischen Second hand-Märkte erinnerte, die man aus Filmen kennt, in denen jemand dem Verkäufer ein Bündel Dollar-Scheine reicht und dann mit einem Riesen-Gefährt davongleitet. Der Parkplatz mit den vielen Autos, vom Pick-up bis zum Cabrio, war gut zu sehen, wenn man auf der Nationalstraße von Luxemburg-Stadt Richtung Junglinster fuhr. Mit dem Umzug nach Biwer im Dezember verlagerte sich der Markt indoor. Die ehemalige Wassermühle, in der Lydie Bové nun ihr Geschäft betreibt, ist noch im Ausbau begriffen. Manche Wände wollen noch verkleidet und verschiedene US-Memorabilien, wie der hölzerne Cop, der mit seiner rechten Hand ans Pistolenhalfter langt, noch an ihren endgültigen Platz gerückt werden. Der Büroraum der Geschäftsführerin aber steht schon: ein ausgebauter Baustellenwagen, mitten in dem großen Hangar. „Den habe ich“, erzählt Lydie Bové, „den Ponts et Chaussées abgekauft.“
Mit ihrem Geschäft handelt die energische Dame nicht nur mit exotischen Autos. Sie ist auch eine Exotin unter den Autohändlern hierzulande. Während diese per Konzession mit einer oder mehreren Marken verbunden sind und ihre Autos entweder über in Belgien ansässige Belux-Importeure beziehen oder von den wenigen heimischen Importeuren, führt Lydie Bové ihre Ware selber ein und nimmt an Marken und Modellen, was der nordamerikanische Markt gerade hergibt. Das hat sie schon immer getan. Der Weg dahin sei „abenteuerlich“ gewesen, denn ihr Geschäft setzt Verbindungen zu Vetrieben in den USA und Kanada voraus. Heute arbeitet Bové mit einem einzigen Partner zusammen. „Den Kontakt erhielt ich zufällig im Hafen von Antwerpen, wohin ich meine Ware damals verschiffen ließ. Da steckte mir jemand einen Zettel zu.“ Der Kontakt erwies sich als Volltreffer: „Mein Partner hat Zugang zu einem nordamerikaweiten Netz. Ich erhalte dadurch quasi jedes Modell und auch Sonderangebote.“
Wer bei Lydie Bové einen Neuwagen kaufen möchte, muss wissen: Einen Katalog gibt es nicht, sondern eine begrenzte Zahl von Fahrzeugen, die sie auf Lager hat. Was sie nicht auf Lager hat, beschafft sie in Amerika, je nachdem, was ein Kunde will. Katalogpreise gibt es dadurch auch nicht, sondern Dollar-Preise. Hinzu kommen, neben der Gewinnspanne für die Händlerin, die Transportkosten und die Transportversicherung sowie zehn Prozent EU-Importsteuer und 15 Prozent Luxemburger Mehrwertsteuer. Plus die Kosten für die Anpassung des Fahrzeugs an geltende EU-Standards. Die können je nach Fahrzeugtyp 200 bis 1 000 Euro betragen, die Inspektion und Zulassung durch die SNCT koste 800 Euro.
Die Aufzählung klingt, als kämen in der Summe durchaus stattliche Endpreise zu Stande. Aber Lydie Bové hat Recht, wenn sie sagt, dass es in den USA „ein PS für deutlich weniger Geld“ als in Europa zu kaufen gebe: Dass dem so ist, kann man auch an technischen Spezifikationen und an den Endpreisen der in Europa gehandelten Oberklasse-Cadillacs ablesen, die hunderte PS wesentlich preiswerter offerieren als etwa deutsche Pre-miumhersteller. „Außerdem verkaufe ich nicht einfach Autos. Ich helfe, Träume wahr werden zu lassen.“ Unlängst habe sie einen Ford Mustang Boss an einen jungen Mann verkauft. Der Mustang erlebe in den USA derzeit ein regelrechtes Revival. „Seit fünf, sechs Jahren gibt es wunderbare Modelle, von denen man in Europa kaum etwas weiß.“ Besagter Kunde habe seinen Mustang unbedingt in „schoolbus-yellow“ haben wollen, im selben Gelb, wie in den USA die Schulbusse lackiert sind. „Ganz einfach war das nicht, aber mein Partner vor Ort hat auch dieses Auto beschaffen können.“ Sei ein Fahrzeug in Amerika aufgetrieben, sei es binnen drei Wochen hier. Die Ersatzteilbeschaffung sei ebenfalls kein Problem: „Innerhalb von spätestens zwei Wochen erhalte ich jedes Teil. Auch für Oldtimer.“ Auf jeden Neuwagen gewährt Lydie Bové zwei Jahre Garantie. „Und für Wartung und Reparaturen arbeiten wir mit Werkstätten und Karrosseriefirmen, die sich auskennen mit US-Cars.“
Eine ganz individuelle Betreuung ist es offenbar, was einem winkt, bittet man Lydie Bové, einen Auto-Traum verwirklichen zu helfen. Denn das heißt letztlich auch, dass man mit ihr dieselbe Amerika-Faszination teilt. Und so wird der Kunde eingeladen, die Händlerin zur Abholung des Wagens im Hafen von Bremerhaven zu begleiten. „Wir lassen nicht mehr nach Antwerpen liefern, der Hafen dort ist einfach zu groß.“ Da seien die per Container angelieferten Autos einfach „irgendwohin“ gestellt worden. In Bremerhaven dagegen würden sie stets am selben Ort postiert. Dorthin reist Bové mit ihrem Kunden per Eisenbahn. In Koblenz wird nicht nur umgestiegen, weil da die ICEs Richtung Norddeutschland halten, sondern auch um sich zu stärken: „Natürlich bei McDonald’s, das gehört einfach dazu.“ Diese Art der Inempfangnahme seines amerikanischen Autos vergesse ein Kunde „sein Lebtag nicht“.
Diese Faszination für amerikanische Autos, denen ein Freiheitsversprechen anhaftet, dem auch die aktuellen Benzinpreise nichts anhaben sollen und können – „Am häufigsten verkaufe ich Acht-Zylinder-Fahrzeuge, aber wer die will, für den ist der Verbrauch zweitrangig.“ –, teilen die Bovés mit einer Gemeinschaft von Enthusiasten, die zusammenhalte „wie ein Club“. Man begegnet sich über Facebook, „und sowieso verkaufe ich mittlerweile die meisten Autos über Internet“. Man trifft sich samstagvormittags im Geschäft der Bovés, wenn für zehn Uhr zur „Kaffispaus“ die Espresso-Maschine warmgefahren wird. Das war in Gonderingen so, und ist es auch in Biwer – Umbauarbeiten hin oder her. Fünf bis zwölf Bekannte seien jeden Samstag da.
Gleichwohl: Die Begeisterung für die Traumautos aus Übersee nehme allmählich ab. „In den Fünfzigerjahren fuhr ja fast jeder Luxemburger ein amerikanisches Auto. Mit einem deutschen wärst du damals verprügelt worden“, erinnert sich Mike Bové, der als Jugendlicher mit seinen Kumpels in einem Steinbruch ausgediente US-Cars aus Begeisterung endgültig zu Schrott fuhr.
Die Gemeinschaft der Enthusiasten kommt also ein wenig in die Jahre. Aber: Per Internet-Kontakt erhalten auch Ausländer Kenntnis vom Geschäft der Bovés. Manche Kunden würden tausend Kilometer auf sich nehmen, um an ihr Traumauto zu gelangen, sagt Mike Bové. Jüngere Interessenten gebe es aber auch in Luxemburg immer wieder. Letztes Jahr hat Lydie Bové einen knallroten Ford Mustang an einen jungen Mann verkauft, „einen Akademiker, der mir ziemlich introvertiert vorkam“. Mit dem Ford Mustang jedoch sei er regelrecht aufgelebt. „Nur ein amerikanisches Auto vermag einen Menschen zu verwandeln“, ist Lydie Bové überzeugt. „Nichts gegen einen Audi – aber der hat doch nur vier Räder.“ Ihr rosafarbener Cadillac übrigens habe, nachdem er in Andy Bauschs Film zu sehen war, einen Auto-Tester des deutschen Fernsehens nach Luxemburg gelockt. „Der wollte den unbedingt mal fahren ...“