Dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Liechtenstein derzeit unterkühlt sind, liegt nicht am alpinen Klima im Fürstentum. Dass hunderte Deutsche ausgerechnet die Dienste der LGT Bank – die der Fürstenfamilie gehört – nutzten, um Steuern zu sparen, verstärkt nur den Eindruck, dass in dem kleinen Alpenland niemand darauf Wert legt, aktiv gegen Steuerbetrug vorzugehen.
Die Fürstenfamilie dürften die Geschehnisse doppelt wütend machen. Das Leck bei LGT führte erstens zum ersten globalisierten Steuerbetrugskandal – neben Deutschland ermitteln mehrere europäische Länder, auch die USA und Australien sind mit von der Partie. Dadurch hat sich der Druck auf Liechtenstein schlagartig erhört, die Zusammenarbeit mit anderen Ländern zu verbessern. Außerdem war der Datenklau der Bank bereits lange bekannt. Heinrich Kieber, der Schwierigkeiten mit der Justiz in einer anderen Sache hatte, drohte bereits vor Jahren damit, die 2002 entwendeten Daten an ausländische Behörden weiterzugeben. Die Bank übernahm damals die Anwaltskosten, finanzierte seine Wohnung und erhielt, so dachte man, die DVDs mit den Kundendaten zurück. Doch HK, wie die LGT den Täter auf ihrer Webseite nennt, behielt offensichtlich eine weitere Kopie.
HK, der für seine drei DVDs vom Deutschen Nachrichtendienst reichlich Bares und anscheinend eine neue Identität erhielt, hat damit der deutschen Regierung viel Munition für einen Generalschlag geliefert, der sich nun, wie der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück vergangenen Sonntag in der Bild am Sonntag sagte, gegen Steueroasen innerhalb Europas richtet. Denen hat er den Kampf angesagt, und dazu zählt er die Schweiz, Österreich und Luxemburg. Dabei hat er eigentlich Belgien vergessen, denn auch dort gibt es noch das Bankgeheimnis. Auffallend an der ganzen Geschichte war: Kaum war von Steuerbetrug die Rede, schon war Luxemburg wieder in aller Munde. Einigen Teilnehmern an Polit-Talkrunden im deutschen Fernsehen unterlief letzte Woche wiederholt ein peinlicher Versprecher, mehrmals sagten sie Luxemburg, wenn Liechtenstein gemeint war.
Gegen solche Darstellungen wehren sich Finanz- und Budgetminister. „Wir haben klargemacht, dass wir uns von dem, was in Liechtenstein passiert, nicht betroffen fühlen“, unterstrich Jean-Claude Juncker auf Nachfrage am Dienstag. Er und Luc Frieden heben hervor, die Rechtsform der Stiftungen, wie sie der deutsche Postchef Klaus Zumwinkel genutzt hat, gebe es in Luxemburg nicht. Der Premier meinte vergangenen Freitag im Pressebriefing abwehrend, ihm komme die Aufregung um Luxemburg im Vergleich zu früheren Steuerskandalen eigentlich gering vor. Er sagte bestimmt: „Ich war nie der Komplize der Steuersünder“, und erklärte warum. Weil er sich dafür eingesetzt habe, dass es in Luxemburg keine anonymen Konten mehr gibt und sich dafür viel habe schelten lassen müssen, von den Bankiers und Politikerkollegen. Und weil Luxemburg vor gut fünf Jahren im EU-Rat, als die anderen Länder den fiskalischen Informationsaustausch beschlossen – zum Erhalt des Bankgeheimnisses – der Einführung der Quellensteuer zustimmte.
Zurzeit werden 15 Prozent auf Zinserträgen abgeführt, der Prozentsatz wird graduell bis auf 35 Prozent angehoben werden. Davon behält das Land, das die Steuer erhebt ein Viertel, der Rest wird an die Heimatländer überwiesen. „Hätten wir keiner Lösung zugestimmt, würden wir ähnlich im Fokus stehen wie Liechtenstein“, so Juncker. Luc Frieden seinerseits scheint zu bezweifeln, dass die Regierung Merkel die Zinssteuerdirektive, der die Vorgängerregierung 2005 zustimmte, richtig verstanden hat. Die sei gemacht worden, um den freien Kapitalverkehr innerhalb Europas zu gewährleisten und sicherzustellen, dass wenn ein Deutscher sein Geld nach Luxemburg bringe, der hiesige Fiskus darauf Steuern erhebe. Oder aber die Anleger sich für den Informationsaustausch entscheiden können. „Das ist wesentlich und hat in der deutschen Debatte vielleicht noch nicht seinen Niederschlag gefunden“, so der Budgetminister. Die Holding 1929, das gibt er zu, sei der Liechtensteinischen Stiftung nicht unähnlich, doch die werde gerade abgeschafft. „Es ist sehr wichtig, dass man sich bewusst ist, in Deutschland und auch anderenorts, dass wir bei Steuerbetrug eine effiziente Rechtshilfe haben, dass wir mit den Behörden anderer Länder zusammenarbeiten“, führt Frieden aus.
Wenn man diese Elemente zusammennehme, findet er, habe man durch die europäische Regelung alles getan, um der Steuerflucht vorzubeugen, und „dass Luxemburg durch dieses Abkommen gut dasteht“. Trägt Luxemburg also diesmal den moralischen Sieg davon?
Das sieht Steinbrück anscheinend anders. Er hat den Kampf angesagt, und er will ihn in Brüssel austragen. Beim nächsten Treffen der EU-Finanzminister Anfang März wird die Steuerflucht Thema sein, und Steinbrück scheint entschieden, die Reform der Zinssteuerdirektive voran treiben zu wollen. „Im Sinn hat er eine substantielle Prüfung, Ausweitung und Verbesserung der Regelung“, wie ein EU-Offizieller sagt. Auch wenn der Budgetminister abwiegelt und unterstreicht, er sehe derzeit keine Mehrheit für eine Änderung der Direktive. Auch wenn Jean-Claude Juncker am Dienstag sagte, er sehe nicht, in wie weit diese größeren Veränderungen unterzogen werden könnte und zu verstehen gab, dass er keine Angst vor Druck seitens Deutschland habe. Die Kommission wird Steinbrück auf jedem Fall den Rücken stärken, denn Steuerkommissar László Kovács bemängelt seit langem die Schlupflöcher der Zinssteuerdirektive und hat nicht zuletzt deshalb die Auswertung, die normalerweise drei Jahre nach Inkrafttreten geplant ist, schon sehr viel früher angeleiert. Im Herbst, so seine Sprecherin, wird er dem Rat den Bericht vorlegen und dann Änderungen vorschlagen.
In welche Richtung sie gehen sollen, will Maria Assimakopoulou nicht sagen. Nur dass Kovács den Ministern im März von seinen Sondierungsgesprächen zwecks geographische Ausweitung der Direktive in Fernost berichten wird. Denn, das meint auch Jean-Jacques Rommes von der ABBL, die der Expertengruppe, die an der Auswertung teilnimmt, angehört, das eigentliche Problem sei nicht Liechtenstein sondern Dubai und Singapur. „Das europäische Geld geht dorthin. Das Problem der Weltfinanz ist nicht Liechtenstein.“ Dessen sind sich auch die Finanzminister bewusst, die den Steuerkommissar bevollmächtigten, mit Drittländern Gespräche aufzunehmen, um auszuloten wie man den Geldfluss von Europa zu deren Banken kontrollieren kann. Viel ist dabei bisher nicht herausgekommen. Singapur und Hongkong zeigten sich wenig interessiert, sagt der EU-Offizielle. Obwohl es mit ersteren viele bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen gibt und letztere ein starkes Interesse daran hätten, solche abzuschließen. Auch mit Norwegen, Island, den Bermuda-Inseln und Macau gab es Kontakte, nur mit Norwegen soll es bald zu einem Treffen auf technischer Ebene kommen. Die Kommission schlage derweil vor, ein Moratorium auf Doppelbesteuerungsabkommen zu verhängen. Aus welchen Beweggründen ist nicht klar. Ob sie das will, damit sie ein Mandat für Verhandlungen für den gesamten EU-Block erhält, oder um einfach Druck auszuüben, zum Beispiel auf Hongkong, das derzeit nur mit Belgien und Luxemburg Abkommen hat, kann man nicht sagen.
Ob solche Länder jemals bereit wären, einem Informationsaustausch zuzustimmen, scheint ohnehin unwahrscheinlich. Jean-Jacques Rommes, der betont, dass es sich bei der Zinssteuerdirektive wahrlich nicht um die Lieblingsregelung der Bankiers handele, wendet ein, das System funktioniere nicht einmal innerhalb Europas. Es sei blauäugig anzunehmen, es würden viele Informationen zwischen Großbritannien und Deutschland ausgetauscht. Die Kanäle für den Informationsfluss seien überhaupt nicht aufgebaut. „Wenn man auf ein seriöses Quellensteuersystem zurückkommen könnte, wäre das keine so schlechte Lösung“, so der ABBL-Direktor. Natürlich würde er immer für ein System plädieren, das den Erhalt des Bankgeheimnisses gewährleistet. Aber zumindest in der Theorie ließe sich argumentieren, mit dem Quellensteuersystem erhält jeder Fiskus sein Geld.
Bezeichnend ist die Forderung Rommes nach einem „seriösen Quellensteuersystem“, also ohne Schlupflöcher. Tatsächlich gibt es deren viel. Vereinfacht ausgedrückt: Wer bei der Anlage darauf achtet Dividenden zu erhalten statt Zinsen, zahlt keine Quellensteuer Außerdem muss es sich beim Begünstigten um eine physische, nicht um eine juristische Person handeln, was derzeit die englische Rechtsform der Trusts von der Quellensteuer ausschließt. Dem am nächsten kommt in Luxemburg die Ersatz-Holding Société de patrimoine familial. Die hatten Frieden und seine Beamten erfunden, um die Verwaltung von großen Familienvermögen in Luxemburg zu gewährleisten, nachdem die Kommission die Abschaffung der Holding 1929 erzwungen hatte.1 Wie man im Konsultationspapier der Kommission nachlesen kann, sind es die Trusts aber auch die Sicav 2 und andere Fondsarten, die im Fokus einer eventuellen Neuausrichtung stehen.
Dass die englischen Trusts miteinbezogen werden müssen, wenn es zu einer Ausweitung des Anwendungsbereich der Zinssteuer auf neue Produkte kommt, machte Juncker vergangenen Freitag unmissverständlich klar. Ob die Briten dem aber zustimmen würden, obwohl auch sie für die Liechtensteiner Liste der britischen Steuersünder gezahlt haben sollen? So könnte Luxemburg, wenn es drauf ankommt, es vielleicht gelingen, die großen Länder gegeneinander auszuspielen. Denn noch gilt im EU-Ministerrat in Steuersachen das Prinzip der Einstimmigkeit, und Budgetminister Frieden sieht unter den 27 keine Mehrheit für eine Änderung.
Hat sich Luxemburg also derzeit tatsächlich so wenig vorzuwerfen, wie Juncker und Frieden meinen? Bei der Staatsanwaltschaft Luxemburg gingen in den letzten drei Jahren über 100 Anfragen auf Rechtshilfe ein. Nun leistet aber Luxemburg beim Tatbestand einer einfachen fraude fiscale keine Hilfe, weil es dafür hierzulande nicht einmal sechs Monate Gefängnis gibt. Von diesen Anfragen bezogen sich rund die Hälfte auf Vergehen im Bereich der Direktbesteuerung, nur drei wurden abgelehnt. Ob dies so ist, weil die ausländischen Behörden nur Anfragen in besonders schweren Fällen stellen, oder es eben wenig private Steuergauner gibt, die ihr Geld nach Luxemburg bringen, lässt sich nicht bestimmen.
Vergangenes Jahr nahm die Steuerverwaltung fürs Steuerjahr 2006 166 Millionen Euro an Quellensteuer von Steuerausländern ein. Davon behält Luxemburg rund 43 Millionen, der Rest wurde bereits überwiesen. Daraus ergeben sich Zinserträge von 1,1 Milliarde Euro. Geht man von einem geschätzten Zinsertrag von 3,5 Prozent auf den Einlagen aus, wären das 31,6 Milliarden an nicht deklarierten Geldern. An welchen Fiskus am meisten überwiesen wurde, will man bei der Steuerverwaltung nicht sagen, denn auch Frieden ziert sich. Wohl weil man befürchtet, das die Zahlen Bankgeheimnisgegnern weitere Munition liefern könnten. Das ist eindeutig Unfug, da jedes Land weiß, was aufs Konto kommt.
Welche Summen die Luxemburger im Ausland versteckt haben, ist schwieriger zu bestimmen. Im Briefing hatte Juncker gemeint, man erhalte „Millionen Euro“ aus der Schweiz, Belgien und Österreich. Bei der Steuerverwaltung war allerdings nicht herauszufinden, wie viele genau, denn die würden im Budget sofort mit der national aufgehobenen Quellensteuer verrechnet. Das waren nach Friedens vorläufigen Budgetabschluss 2007 52 Millionen Euro.
Bleibt die Frage, ob auch hiesige Banken seit der Liechtenstein-Affäre um ihre Kundendaten bangen. Denn aus dem Bericht der Geheimdienstkontrollkommission der Abgeordnetenkammer von 2006 geht hervor: Die Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste von alliierten Ländern steigen an. Das betreffe auch und vor allem Informationen wirtschaftlicher Natur. „Bien que les informations ou renseignements convoités ne constituent pas toujours des secrets au sens pénal du terme, ils peuvent néamoins causer un tort à L’État, (...).“ Charles Goerens (DP) bestätigt gegenüber dem Land, dass es sich bei den betroffenen Wirtschaftszweigen sowohl um das verarbeitende Gewerbe wie auch um Banken handelt. „Das existiert reell und hat in den letzten Jahren zugenommen“, sagt der Abgeordnete. Ihm zufolge weise der Service de renseignement (SRE) in diesen Fällen die betroffenen Unternehmen auf das Gefahrenpotenzial hin. Der Staat wehrt sich also gegen unerwünschte Einblicke.
Wie sich ein solches Vorgehen des SRE mit den Verpflichtungen in Sachen Geldwäsche und Finanzierung von Terrorismus vereinbaren lässt, steht wohl auf einem anderen Blatt geschrieben. Was Rommes, den Mann aus dem Finanzsektor, am aktuellen Fall bestürzt, ist nicht so sehr der Datenklau an sich, gegen den es keine 100-prozentige Versicherung gibt. „Besorgniserregend ist, dass es nun für solche Daten einen Markt und einen Preis gibt.“ Die Aktivitäten des Geheimdienstes, die doch recht limitierte Rechshilfe, die widerwillige Aufgabe der Holding 1929 deuten für den Fall, dass man sich Liechtenstein in Sachen Steuerbetrug moralisch überlegen fühlen wollte, auf einen Pyrrhussieg hin.
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Da eine SPF eine Gesellschaft ist, appliziert sich die Quellensteuer nicht auf sie. Das könnte höchstens der Fall sein, wenn sie Zinsen an die Gesellschafter auszahlen würde, im Normalfall wären es aber Dividenden.
2 Derzeit sind solche Fondsarten der Direktive unterworfen, die zu einem gewissen Prozentsatz in Zinsprodukte investieren. Allerdings sind Nicht-Ucits, also solche Fonds die keinen europäischen Vertriespass besitzen, davon ausgenommen. Da eine Sicav eine Gesellschaft ist, wird sie, wenn es sich nicht um ein Ucits-Produkt handelt, als solche besteuert.