Die kleine Bühne im Kasemattentheater taugt für Experimente und vermag immer wieder zu überraschen, so auch mit Tod von Woody Allen in der Inszenierung von Jacques Schiltz. Die Bühne erstreckt sich vertikal über zwei Etagen, vor jeder ein paar Zuschauerreihen. Auf einer Leinwand wird das Geschehen in schwarzweiß projiziert; ebenerdig erinnert das Bühnenbild an die Weimarer Zeit: alte Filmplakate, eine Straßenlaterne, ein Tisch, künstlicher Nebel und flimmernde Schwarzweiß-Aufnahmen, der Stummfilm lässt grüßen! So folgt das Auge den Schauspielern auf der Leinwand wie auf der Bühne, ein gelungener Effekt, der die einstündige Inszenierung trägt. Ähnlich wie auch die Schauspieler: Da ist Rosalie Maes, geheimnisvoll mit Sonnenbrille und Trenchcoat, Nickel Bösenberg, der verdutzt mit Nachtmütze aus dem Bett purzelt, Elsa Rauchs, sinnlich Tee trinkend im Kimono, Marc Baum als zwielichtiger Ganove und schließlich ganz stark als Pistolenheld: Max Thommes. Alle philosophieren sie panisch über Todesarten. Niemand weiß so richtig, wer welche Rolle spielt, und das Publikum wird erst Recht im Ungewissen gelassen ... Wer ist eigentlich dieser Kleinman? Wer Hacker? Was ist der Plan, und wer ist Teil des Plans? Gibt es den überhaupt? Und wer ist der Mörder? Liegt am Ende in der Fragmentierung des Geschehens die Idee?
Die in Schiltz’ Inszenierung verschachtelt daherkommende Handlung ist im Grunde gar nicht so komplex: Mitten in der Nacht wird der Verkäufer Kleinman aus dem Schlaf gerissen. Eine Bürgerwehr fordert ihn auf, an der Jagd auf einen verrückten Serienmörder teilzunehmen, man habe einen Plan, heißt es. Doch Kleinman erhält keinen Einblick in den großen Plan, und es stellt sich heraus, dass keiner ihn kennt. Im Laufe der Nacht zerfällt die Bürgerwehr in Splittergruppen und bekämpft sich gegenseitig, bis Kleinman selbst auf den Wahnsinnigen trifft...
Auch dramaturgisch (Claire Wagener) überzeugt die Inszenierung durch sinnvolle, bisweilen akzentuierte Textinterpretationen von Woody Allens Einakter. Rosalie Maes mimt herrlich den österreichischen Dialekt. Später wird sie sich als Prostituierte lasziv an der Straßenlaterne räkeln und für einen Kuss und ein bisschen Geschmuse saftig kassieren. Alles hat seinen Preis! Leider funktionieren Wortwitz und Satire nicht immer. Der Versuch Jiddisch zu sprechen, kommt auf der Leinwand etwas unbeholfen daher und geht daneben. Doch gute Einfälle überlagern die Schwächen: Die Warnung vor der Bürgerwehr wird etwa eingeläutet durch das Signal der Tagesschau. Zum Tatort-Sound reflektieren die Schauspieler über den Tod, und auf einmal ist die Kunde von einer Splitterpartei in aller Munde. Helle Aufregung und viel Gezeter! Wer steht auf welcher Seite? Ein Lügendetektor soll Licht ins Dunkle bringen. „Spyro 2“ entlarvt den Täter, und dieser wird am Ende etwas einfallslos gehenkt. Das kollektive Philosophieren der Schauspieler über einen guten Schluss erscheint angesichts der Dreigroschenoper-Inszenierung von Antú Romero Nunes (vor wenigen Wochen im Grand Théâtre) fast wie ein Remake. Vor allem aber verläuft das Politische in der Koproduktion von Independent Little Lies, Kasemattentheater und Escher Theater quasi im Sande.
In Tod beschreibt Woody Allen die Gefahren einer schizophrenen Gesellschaft, die die Staatsmacht aushebelt und an ihre Stelle tritt. – Eine Welt, die von Misstrauen und Panik bestimmt wird. Nicht nur in Deutschland und Österreich haben sich in den letzten Jahren Bürgerwehren gegründet, der rechtspopulistische Diskurs von der Verteidigung der Grenzen ist in vielen europäischen Ländern längt in die bürgerliche Mitte geschwappt und zeugt vom Wanken der Demokratie. Jacques Schiltz liefert mit seiner Inszenierung von Tod im Kasemattentheater ein satirisches Unterhaltungsstück, das in seinen Reminiszenzen an den Film Noir betört, versäumt es jedoch, die politische Dimension klar herauszuarbeiten. Die Inszenierung überrascht dennoch durch gelungene Regieeinfälle, auf die Spitze getriebenen Humor und starke Schauspieler. Ein kurzweiliger Abend.