Von beeindruckenden Biografien von Heimkindern, mit ihren Tiefen, aber auch mit ihren Höhen, handelt Success Story. In dem 80-minütigen Dokumentartheater, das die Luxemburger Regisseurin Carole Lorang im großen Saal des Centre des arts pluriels Ettelbrück am Donnerstag vor einer Woche uraufführte und das von Cape, Escher Theater und der Abtei Neimënster koproduziert wurde, kommen Jungen und Mädchen zu Wort, die vor allem eines eint: Sie sind zwischen den 1950-ern bis heute in einem staatlichen Kinderheim aufgewachsen und haben – trotzdem – ihr Leben gemeistert.
Es ist etwas Besonderes, den nie erzählten Erfahrungen dieser Jungen und Mädchen Gehör verschaffen zu wollen. Gewöhnlich ist das öffentliche Interesse an dieser Personengruppe gering (auch das der Kulturschaffenden). Es ist noch nicht lange her, dass Institutionen begonnen haben, gemeinsam mit ehemaligen Bewohnern die teils schmerzvolle und oft gewalttätige Vergangenheit aufzuarbeiten.
Carole Lorang versucht, die spannungsreiche Ambivalenz einzufangen: das Heim als oft zwangsweises Zuhause, das Kindern keineswegs immer Geborgenheit und Halt bietet und trotzdem für viele zur Ersatz-Heimat wird; dies mit Hilfe ausgewählter biografischer Zitate, manchmal mit ganzen Anekdoten. Dafür hat ihre Compagnie du Grand Boube, mit Unterstützung der staatlichen Kinderheime, mit zwölf ehemaligen Heiminsassen gesprochen, ihre Berichte aufgeschrieben und für die Bühne aufgearbeitet.
Mit den drei Schauspielern Franz Leander Klee, Renelde Pierlot und Germain Wagner, die mal als luxemburgisch-, mal als französischsprachiges Sprachrohr der Betroffenen auftreten, greift Lorang Problematiken auf, die symptomatisch für ein Leben in einer Erziehungsanstalt waren und bis heute sind: Da ist die nagende Frage nach dem Grund. Warum ist man im Heim aufgewachsen, wenn andere Kinder scheinbar heile Familien haben? Da sind die Reak-tionen der Schulkameraden und Erwachsenen, wenn sie von der Herkunft erfahren. Weshalb auch mal kreativ alternative Geschichten erfunden werden, um den Vorurteilen und dem ungebetenen Mitleid der Umwelt aus dem Weg zu gehen. Oder die schwierige Identitätsfindung, wenn Informationen zur eigenen Biografie bruchstückhaft sind oder komplett fehlen.
Aber: Da ist auch die große Solidarität unter Jugendlichen, das Familiengefühl, das sie sich, teils mit Unterstützung von Erziehern, teils gegen sie, geschaffen haben. Vor allem aber ist es der unbedingte Überlebenswille, der die Bewohner geprägt hat, trotz teils schwerster Traumatisierungen, sei es durch die Herkunftsfamilie, die Strafverfolungsbehörden oder später durch Kälte, fehlende Liebe oder brutale Gewalt in der Institution.
Leider sind es am Ende so viele Zitate und Themen, dass selbst die geneigteste Zuhörerin irgendwann den Überblick verliert. Dass die Zitate per Beamer eingeblendet werden und eine Stimme aus dem Off die Schauspieler ergänzt, hilft nicht wirklich bei der Orientierung. Die Protagonisten wechseln im Verlauf des Stücks vom Kleid in den Hoodie, in den Plüschmantel; Sachen, die sie von einer überdimensionalen Kleiderstange pflücken. Der Kleidungswechsel als Zeichen, das der nächste Zeuge das Wort ergreift. Die Garderobe wurde zusammengestellt von Peggy Wurth, die auch das Bühnenbild entworfen hat.
Dass trotz der bewegenden Berichte der Funke nicht recht überspringen will, liegt an der statisch-ungelenken Inszenierung: Die Schauspieler bewegen sich wenig, sie spazieren vom gemeinsamen Esstisch zum Stuhl, und wieder zurück. Echte Stimmung kommt während der aneinandergereihten Zitatesammlung selten auf, abgesehen von einigen abrupten Wutausbrüchen und der Musik, für die Alain Schumann verantwortlich zeichnet. Die ist melancholisch und kraftlos, sodass man sich mitunter fragt, wo das Positive, das Selbstbewusste ist, das der Titel Success Story allen Widrigkeiten zum Trotz doch unterstreichen will. Unpassend die Gesangseinlage am Schluss zu Frank Sinatras Klassiker My Way: Nicht nur weil sie salbungsvoll vorgetragen wird, sondern weil der 1969-Jahre-Hit klischeehaft und konservativ ist, etwas, das leider auch über die im Vorfeld des Stückes organisierte Podiumsdiskussion gesagt werden muss: eine Moderation ohne Sachkenntnis, die mit stereotypen konsensuellen Fragen aufwartete und insgesamt den Akzent viel zu stark auf die Institutionen setzte, anstatt jene in den Fokus zu nehmen, denen der Abend gewidmet war: die Betroffenen.
Am Ende bleibt, trotz freundlichem Applaus, die Feststellung, dass eine Chance vertan wurde, eine gut gemeinte Aufführung zu sehen war, der es jedoch an dramaturgischer Finesse und szenischem Tiefgang fehlte, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Berührende Schicksale von gesellschaftlichen Außenseitern und Vergessenen auf die Bühne zu bringen, macht eben noch kein anspruchsvolles Dokumentartheater aus.