Mann trägt wieder Bart. In vielerlei Formen: Drei-Tage-Bart, Kinnbart, Kotelettenbart, Kaiser-Wilhelm-Bart. Lang ist es nicht her, da konnten Bartträger in Westeuropa relativ einfach in drei Kategorien eingeteilt werden. 1. „Ältere Herren“; 2. Männer, die ursprünglich nicht aus dem westeuropäischen Kulturkreis stammen; 3. Heavy-Metal-Fans und Biker. Das galt besonders für die Bart-Unterarten Schnauz- und Vollbart.
So einfach ist die Welt heute nicht mehr. Voll- und Schnauzbart gehören zur Ausrüstung des modernen Mannes wie seine Strickjacke und die Hornbrille. Accessoires, die bis vor Kurzem Männern über 60 oder Geisteswissenschaftlern in der akademischen Laufbahn vorbehalten waren. Für jedermann akzeptabel gemacht, hat sie die Hipster-Bewegung. Ihre Anhänger bringen ihre Coolness dadurch zum Ausdruck, dass sie sich bewusst unattraktiv kleiden aber dennoch gut aussehen wollen. Der Trick dabei ist, die Cordhosen mit einem Schuss Ironie zu tragen.
Beim Schnauzbart riskiert das gerne, mal schief zu gehen. In Kombination mit schlecht sitzender Kleidung sieht Mann schnell aus, als ob Freddie Mercury zum Holzfällen oder Kühehüten geht. Sicher außergewöhnlich. Aber wirklich gut aussehend?
Manchmal trägt Mann Schnauzbart, um sein Gesundheitsbewusstsein zum Ausdruck zu bringen. Das passiert meist im Monat November. Der heißt dann Movember. „Mo“ für Moustache. Die Initiative, sich den Oberlippenbart im November wachsen zu lassen, haben vor ein paar Jahren Männer in Down-Under gestartet, um auf das Prostatakrebsrisiko hinzuweisen und Geld für die Forschung nach Heilmethoden zu suchen. Seither gibt es „Mo-Bros“ nicht nur in Australien und Neuseeland, sondern in den USA, Kanada, Südafrika und in vielen europäischen Ländern. Die Kampagne ist schick aufgezogen und über-hip und eigentlich nur dadurch zu toppen, dass Frauen ihren Oberlippenbart stehen lassen, um auf das Brustkrebsrisiko aufmerksam zu machen.
Bärte gelten über Raum, Zeit und Kulturen hinweg als Zeichen der Männlichkeit und Kraft, angefangen beim sehr haarigen und bärtigen biblischen Samson. Wenn die Gesichtsbehaarung nicht als Zeichen der Männlichkeit galt, dann als Zeichen der Rebellion. Karl-Marx und die Hippies trugen Bart. Ob der moderne, polyvalente Mann seinen Bart als Zeichen von Stärke oder Rebellion versteht? Oder ausschließlich als Mode-Accessoire?
So ein Bart verändert die Gesichtskonturen. Unter einem Vollbart lassen sich Fliehkinn und schlechte Haut gut verstecken. Wenn er nicht löcherig ist und tatsächlich „voll“ wächst. Ansonsten unterstreicht er die Problemzonen eher, als sie zu kaschieren, und ein halber Bart macht ja auch keinen ganzen Mann.
Psychologische Institute verschiedener Unis haben in den vergangenen Jahrzehnten untersucht, wie der Bart auf die Psyche anderer Menschen wirkt, indem sie Studenten Fotos bärtiger Männer zeigten. Manche fanden dabei heraus, dass Männer mit Bart sympathischer sind als die ohne, vertrauensvoller wirken, beständig, intelligent, männlich, kraftvoll. Andere fanden heraus, dass Männer mit Bart aggressiv wirken, bedrohlich, gefährlich, machistisch. Wahrscheinlich hängt das Ergebnis davon ab, ob die Studenten als Kind eher viele Geschenke vom Nikolaus mit weißem Rauschebart erhielten oder eher viele Stöcke von Knecht Ruprecht mit schwarzem Rauschebart.
Dabei sollte man (n) die Attribute „sympathisch“ und „für Frauen attraktiv“ nicht verwechseln. Ob der Bart kratzt oder kitzelt, hängt vom Bart und von der Frau ab. Aber nicht umsonst gibt es in der deutschen Sprache so treffende Bartsynonyme wie Schleimzaun, Gesichtspulli, Pornobalken und Rotzbremse, wovon letztere sogar im Duden stehen. Essensreste, Hautschuppen, nikotinverfärbte Haare – das alles macht Bärtige weder attraktiv noch intelligent.
Der Trend zum Vollbart ist quasi eine globale Bewegung, zumindest reicht sie von Holly- bis nach Bollywood. Zu den prominenten Vollbart-Trägern in L.A. gehören Brad Pitt und George Clooney. In den neuesten Bollywood-Produktionen tragen Shah Rukh Khan und Saif Ali Khan Vollbärte zur Schau. Zum Jahreswechsel waren arabische Medien voller guter Neuigkeiten: In der Türkei boomt die Haar-Transplantationsbranche. Genauer: die Bart-Haartransplantationsbranche. Die dortigen Spezialisten können volle, männliche Bärte und buschige Backenbärte zaubern. Immer mehr „Follikel-Behinderte“ reisten nach Istanbul, um sich helfen zu lassen, berichtet Al Arabiya. „Follikel-behindert“? Treffender kann man kaum ausdrücken, welchen Stellenwert der Bart im Einzugsgebiet von Al Arabiya hat.