Vor fast anderthalb Jahren überraschte Erziehungsminister Claude Meisch (DP) die Öffentlichkeit mit der Ankündigung, Luxemburgisch und Französisch bereits in Kindergärten fördern zu wollen , um Kinder so besser auf die Sprachanforderungen in der Grundschule vorzubereiten. Nun liegt ein Konzept vor, das die Sprachverwirrung entwirren soll. Auf 23 Seiten mit dem Titel: „Sprache und Sprachen in der frühen Kindheit“ beschreiben die Autoren, darunter Claudia Seele, ehemalige Forscherin der Universität Luxemburg, die dafür in den Wissenschaftsdienst des Ministeriums (Script) wechselte, und Beamte aus dem Erziehungsministerium, wie sie sich die Sprachförderung für Null- bis Vierjährige in Kinderkrippen und Kindergärten künftig vorstellen.
Wer gemeint hat, Luxemburgisch und Französisch würden künftig ab dem Windelalter als Sprache gebüchst – so ist es nicht. Im Fokus steht der unverkrampfte Umgang mit Sprachen. Vokabeln pauken oder grammatische Regeln auswendig lernen, meinen die Autoren klar nicht, wenn sie von der „Heranführung“ an Luxemburgisch oder dem „alltagsnahen spielerischen Kontakt mit der französischen Sprache“ schreiben. Dahinter steht die Überzeugung, dass, je früher mit der Sprachförderung begonnen wird, umso besser die Chancen für die Kinder stehen, einigermaßen vorbereitet auf das anspruchsvolle dreisprachige Schulsystem zu sein.
Die Realität in den Kindergärten hierzulande ist seit vielen Jahren eine mehrsprachige. Viele Kinder in den Kindergärten und Maison relais sind zugewandert, ihre Eltern kommen aus Portugal, Großbritannien, Ex-Jugoslawien, Simbabwe, Frankreich, den Kap-Verden. Oft sitzen mehr als zehn Nationalitäten in einer Spielgruppe. Nur rund 35 Prozent der Préscolaire-Kleinkinder sprachen 2014 daheim Luxemburgisch. Im Kindergarten, so die Idee, sollen sie von qualifizierten Erziehern behutsam an Luxemburgisch (und Französisch) herangeführt werden – Luxemburgisch wird dabei von den Autoren (und vom Ministerium) als Integrationssprache gesehen, die wichtig für „die gesellschaftliche Teilhabe“ sei, wie Regierungssprecher Manuel Achten betont. Luxemburgisch soll auch deshalb gefördert werden, weil ihm eine „Sprungbrettfunktion“ für den Schriftspracherwerb in der deutschen Sprache zugesagt wird – die allerdings, wie Claudia Seele einräumt, empirisch nicht erwiesen ist.
Während also gerade für Kinder, die daheim kein Luxemburgisch sprechen, der Kontakt mit luxemburgischsprachigen Erziehern (und Kindern) als pädagogisch wertvoll gesehen wird, sollen luxemburgische Kinder in der Krippe ersten Kontakt mit Französisch aufnehmen. Dabei soll es den Einrichtungen überlassen sein, wie sie das Sprachenangebot organisieren, ob mit Muttersprachlern im One-face-one-language-Modus oder mit mehrsprachigen Erziehern. Wichtig sei, so Claude Sevenig von der Abteilung Frühförderung im Erziehungsministerium, den Kindern „lebensnahe Sprachangebote zu machen“, ob beim Essen, beim Spielen, beim Aussuchen der Spielzeuge, ohne dabei Kinder zu benachteiligen, die manch ein Wort vielleicht nur in ihrer Muttersprache finden.
Dahinter steht die Vorstellung, dass Kinder von klein auf verschiedene Sprachen lernen können, ohne deshalb gleich überfordert zu sein. Erziehungsminister Claude Meisch benutzt auf Pressekonferenzen gerne das Bild von Kleinkindern, deren Gehirn in jungen Jahren „wie ein Schwamm“ Sprachen nur so „aufsaugen“ würden.
Dabei kommt auch der Erstsprache, auch Familien- oder Herkunftssprache genannt, eine wichtige Rolle zu. Sie soll auf keinen Fall aus dem Blick geraten. Darüber, dass im Krippenalltag auch Raum für die Herkunftssprachen geschaffen werde, könnten Kinder „ihr Selbstbewusstsein stärken“, ist Manuel Achten überzeugt. Damit Kinder von klein auf ein positives Verhältnis zum Erlernen von Sprachen bekommen, sollen Erzieher sie bestärken, wenn sie in ihrer Muttersprache sprechen, und nicht, wie das heute vielfach geschieht, sie korrigieren oder gar bestrafen. Das eigentliche korrekte Erlernen der Erstsprache aber sollen die Eltern daheim machen. Die Kindergärten seien damit überfordert, so Claudia Seele. Den Erziehern käme eher die Rolle zu, Eltern mit Rat und Tat beiseite zu stehen, etwa indem sie ihnen Bücher oder Tipps und Tricks mit auf den Weg geben, wie sie die Erstsprache daheim fördern können. Claudia Seele spricht von der zweiten Säule des Sprachenkonzepts, „der Elternpartnerschaft“.
Das bedeutet aber auch, dass auf die Träger der konventionierten und kommerziellen Einrichtungen künftig viel Neues zukommt. Im Konzept spielt die Einstellung der Erzieher eine Schlüsselrolle: Sprachliche Bildung gelinge besonders dann, „wenn sich eine akzeptierende Haltung mit pädagogischem Optimismus und Interesse an der Sprache des Kindes verbindet, wenn daraus eine zugewandte, sprachvergnügte und zielbewusste Art der Förderung erwächst“, so zitiert das Konzept einen deutschen Sprachforscher. Das nötige Fachwissen, wie das geschehen kann, sollen Erzieher in Fortbildungen, aber auch in der Grundausbildung erlernen.
Wie das Konzept in der einzelnen Krippe umgesetzt wird, überlässt das Erziehungsministerium den Trägern. Die Leitlinien dienen demnach zur Orientierungsrahmen; Einrichtungen können selbst entscheiden, wie sie die Sprachen im Alltag gewichten, welche Sprachlernmethoden sie anwenden. Das soll ihnen erlauben, lokale Gegebenheiten zu berücksichtigen: Eine Kinderkrippe in Redange betreut andere Kinder als eine Einrichtung in Esch oder Luxemburg-Stadt.
Damit die Träger mit der Herkulesaufgabe nicht aber nicht ganz allein stehen, gehen acht auserwählte Pionier-Kindergärten mit der Umsetzung voraus. Sie sollen in einer Projektpilotphase von März bis Dezember die praktische Realisierbarkeit des Konzepts erproben, wobei es im Papier bereits einschränkend heißt: Es gehe weniger darum, „dass geplante Modell in der kurzen Zeit schon komplett umzusetzen, und zu evaluieren, als vielmehr darum, auf den bestehenden Praktiken der Einrichtungen aufzubauen“. Am Ende des Jahres sollen die gesammelten Erfahrungen zu einer Broschüre der Best practises zusammengefasst werden.
Dabei bildet die Sprachförderung im Kindergarten nur den Auftakt einer Reihe von sprachprogrammatsichen Änderungen. Auch die Rolle der Sprachen in Précoce, Spillschoul, Grundschule und Sekundarstufe soll überdacht werden. Am Ende soll ein kohärentes Sprachenkonzept stehen. Dafür wurde eine Arbeitsgruppe gegründet, in der Lehrer und Beamte aus den Bereichen Frühförderung, Primärschule und Sekundarschule nächste Schritte überlegen. Noch sind keine Inhalte bekannt. Ein paar Hinweise hat Erziehungsminister Meisch selbst gegeben: So wird womöglich Französisch in der Grundschule nicht mehr verbindlich für alle ab dem zweiten Schuljahr eingeführt, sondern eventuell etwas später. Denkbar sei, so ist aus dem Ministerium zu hören, dass der Sprachenunterricht geändert werden müsse, sich beispielsweise dann weniger als bisher an muttersprachlichen Zielgrößen orientiert, sondern an Konzepten mit Französisch als Fremdsprache, mit der entsprechenden Didaktik. Das würde aber bedeuten, dass auch die Sprachenanforderungen auf der Sekundarstufe stärker als bisher hinterfragt werden müssten, der Lehrplan, die Didaktik, Methodik ebenso wie die Gewichtung bei der Benotung, und anderes mehr. Ines Kurschat