Eis Schoul startete 2008 als ehrgeiziger innovativer Modellversuch von Lehrern und Wissenschaftlern. Doch schon in der Anlaufphase gab es Probleme: So schickten viele Eltern ihre Kinder in die Schule, die schon an ihrer alten Schule mit Lern- und Verhaltensproblemen aufgefallen waren. Dass die Schule direkt mit höheren Jahrgängen startete, statt sie von unten aufzubauen und die Kinder allmählich an ungewöhnliche Formen des Lernens heranzuführen, diente der Sache nicht: Manche taten sich mit dem autonomen Lernen recht schwer.
Auch die Zusammenarbeit zwischen Lehrern und Erziehern brauchte Zeit, um sich einzupendeln. So grundlegend waren die Meinungsverschiedenheiten zwischen Gründern und (neu hinzugekommenen9 Lehrern selbst in pädagogischen Fragen, dass schon früh Risse im Team auftraten. Genervt von endlosen Diskussionen sprangen die Gründer einer nach dem anderen ab.
Die Rollenkonflikte waren allerdings keine Problematik speziell von Eis Schoul. Als mit der Jean-Jaurès-Schule in Esch eine zweite ambitionierte inklusive Ganztagsschule startete, die aber innerhalb des Schulgesetzes von 2009 funktioniert, stand sie vor ähnlichen Problemen. In der herkömmlichen Schule sind die Rollen streng getrennt: Die Lehrer sind für die Wissensvermittlung zuständig, die Erzieher für soziale und erzieherische Fragen sowie für Aktivitäten jenseits des Unterrichts. Wenn nun Erzieher aber, wie beim inklusiven Unterricht, direkt in der Klasse intervenieren, müssen Aufgabenbereiche neu abgesteckt werden. Dafür braucht es gemeinsame Ziele und klare Spielregeln. Doch in der Konzeptgruppe der Jean-Jaurès-Schule waren keine Erzieher dabei. Entsprechend wurden wichtige Fragen erst angegangen, als der Schulbetrieb bereits im Gang war. Nur mit Hilfe von externen Beratern gelang es, diese Schieflage zu korrigieren. Heute funktioniert das Miteinander.
Das Problem ist strukturell, wie sich auch an anderen Schulen im Land zeigt, die Schule und Maison relais verzahnen respektive einander annähern wollen: Rollenkonflikte und Streitereien um die „richtige“ Herangehensweise gibt es dort ebenfalls. Das Ministerium versucht nach Kräften, die Zusammenarbeit vom sogenannten formalen und non-formalem Lernbereich zu fördern, die Aufhebung der Trennung zwischen Familien- und Erziehungsministerium sollte dabei helfen. Trotzdem muss die Kultur des Miteinanders erst mühselig gelernt werden; manche Lehrer verstehen ihren Beruf als Einzelkämpfer und stehen einer gleichberechtigten Zusammenarbeit mit Erziehern skeptisch gegenüber, da sie dies als Einmischung verstehen.
Bei Eis Schoul kam erschwerend hinzu, dass die Aufteilung zwischen Ministerium, das für die Schule zuständig war, und Inspektorat respektive der Gemeinde auch nicht trennscharf war: Das Gebäude von Eis Schoul gehört der Stadt, die Kinder, die den Unterricht besuchen, stammen aus unterschiedlichen Stadtvierteln und dennoch lag die Entscheidungskompetenz nicht auf kommunaler Ebene. So waren Spannungen und Abstimmungsprobleme programmiert. Die Arbeitsteilung ist inzwischen geregelt, Eis Schoul steht unter der Aufsicht des Inspektors, so wie die Regelschulen.
Die besondere politische Aufmerksamkeit, die Eis Schoul von Anfang an erfuhr, war wohl auch nicht immer hilfreich. Denn obwohl die frühere Schulministerin das Projekt von Anfang an unterstützte – mit den ungelösten Konflikten und verunsicherten Eltern, die ihre Kinder aus der Schule herausnahmen, stieg der Druck auf Mady Delvaux, und das Modellprojekt geriet zur politischen Belastung für sie. Umgekehrt wurde die politische Nähe für die Schule zum Nachteil, weil auf ihrem Rücken machtpolitische Konflikte ausgetragen wurden. Die Opposition konnte ihren Ärger gegenüber der sozialistischen Bildungspolitik hier bündeln – und tat das recht ungeniert: 2012 wollte die DP die Schule gar schließen lassen, freilich ohne sich die systemischen Probleme genauer anzuschauen.
Ohne kontinuierliche politische Unterstützung war die Schule auf sich gestellt. Eine „Tradition“ innovativer Schulgründungen fehlt hierzulande. In der Vergangenheit, als Gemeinden bei der Schulentwicklung stärker mitreden konnten, hing es von engagierten Bürgermeistern, Schuldiensten und Lehrern ab, wenn innovative Unterrichtsmodelle ausprobiert wurden, etwa in Roeser oder der Escher Brillschoul. Dabei handelte es sich meist um Initiativen innerhalb bereits bestehender Schulen.
Hier zeigt sich eine gewisse Naivität der Gründer von Eis Schoul: Auf dem Reißbrett sieht Schulentwicklung gut aus, aber die Nagelprobe ist die Umsetzung. Wegen des komplizierten Aufbau des Grundschulwesens sind Probleme oft strukturell – und entsprechend kniffelig zu lösen. Die Trennung zwischen Erziehern und Lehrern, die national vorgegebene Kontingentierung, die mit dem Schulgesetz beschnittene reduzierte finanzielle Verantwortung der Gemeinden erklären vielleicht, warum es seit dem Schulgesetz keine weiteren neuen Modellschulen gegeben hat. Schulen, die innovativ arbeiten, hängen dies nicht an die große Glocke, vielleicht aus Sorge, zu viel Aufmerksamkeit zu bekommen – und sich dann womöglich rechtfertigen zu müssen. Dabei, betont Pierre Reding, ehemaliger Inspektor und seit einigen Monaten in der Generalkoordiation im Ministerium, gebe es viele Schulen, die versuchten, neue Wege zu gehen. Generell scheint die Lust an Experimenten aber nicht mehr so ausgeprägt. Es wäre interessant, zu analysieren, inwiefern das Schulgesetz die Innovationsfreudigkeit erhöht oder doch eher gebremst hat. Binnendifferenzierung im Unterricht, Teamteaching, Ganztagsschule und Inklusion sind alle laut dem Gesetz von 2009 möglich und auch gefordert. Mit den 150 Speziallehrern, die der Minister versprochen hat, dürften künftig mehr Ressourcen bereit stehen. Trotzdem gibt es nach wie vor wenig „echte“ inklusive Schulen. So gesehen, ist die jüngste Vereinbarung von Erziehungsminister Claude Meisch mit der Gewerkschaft SNE als Versuch zu verstehen, die Schulentwicklung mit Unterstützung der Lehrer anzuschieben.
Ansonsten setzt die Politik darauf, die außerschulische (non-formale) und schulische Betreuung stärker zu verzahnen. Mit Mady Delvaux scheint eine der letzten Befürworterinnen der Ganztagsschule die nationale Politik-Bühne verlassen zu haben. Inzwischen gibt es kaum noch Politiker, die die Geschichte um Eis Schoul genau verfolgt haben, geschweige denn ähnliche Modelle fordern.
Das mag teils an den Profilen der Abgeordneten liegen: Insgesamt ist die bildungspolitische Kompetenz im Parlament weniger ausgeprägt: Für die Grünen äußert sich Ex-Schulinspektor Claude Adam öfters zu Bildungsfragen, allerdings scheint seine Devise zu sein, bloß keine Kontroverse mit dem Koalitionspartner zu riskieren. Bei Nachfragen zu brisanten Dossiers verweist Adam auf den Schulminister. Bei der DP ist seit dem Wechsel Eugène Bergers zum Fraktionspräsidenten in der Schulpolitik kein Nachfolger in Sicht, der Wirtschaftslehrer André Bauler sitzt nicht im Schulausschuss. Lex Delles ist Grundschullehrer und Präsident des Schulausschusses, doch in seinen wenigen öffentlichen Auftritten zu schulpolitischen Themen wirkt er oft überfordert. Für die LSAP stellt Claude Haagen den Vizepräsident des Ausschusses, ihm fehlt aber das Knowhow und die Erfahrung. Lediglich Martine Hansen von der CSV hat als ehemalige Schuldirektorin der Ackerbauschule und Hochschulministerin ein klares bildungspolitisches Profil. Doch was nutzt alle Kompetenz, wenn man nicht einmal im zuständigen Ausschuss rechtzeitig über geplante Gesetzesänderungen informiert wird?