Am Montag dieser Woche wurde im Ban de Gasperich der Grundstein für einen Schulkomplex gelegt. Auf 5,4 Hektar Fläche soll er das Lycée Vauban und die École française de Luxembourg samt Zusatzbauten aufnehmen, unter anderem sechs Sporthallen, einen Tanzsaal und ein Amphitheater. Ab der Rentrée 2017 könnten die École et Lycée français de Luxembourg, wie der Neubau heißen soll, 2 300 Schüler besuchen: 800 Vor- und Grundschüler, 1 500 Sekundarschüler.
Nach der Einweihung des neuen Firmensitzes von PWC Luxemburg im vergangenen Jahr wird die frankophone Großschule die zweite bedeutende Realisierung im Ban de Gasperich sein. Aber auch wenn der Campus vollendet ist, wird es noch nicht leicht fallen, sich vorzustellen, wie die 90 Hektar große Flur zwischen Alt-Gasperich, dem Gewerbegebiet Cloche d’Or und der Autobahn A3 einmal beschaffen sein wird. Einerseits, weil der Schulcampus wie die PWC-Zentrale Bauten für sich sind; die eigentliche Bebauung der grünen Wiese beginnt erst, wenn die beiden wichtigen Straßen fertiggestellt sein werden: der 41 Meter breite Boulevard Kockelscheuer und der noch sieben Meter breitere Boulevard Raiffeisen, zu dem die heutige Rue Raiffeisen zwischen Escher Straße und Howald ausgebaut wird. 2017 sollen beide Boulevards dem Verkehr übergeben werden.
Sich das künftige Quartier vorzustellen, ist aber auch deshalb noch nicht einfach, weil dort bis 2025 etwas verwirklicht werden soll, was es im Städtebau in Luxemburg bisher noch nicht gibt: Bis zu 60 Meter hohe Gebäude sollen den Boulevard Raiffeisen, die zentrale Verkehrsachse im Stadtviertel, zu dessen beiden Seiten säumen. Im Unterschied zum Kirchberg aber, wo lange in die Breite gebaut wurde, als habe man Platz ohne Ende, soll es in Neu-Gasperich von Anfang an wesentlich verdichteter zugehen. Hochhäuser sind bei 60 Metern Traufhöhe keine drin, allenfalls Zwölfgeschosser. Der Plan directeur für den Ban de Gasperich aber schreibt vor, die Gebäude und die Räume beiderseits des Boulevards so zu gestalten, dass auf einem Kilometer Boulevard-Länge sich in der Hunderttausend-Einwohner-Stadt Luxemburg ein wenig Millionenstadt-Feeling einstellt. Eine „urbane“ Atmosphäre an Drosbach und Weiherbach.
Ob das aufgesetzt und künstlich wäre, wurde schon vor mehr als zehn Jahren politisch ausdiskutiert. Die Frage, ob eine solche urbane Atmosphäre sich überhaupt schaffen lassen wird, stellt sich dagegen noch immer.
Denn in offiziellen Szenarien ist die Rede von „bis zu 37 000 Bewohnern, Arbeitnehmern und Schülern“, die in zehn Jahren im Ban de Gasperich zugange sein könnten. Wie die Dinge momentan liegen, dürften die Arbeitnehmer das Gros bilden. Von den 700 000 Quadratmetern bebaubarer Fläche hat die Promotorengesellschaft Grossfeld PAP 120 000 für den Wohnungsbau vorgesehen. Im Schnitt sollen die Apartments 100 Quadratmeter Wohnfläche erhalten. Nimmt man eine Belegung mit 2,3 Personen pro Wohnung an, wie sie Schätzungen des Wohnungsbauministeriums zufolge ab 2021 den landesweiten Durchschnitt ausmachen soll, ergibt das 2 500 Neu-Gaspericher Bürger.
Ob diese Einwohnerzahl ausreichen wird, um dem neuen Quartier auch dann zu einem „urbanen Leben“ zu verhelfen, wenn auf dem Campus die Schule aus ist und vor allem die vielen tausend Angestellten ihre Büros verlassen haben? Und wenn in der ebenfalls am zentralen Boulevard Raiffeisen geplanten Shopping Mall mit einem zweiten Auchan-Hypermarkt und einem 60 Meter hohen „Turm“ Ladenschluss sein wird?
Architekten und Urbanisten in der Luxemburger Stadtverwaltung sind sich da nicht so sicher. Allerdings wirkt die Stadt an der Erschließung des Ban de Gasperich nur zum Teil mit: In dessen „öffentlichem“ Abschnitt, der so heißt, weil seine Grundstücke im kommunalen Besitz sind, lässt sie nun den Schulcampus bauen, ab Frühjahr 2016 eine neue Feuerwehrzentrale mit Feuerwehrschule sowie den mit rund 40 Hektar künftig größten Park der Stadt. Verkehrswege legt sie im gesamten Quartier an. Die wichtigsten gemeinsam mit dem Staat, darunter die Tram-Trasse, die in fünf Jahren über den Boulevard Raiffeisen verlaufen soll. Der Rest, und damit auch die Zuständigkeit für Anteil und Art des Wohnungsbaus auf der grünen Gaspericher Wiese, liegt in den privaten Händen von Grossfeld PAP, an der der Leudelinger Immobilientycoon Flavio Becca beteiligt ist. Becca stellte sich nach der Jahrtausendwende den Ban de Gasperich als reines Business-Quartier vor, wenngleich moderner und strukturiert im Vergleich zum chaotisch verbauten Gewerbegebiet Cloche d’Or nebenan. Ein vor elf Jahren getroffener Deal zwischen Becca, der Stadt und der damaligen CSV-DP-Regierung schrieb im Plan directeur für den Ban de Gasperich zehn Prozent der bebaubaren Fläche für Wohnzwecke zu nutzen vor. Diese Vorgabe übertrifft die Promotorengesellschaft heute mit ihren Planungen für 2 500 Einwohner um fast das Doppelte.
Ganz fremd ist die Vorstellung, dass die Großstadt-Simulation nur während der Büro- und Ladenöffnungszeiten funktionieren könnte, auch Grossfeld PAP nicht. Die 120 000 Quadratmeter für den Wohnungsbau seien „keine Obergrenze“, erklärt Operations Director Michel Knepper. „Wir behalten uns vor, mehr Wohnungen zu bauen.“ Etwa im südwestlichen Abschnitt des Ban de Gasperich, der im Generalbebauungsplan der Stadt als gemischte Zone ausgewiesen ist, in der Wohnungs- und Bürobau möglich wären.
Was daraus wird, bleibt abzuwarten. Promoteur und Stadtverwaltung führen derzeit informelle Gespräche zum Ban de Gasperich. Das immer weiter steigende Wohnungspreisniveau in der Hauptstadt scheint für Grossfeld PAP Investitionen in Wohnraum zunehmend interessant zu machen. Woraus allerdings auch folgt, dass „Wunnen am Ban“ nicht billig werden wird. Mehr als die gesetzlich vorgeschriebenen zehn Prozent „erschwinglichen Wohnraums“ wird es in Neu-Gasperich beim derzeitigen Stand der Dinge nicht geben, und die „sozial Mixitéit“, die immer wieder gewünscht wird, dürfte tatsächlich ein Ende haben, wenn Ladenschluss ist und die Hypermarkt-Kassiererinnen das Quartier geräumt haben werden.