Am 6. Januar war im Lëtzebuerger Land zu lesen, Luxemburg könne mehr im Bereich der nuklearen Abrüstung tun. Zu allererst möchte ich dem Autor des besagten Artikels, Herrn Max Schalz, danken für seinen Denkanstoß und dass er die Bemühungen zur nuklearen Abrüstung hervorhebt.
Wenn ich grundsätzlich mit der Schlussfolgerung seines Artikels einverstanden bin, dass nukleare Abrüstung in den letzten Jahren in weitere Ferne gerückt ist, aber dass dies kein Grund zur Resignation sein soll, sondern ein Ansporn für den Kampf für eine atomfreie Welt, so möchte ich doch einige Punkte kommentieren.
Heute besitzen neun Staaten nukleare Waffenarsenale: die Vereinigten Staaten von Amerika, das Vereinigte Königreich, Frankreich, Russland, China, Pakistan, Indien, Israel und Nordkorea. Die fünf erstgenannten sind Vertragsstaaten des Nichtverbreitungsvertrags (NVV), die vier letztgenannten sind zurzeit durch keinen einzigen Vertrag in Bezug auf nukleare Abrüstung gebunden (auch wenn bis heute juristische Unklarheit darüber herrscht, ob Nordkorea wegen Formfehlern bei seinem Rücktritt aus dem NVV eventuell doch noch vertraglich gebunden ist).
Luxemburg ist Vertragsstaat des NVV und unterstützt diesen, wo es möglich ist. Der NVV zählt heute 191 Vertragsstaaten. Dank des Sicherungssystems der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) ist es gelungen, dass bis heute nur besagte neun Staaten Nu-
klearwaffen entwickelt haben, auch wenn Iran und Syrien versuchen, das System zu umgehen, und Nordkorea ein ähnliches Unterfangen tatsächlich gelungen ist. Trotzdem bleibt der NVV ein Erfolg und gleichzeitig, dank der vorbildlichen Arbeit der Inspektoren der IAEO, die beste Garantie dafür, dass kein weiterer Staat Atomwaffen entwickelt.
Der Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) zählt 68 Vertragsstaaten. 24 weitere Staaten haben den Vertrag bisher unterzeichnet, jedoch noch nicht ratifiziert. Kein einziger der obengenannten neun Atommächte hat den AVV unterzeichnet oder sich diesem Vertrag in irgendeiner Weise positiv zugewandt. Kein Nato-Mitglied hat den Vertrag unterschrieben. Auch europäische Partner wie Finnland, Schweden oder die Schweiz finden sich nicht unter den Vertragsstaaten und haben deutlich gemacht, dem AVV nicht beitreten zu wollen. Der AVV erzielt also nur eine begrenzte Resonanz. Der Vertrag baut auf einer idealistischen Maxime auf, die Luxemburg selbstverständlich teilt: die einer nuklearwaffenfreien Welt. Der Vertrag zeichnet jedoch keinen Weg vor, wie man dieses Ziel erreichen könnte.
Man muss leider feststellen – und die erste Konferenz der Vertragsstaaten des AVV im Juni 2022 hat dies in aller Deutlichkeit gezeigt, vor allem angesichts der Texte, die von der Konferenz angenommen wurden –, dass der AVV die internationale Gemeinschaft spaltet. Dies ist sicherlich nicht die Absicht einiger unserer EU-Partner, wie Irland oder Österreich, die AVV-Vertragsstaaten sind. Der AVV ist jedoch zu einem politischen Instrument geworden, was nicht förderlich ist, um das übergreifende Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt zu erreichen. Es kann hier keine vergleichbare Dynamik entstehen, wie seinerzeit bei den Verhandlungen zum Verbot von Antipersonen-Landminen oder Streumunition. Die Vertragsstaaten des AVV haben im Kontext der ersten Konferenz nicht versucht, einen Dialog mit Nuklearwaffenstaaten einzuleiten, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Im Gegenteil: Die AVV-Vertragsstaaten scheinen darauf abgezielt zu haben, Nuklearwaffenstaaten zu isolieren und zu stigmatisieren. Diese Herangehensweise, gekoppelt mit einer undifferenzierten Haltung gegenüber NVV-Vertragsstaaten und Nicht-NVV-Vertragsstaaten, wird die nukleare Abrüstung nicht voranbringen. Es ist nicht erstaunlich, dass Frankreich, die USA und Großbritannien sich nicht in denselben Topf werfen lassen wollen wie Nordkorea. Ebenfalls kann man nachvollziehen, dass diese Nato-Alliierten, im Kontext der nuklearen Abschreckung, nicht auf ihre Atomwaffen verzichten möchten, solange es Nuklearwaffenstaaten gibt, die sich an keinerlei internationale Regeln halten wollen oder halten müssen, und es seit wenigen Jahren wieder einen Modernisierungswettkampf mit Russland und China gibt.
Des Weiteren ist zu bedauern, dass die Staaten, die auf der AVV-Vertragsstaatenkonferenz vehement die USA, Großbritannien und Frankreich attackiert haben, keinerlei Kritik üben an dem inakzeptablen nuklearen Säbelrasseln Russlands in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine, oder an der exponenziellen Erweiterung des chinesischen Nuklearwaffenarsenals. Somit entpuppte sich die erste AVV-Vertragsstaatenkonferenz als eine quasi anti-westliche Veranstaltung, wo manche Argumente, die Russland und China fälschlicherweise den Nato-Alliierten im Rahmen des NVV vorhalten, eins zu eins wiederholt wurden, ohne dass auf das unverantwortliche Verhalten Russlands und Chinas eingegangen worden wäre. Kurz: Die Realität wurde verzerrt dargestellt.
Luxemburg will keine Causa unterstützen, welche die legitimen nuklearen Abrüstungsbestrebungen nicht voranbringt, sondern die Staatengemeinschaft nur noch tiefer spaltet. An der ersten Konferenz der Vertragsstaaten des AVV haben die vier Nato-Alliierten Norwegen, Deutschland, Belgien und die Niederlande als Beobachter teilgenommen. Nach dieser ersten Beobachtungserfahrung bleibt offen, ob sie die nächste Konferenz, Ende 2023, noch einmal beobachten werden.
Innerhalb der Nato gehört Luxemburg einer informellen Staatengruppe an (mit den Niederlanden, Belgien, Deutschland, Norwegen, Dänemark und Kanada), die sich dafür einsetzt, dass die nukleare Abschreckung, auf der die Verteidigungsdoktrin des nordatlantischen Bündnisses fußt, kein Übergewicht bekommt. Das neue Strategische Konzept, welches die Nato im Sommer 2022 verabschiedet hat, spiegelt die Bemühungen dieser Staatengruppe wider. Diese Staaten setzen sich, wie der Autor Max Schalz es auch fordert, dafür ein, dass ein Dialog mit den AVV-Vertragsstaaten gesucht wird um den Graben, der aufgerissen wurde, wieder zu schließen.
Des Weiteren sei angemerkt, dass Luxemburg der Thematik der humanitären Konsequenzen aufmerksam folgt und im Juni 2022 an der Wiener Konferenz zu den humanitären Folgen und Risiken von Atomwaffen teilgenommen hat.
Luxemburg unterstützt auch die sogenannte Stockholm-Initiative, die Schweden 2019 ins Leben gerufen hat. Dieser Initiative haben sich sowohl Anhänger des AVV als auch Nato-Staaten angeschlossen. Sie zielt darauf ab, der nuklearen Abrüstung neue praktische Impulse zu geben. 2021 wurden in diesem Rahmen zum Beispiel Vorschläge zur Reduzierung nuklearer Risiken erarbeitet.
Zudem hat Luxemburg 1999 den Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty, CTBT) ratifiziert und betrachtet ihn als unerlässliches Element einer Welt ohne Atomwaffen. Luxemburg beteiligt sich aktiv an den Arbeiten in der für die Umsetzung des Vertrags zuständigen Organisation, der CTBTO. Neben der Arbeit im Rahmen der IAEO und der CTBTO arbeitet Luxemburg auch mit in der Gruppe der Nuklearlieferländer (Nuclear Suppliers Group, NSG), die das Ziel verfolgt, die Verbreitung von Kernwaffen zu verhindern. Das erfolgt durch die nationale Umsetzung von vereinbarten Richtlinien für Exporte sowie die Festlegung von Listen kontrollierter Nukleargüter und im Nuklearbereich einsetzbarer
Dual-Use Güter (zivil und militärisch verwendbare Güter).
Und so möchte ich mit folgendem französischen Diktum abschließen: „Le désarmement nucléaire ne se décrète pas, il se construit.“ Im aktuellen internationalen Umfeld bleibt der NVV die einzige realistische Grundlage auf dem harten und langen Weg hin zu einer atomwaffenfreien Welt. Deshalb hat Luxemburg sich aktiv an der zehnten Überprüfungskonferenz zum NVV im August 2022 beteiligt und in diesem Kontext bekräftigt, dass unser Ziel eine atomwaffenfreie Welt bleiben muss. Die USA und Russland – vor allem mit Blick auf das Auslaufen des New Start-Vertrags im Februar 2026 – müssen an den Verhandlungstisch zurückkehren und über neue Reduzierungen ihrer Arsenale entscheiden. Zusätzliche Bemühungen müssen darauf abzielen, auch China in ein trilaterales oder gar multilaterales Abrüstungsabkommen unter Nuklearwaffenstaaten einzubinden. Auch wenn Autor Max Schalz der Ansicht ist, dass derartige Bemühungen sich außerhalb des NVV befinden, darf man nicht aus den Augen verlieren, dass sich jene Bemühungen mit den Zielen des NVV absolut decken und somit völlig kohärent und komplementär sind.