Auslöser Belgien Ziemlich ruhig ist es um das Projekt „Medical School“ geworden. 2013 und 2014 hatten die Ausbildungsprobleme, auf die Luxemburger Medizinstudenten stoßen können, auch die Öffentlichkeit beschäftigt: Seit 1969 kann das erste Jahr in Medizin in Luxemburg belegt werden – damals am Cours universitaire, später am Centre universitaire und seit 2003 an der Universität. Zum Weiterstudieren sind für die 50 Abgänger Plätze an Unis in den Nachbarländern reserviert: 34 in Frankreich, 15 in Belgien, elf in Deutschland. Doch in Deutschland werden ausdrücklich nur die Jahrgangsbesten angenommen. Für die Unis in Wallonien ist seit 2013 eine Quote in Kraft, die nur 30 Prozent non-résidents zulässt, unter denen die Plätze ausgelost werden. Die Quote gilt auch für Anwärter auf das zweite Medizin-Jahr; auch für die aus Luxemburg, obwohl sie seit 1970 ein königlicher Erlass belgischen Studenten gleichstellt.
Vor allem wegen der in Belgien aufgetretenen Probleme wollte schon die vorige Regierung von der Universität Luxemburg wissen, ob es „machbar und nützlich“ wäre, das gesamte sechsjährige Medizin-Grundstudium hier anzubieten. Die Uni untersuchte das und schrieb noch vor den Wahlen 2013 ein Konzept. Aber nicht für eine medizinische Fakultät, wie sie typisch ist für Unis in Kontinentaleuropa, sondern für eine Medical School nach angelsächsischem Vorbild, wie sie in Nordamerika, Großbritannien, Irland und Australien häufig sind.
Die „Luxembourg Medical School“, wie ihr Arbeitstitel damals lautete und mit LMS abgekürzt wurde, sollte klein, aber fein sein: Eine Fakultät, die alle Disziplinen der Medizin abdecken und 40 bis 50 Professoren-Lehrstühle nebst Assistenten und Forschungsmitteln umfassen müsste, erschien viel zu groß und zu teuer: Mindestens 60 Millionen Euro jährlich würde es kosten, um Jahr für Jahr 200 Medizin-Master auszubilden, fast ein halbes Jahresbudget von uni.lu. Die LMS sollte mit viel weniger Professoren auskommen, weil nur auf einem oder zwei Fachgebieten der Medizin forschen – dort aber mit hohem Anspruch. In die Ausbildung der Studenten sollten, das war ein Clou, auch erfahrene Luxemburger Klinikärzte einbezogen werden. Statt 60 Millionen Euro würde die LMS allenfalls 20 Extra-Millionen benötigen und 50 Mediziner qualifizieren. Weil sogar die Ausbildungspläne damals schon geschrieben waren, hätte die Ärzteschule zum Wintersemester 2016 die ersten Studenten empfangen können, lautete der Plan der Uni.
Politisch begraben? Dazu wird sicherlich die Zeit zu knapp. Die DP-LSAP-Grünen-Regierung schrieb nicht nur in ihr Koalitionsabkommen, neben der Option „Medical School“ werde in aller Ruhe eine „Kooperation mit Universitäten in der Großregion“ geprüft, was immer das heißen sollte. Sie gab bei den Wirtschaftsprüfern von Deloitte auch eine Studie über die „sozio-ökonomischen Auswirkungen“ der LMS in Auftrag und machte sie vor einem Jahr sogar mit einer Pressekonferenz publik. Hängen blieb davon vor allem der Kostenpunkt, den Deloitte errechnet hatte: Was uni.lu plane, werde 65 Millionen Euro jährlich kosten. Das klang nach so viel, dass die Uni mit ihrem 20-Millionen-Kalkül wie eine Abenteurerin da stand und das Projekt LMS politisch begraben schien. Obwohl eine zweite Studie der Schweizer Akkreditierungsagentur AAQ, einem der renommiertesten Studiengang-Zertifizierer in Europa, der Uni bescheinigte, ihr Konzept sei nicht nur „machbar“, sondern der finanzielle Aufwand „bescheiden, gemessen am zu erwartenden Nutzen“ für das Gesundheitswesen und für Luxemburgs Ambitionen in Biomedizin-Forschung und Biotech-Industrie.
Doch es stellt sich nicht nur die Frage von Aufwand und Nutzen. Eigentlich wollte die Regierung schon im zweiten Halbjahr 2015 entscheiden, was denn nun werden soll, vertagte es dann aber bis zum Sommer dieses Jahres. Es gibt Skepsis und Widerstand; sie reichen von der Beamtenschaft im Gesundheitsministerium bis in die Koalitionsparteien, vor allem in die DP. Der Tenor: Unsere Medizinstudenten sollen ins Ausland gehen, eine Medizinausbildung kriegen wir in Luxemburg nicht hin. Zumal die Quote für die Unis in Brüssel, Louvain und Liège demnächst fallen könnte: Dieses Jahr muss Belgien der EU-Kommission beweisen, dass sein Gesundheitswesen gefährdet wäre, weil ausländische Medizinstudenten – vor allem Franzosen – den belgischen die Plätze wegnehmen, nach dem Studium das Land aber wieder verlassen. Wie das ausgeht, ist nicht jedoch nicht abzusehen.
Allerdings scheint „alle ins Ausland“ für die Regierung keine Alternative zu sein. Hinter den Kulissen ist die Medizinerausbildung weiterhin ein Thema. Vor zwei Wochen befasste sich der Aufsichtsrat der Uni damit. Denn auch eine „Kooperation in der Großregion“ bezöge uni.lu ein.
Jetzt „europäisch“ Option eins heißt heute „European Medical School“. In der klinischen Ausbildung würden Krankenhausärzte weiterhin eine große Rolle spielen, die akademische Lehre aber würde zu je einem Viertel von Professoren der medizinischen Fakultäten in Nancy und Homburg geleistet und die Luxemburger Studenten Praktika an beiden Uni-Kliniken absolvieren. Am Ende würden sie nicht nur ein Diplom der Uni Luxemburg erhalten, sondern auch eines aus Nancy oder Homburg. Die ursprüngliche Variante der Medical School sah nur zehn Prozent auswärtige Lehre vor.
Den anderen Teil der akademischen Ausbildung würden Professoren des Fachs „Life sciences“ der Uni übernehmen, zum anderen Professoren des Luxembourg Institute of Systems-Biomedicine (LCSB), die heute noch kaum lehren, und drittens Professoren des Luxembourg Institute of Health (LIH). Außerdem stellt die Uni sich vor, Lehrmodule zu nutzen, die den neuesten Schrei in der Medizin-Didaktik verkörpern sollen – entwickelt von einem Konsortium, dem renommierte Hochschulen wie das Karolinska Institut in Stockholm und das Imperial College London angehören. Neben Praktika in Homburg oder Nancy wäre mindestens ein Jahr Auslandsaufenthalt in den sechs Jahren Grundausbildung zum Master obligatorisch. Starten könnte die Medical School 2018.
Oder nur der Bachelor? In Option zwei, der „Kooperation mit der Großregion“, würde uni.lu ebenfalls mehr an Medizin ausbilden als heute: An die Stelle von einem Jahr „Life sciences“, das zum Weiterstudieren an bestimmten Unis in den Nachbarländern berechtigt, sofern nichts schiefgeht, träten drei Jahre Medizin-Bachelor. Ebenfalls in Zusammenarbeit mit den Luxemburger Spitälern, vor allem aber mit einer ausländischen Uni; Gespräche wurden bislang mit der in Straßburg geführt. Dorthin würden die Bachelor-Absolventen für die drei noch zum Master verbleibenden Jahre wechseln.
Weil letzten Endes so oder so innerhalb der Großregion kooperiert würde, bliebe politisch vor allem zu entscheiden, ob man der Uni Luxemburg eine Master- oder nur eine Bachelor-Ausbildung genehmigen will. Dass letztere Variante preiswerter wäre, ist nicht sicher: Über Kosten wurde noch nicht gesprochen; das kann nicht die Uni Straßburg selbst, das muss die Regierung in Paris tun, und ob sie Luxemburg etwas schenkt, bleibt abzuwarten. Juristische Fragen sind ebenfalls noch offen. Etwa die, ob Jahr für Jahr 50 Bachelor aus Luxemburg zum Weiterstudieren zu empfangen, vereinbar wäre mit den in Frankreich geltenden Auslesevorschriften und man Gerichtsklagen französischer Studenten wegen „Bevorzugung“ luxemburgischer riskiert.
Für die Luxemburger Uni wäre die Bachelor-Option von Nachteil: Sie könnte keinen eigenen Lehrplan aufstellen, sondern müsste dem der Partner-Uni folgen, damit der Anschluss zum Master klappt. Die Rekrutierung eigener Medizin-Professoren würde schwieriger, denn nur an einer Bachelor-Ausbildung beteiligt zu sein, ist nicht besonders interessant. Die Bachelor-Absolventen wären außerdem stark ans Weiterstudieren in Straßburg, oder mit wem auch immer man kooperierte, gebunden: Trotz Bologna-Prozess entwickeln sich die Curricula in der Medizin von Uni zu Uni immer weiter auseinander, so dass der Medizinstudentenverband Alem schon vor zwei Jahren meinte, in Luxemburg nur einen Bachelor anzubieten, wäre „katastrophal“. Und schließlich wäre es für die heimischen Klinikärzte inspirierender, an einer Master-Ausbildung mitzuwirken: Interessanter, weil erfahrener und kritischer, werden Medizinstudenten in der zweiten Hälfte ihrer sechs Jahre Grundausbildung.
So dass, wie die Dinge liegen, die „zweite Piste“ nicht so gut aussieht. Und vielleicht ist die große Variante auch besser geeignet, die bestehende biomedizinische Forschung zu bündeln, wie die Regierung sich das wünscht: Würden Uni, LCSB und LIH an der Lehre der Medical School beteiligt, würden auch Forschungsschwerpunkte, Krebs und neurodegenerative Erkrankungen, mit der Ärzteschule verbunden. Das soll sich „rechnen“: 45 Millionen Euro im Jahr gibt der Staat für die Biomedizin-Forschung der drei Akteure ohnehin aus; da wäre, meint die Uni, vom Gesamtkostenpunkt der Ärzteschule schon viel gedeckt. Damit widerspricht sie Deloitte, das in seiner Rechnung die schon bestehenden Forschungsausgaben nicht berücksichtigt hatte. Es blieben noch 15 bis 18 Millionen Euro Extraaufwand pro Jahr, die der Staat dem Uni-Haushalt zuschießen müsste. Sie würden aber erst 2027 voll anfallen, wenn die Ärzteschule mit 300 Studenten besetzt wäre. Zu Beginn wären sechs Millionen nötig.
„Idee des Monats“ Ziemlich viel scheint die Wirtschaft einer Medical School abgewinnen zu können. Als der damalige LSAP-Wirtschaftsminister Jeannot Krecké 2008 die Biotech-Initiative mit US-Partnern startete, hegte die Handelskammer mehr als nur Bedenken dagegen. Ihr Think tank Fondation Idea hält die Medical School dagegen gar für die „Idee des Monats März“: In einem langen Artikel präsentiert die Stiftung nicht nur Ärzteschulen, die mittlerweile auch in Kontinentaleuropa bestehen. Obendrein rechnet sie vor, welchen ökonomischen Nutzen die im deutschen Lübeck, im niederländischen Leiden oder die deutsch-niederländische Kooperation der Universitäten Oldenburg und Groningen hat, weil sie prosperierende Biotech-Standorte stützen. Eine Medical School in Luxemburg wäre, so die Stiftung, ein „missing link“ zwischen Forschung und Praxis in Klinik und Industrie.
Die Kardinalfrage ist aber nicht, welche Lösung die preiswerteste wäre oder die stärksten wirtschaftlichen Impulse sendete, sondern die am besten geeignete, Luxemburg einen hochwertig ausgebildeten Ärztenachwuchs zu sichern. Das ist der Grund, wieso im Hochschul- und Forschungsministerium nun auch gefragt wird: Was wäre, wenn die Spezia-lisierung zum Facharzt ebenfalls hier erfolgt, zumindest in bestimmten Disziplinen? Jahrelang gab es das nur in der Allgemeinmedizin, an der Uni, neuerdings gibt es das auch in der Neurologie: eine Kooperation des CHL und der Universität des Saarlands in Homburg macht es möglich. CHL und Hôpital Kirchberg sind bereits Akademische Lehrkrankenhäuser für deutsche Universitäten und betreuen nicht nur Luxemburger und deutsche Assistenzärzte, sondern auch belgische und französische.
Minderwertigkeitskomplexe „Wer sagt, Luxemburg sei nicht fähig, eine Medizinerausbildung einzurichten, und unsere Studenten sollten ins Ausland gehen, leidet an einem Minderwertigkeitskomplex“, meint ein Arzt gegenüber dem Land. „Die Uni hat zwar keine Tradition in der Medizin, aber sie kann sich ja eine aufbauen.“ Weil von hundert neuen Ärzten, die Luxemburg jährlich braucht, nur die Hälfte an der Medical School ausgebildet würde, bliebe eine Abhängigkeit von Auslandsstudien bestehen. Die mehrsprachig geplanten Kurse der Medical School könnten aber „auch das Ausland hierherbringen“.
So gut das klingt: In dem Fall nähmen ausländische Studenten Luxemburgern Plätze weg. Das eigentliche Problem besteht darin, dass der „europäische Hochschulraum“ nur Theorie ist, wenn es um die Medizin geht, da jeder Staat die eigenen Interessen verteidigt. In diesem Kontext die für Luxemburg beste Entscheidung zu treffen, ist sicher nicht leicht.