Als der neue und alte Staatsminister Xavier Bettel (DP) im RTL-Neujahrgespräch über Nation Branding sprach, fielen ihm sogleich die positiven Schlagzeilen internationaler Medien ein, die seine Regierung für die Ankündigung, den öffentlichen Transport gratis zu machen, bekommen hatte. Die geplante, ebenso spektakuläre Umkehr in der Drogenpolitik der Dreierkoalition erwähnte er erst auf Nachfrage. Dabei sorgte dieser Passus des Koalitionsvertrags ebenfalls für erhöhte Aufmerksamkeit. „Luxemburg legalisiert Cannabis für privaten Gebrauch“, titelte die Wochenzeitung Die Zeit. „Le Grand-duché va légaliser le Cannabis récréatif“, meldete Le Soir. Das US-amerikanische Lifestyle-Magazin Vice sah Luxemburg gar als „neues Ziel für Kiffer-Touristen“.
Das ist voreilig. Die Regierungsvereinbarung stellt wohl ein Gesetz zum Freizeitgebrauch von Cannabis in Aussicht. Unter staatlicher Kon-trolle soll eine Produktions- und Verkaufskette entstehen, die für qualitativ hochwertiges rekreatives Cannabis sorgen soll. Über die Ziele der drogenpolitischen Wende steht dort vage: „Les objectifs principaux en seront de dépénaliser, voire de légaliser sous des conditions à définir, la production sur le territoire national de même que l’achat, la possession et la consommation de cannabis récréatif pour les besoins personnels des résidents majeurs, d’éloigner les consommateurs du marché illicite, de réduire de façon déterminée les dangers psychiques et physiques y liés et de combattre la criminalité au niveau de l‘approvisionnement.“
„Da besteht noch Klärungsbedarf“, gibt Alain Origer, nationaler Drogenbeauftragter im Gesundheitsministerium, zu: Denn Dekriminalisierung und Legalisierung meint nicht dasselbe. Luxemburg hat schon länger begonnen, den Eigenkonsum von Cannabis für Freizeitzwecke zu dekriminalisieren: Wer mit Marihuana erwischt wird, wird von der Polizei verwarnt und muss im schlimmsten Fall 2 500 Euro Strafe zahlen. Mit Gefängnis wird der Konsum, Kauf und Besitz geringer Mengen nicht mehr bestraft. Wer aber Cannabis mit Minderjährigen konsumiert oder an sie verkauft, dem drohen bis zu 25 000 Euro Geldstrafe sowie bis zu zwei Jahren Gefängnis.
Legalisierung heißt, Herstellung, Verkauf und Konsum von Cannabis unter Auflagen zu erlauben. Uruguay ist weltweit das erste Land, das Cannabis zum Freizeitkonsum freigegeben hat. Dieses Jahr folgte Kanada. Michigan ist der zehnte Bundesstaat in den Vereinigten Staaten, der Kiffen von Gras in der Freizeit erlaubt. Sollte die blau-rot-grüne Mehrheit Cannabis legalisieren, wäre Luxemburg das erste Land in Europa, das diesen Schritt gehen würde. Bis es so weit ist, werden sich FreundInnen des Krauts allerdings gedulden müssen. Denn der Weg dorthin ist weit und beschwerlich. Bis die Voraussetzungen für eine Legalisierung gegeben sind, wird die Regierung sich nicht nur über Begrifflichkeiten klarer werden müssen, sondern vor allem auch über die rechtlichen, sozialen, gesundheitspolitischen und diplomatischen Folgen. Und die sind nicht ohne.
Obwohl immer mehr Länder Cannabis zu medizinischen Zwecken erlauben und Cannabis laut Europäischer Drogenbeobachtungsstelle seit Jahren die mit Abstand beliebteste illegale Droge in Europa ist, wird es von den Vereinten Nationen als eine hochgefährliche Droge ohne medizinischen Nutzen eingestuft und steht auf einer Stufe mit Heroin. Konsum, Herstellung und Handel sind demnach strafbar.
Experten fordern seit Jahren, die Klassierung von Grund auf zu überdenken. Der britische Pharmakologe David Nutt vom Imperial College in London und andere Forscher legten 2010 eine eigene Rangliste vor, in der sie verschiedene Drogen auf ihre Zerstörungskraft für den Körper und die Gesellschaft analysierten und einstuften. Heroin, Crack und Methamphetamine stellten sich als die tödlichsten Rauschgifte heraus. Doch sobald die Wissenschaftler die sozialen Auswirkungen mitberücksichtigten, führte Alkohol die Rangliste der gefährlichsten Drogen an. Cannabis, Ecstasy und LSD schätzen die Forscher dagegen als deutlich weniger zerstörerisch ein.
Auch Alain Origer sieht Bedarf, die UN-Einstufung von Cannabis zu überdenken. Doch dafür gab es – bislang – auf internationalem Parkett keine Mehrheit. „Man muss an einem Treffen des Drogenbüros der Vereinten Nationen teilgenommen haben, um zu verstehen, warum die Mühle in der Drogenpolitik sich so langsam dreht“, sagt er. In der UNODC sitzen nicht nur Länder wie Kanada, sondern auch fervente Prohibitionisten wie China, Iran oder Saudi-Arabien, wo Handel und Besitz von Drogen mit dem Tod bestraft werden. Indonesien, Malaysia und Singapur sehen ebenfalls die Todesstrafe für Drogendelinquenten vor, obschon sie dort seltener vollstreckt wird.
Inzwischen mehren sich Stimmen, die die rigorose Verbotspolitik hinterfragen, nicht zuletzt weil immer mehr Studien den medizinischen Nutzen von Cannabis belegen und weil selbst in den USA, einem der brutalsten Akteure im War on drugs, die Null-Toleranz-Drogenpolitik auf immer mehr Ablehnung stößt. Untersuchungen belegen, wie selektiv und ungerecht der Anti-Drogenkrieg ist: Er trifft vor allem Arme, nicht-weiße Konsumenten und kleine Produzenten, während die Mafia und Drogenkartelle mit dem verbotenen Rausch Riesengewinne machen.
2015 versprach der kanadische Premierminister Justin Trudeau seinen Wählern die Legalisierung von Cannabis. Sein Ziel: das Geschäft der Drogenbosse zu vermiesen, den Schwarzmarkt, wenn nicht auszutrocknen, jedoch deutlich zu reduzieren und die Gesundheitsvorsorge von Suchtkrankheiten zu verbessern. Bis das Parlament das Gesetz zum Freizeitgebrauch von Cannabis verabschiedete, ließ eine Arbeitsgruppe zwei Jahre lang alle möglichen Fragen rund um das Kraut analysieren, hörte Experten aus unterschiedlichen Bereichen, von Ärztinnen über Suchtberatungen, von Staatsanwälten und Richterinnen bis hin zu Nutzern an. „Kanada ist ein Musterbeispiel von einer durchdachten Vorgehensweise und einem handwerklich erstklassigen Regelwerk“, sagt Origer anerkennend.
Und trotzdem kamen Völkerrechtsexperten zum Schluss, dass das kanadische Cannabisgesetz gegen drei zentrale UN-Konventionen verstößt: die über Betäubungsmittel von 1961, die von 1971 zu psychoaktiven Substanzen sowie gegen die 1988-er Konvention gegen den illegalen Handel mit Betäubungsmitteln und psychoaktiven Substanzen. Als am 17. Oktober das Gesetz in Kraft trat, fiel die Antwort des UN-Drogenbüros unmissverständlich aus: „By moving forward with the legalisation of cannabis for non-medical purposes in disregard of its legal obligations and diplomatic commitments, the Government of Canada has contributed to weakening the international legal drug control framework and undermining the rules-based international order.“
Als die Nachricht über den Ticker lief, dass auch Luxemburg die Legalisierung von Cannabis plane, „stand das Telefon nicht mehr still. Es hat von morgens bis abends geklingelt“, berichtet Origer, und man ahnt die Dimensionen, die sich auftun, wenn ein kleines Land wie Luxemburg sich drogenpolitisch neu aufstellen sollte. Damit das klappt, braucht es nicht nur erstklassige Berater und Juristinnen, die jeden Fallstrick antizipieren und einen juristisch wasserdichten Text schreiben. Die Legalisierung als Maßnahme anzupreisen, die die Jugend vor Kriminalisierung und vor Gesundheitsrisiken durch den Konsum illegaler unkontrollierter Drogen zu schützen, reicht nicht. Es braucht eine schlüssige Strategie, wie die Regierung die Wende der Bevölkerung vermitteln und sie umsetzen will.
Dabei gilt es, Vorurteile auszuräumen und Gefahren trotzdem nicht kleinzureden: In der Polizei gibt es Beamte, die Cannabis als Einstiegsdroge zu harten Drogen verteufeln. Obwohl erwiesen ist, dass Cannabis längst nicht so schädlich ist wie Heroin oder Crystal Meth und THC-Überdosen nicht tödlich sind, ist sein Konsum nicht ohne Risiko: Übermäßiger Cannabiskonsum, zumal mit hohen THC-Werten, kann abhängig machen und wahrscheinlich auch Psychosen auslösen.
Bisher ist der genaue Zusammenhang zwischen Cannabis und psychiatrischen Erkrankungen nicht eindeutig geklärt. Forscher gehen davon aus, dass genetische Veranlagungen für Schizophrenie eine Rolle bei Cannabis-induzierten Psychosen spielen, aber im Labor zeigten sogar unvorbelastete Testpersonen beim übermäßigen Konsum von THC erhöhte Anzeichen von Psychosen. Lag früher der THC-Wert eines Joints bei fünf Prozent oder darunter, sind heute THC-Werte von zehn bis 15 Prozent keine Seltenheit.
Suchthilfeorganisationen plädieren daher dafür, Kiffen frühestens ab über 20 Jahren zu erlauben, weil das Gehirn vorher nicht ausgereift ist. Dagegen spricht aber, dass mit höherer Altersgrenze die Gefahr steigt, dass neugierige (und oft finanzkräftige) Jugendliche das Kraut dann auf dem Schwarzmarkt kaufen – mit den damit verbundenen Qualitätsschwankungen und Risiken.
Bisher hielt sich die Neugierde hierzulande in Grenzen: Obwohl Cannabis bei Jugendlichen zwischen zwölf und 18 Jahren die beliebteste illegale Droge ist, nahm der Anteil jugendlicher CannabiskonsumentInnen laut nationalem Drogenbericht von 2017 in den vergangenen Jahren tendenziell ab. Etwa 18 Prozent der 15-Jährigen in Luxemburg gaben in der WHO-Wohlbefindlichkeitsstudie von 2014 an, mindestens einmal Cannabis probiert zu haben. Damit liegt Luxemburg unter dem EU-Durchschnitt. „Es ist wichtig, dass eine Legalisierung nicht zum Konsum anregt und die Konsumrate infolgedessen steigt“, warnt Alain Origer. Der Psychologe verspricht, den Aspekt während der Beratungen „besonders im Blick zu behalten“.