Luxemburg sei ein „Sonderfall“ – das steht gleich an mehreren Stellen in dem 45 Seiten langen Landesplanungsbericht der Regierung ans Parlament. Mag sein, dass das die Abgeordneten auch sensibilisieren soll. Die Entwicklung des Landes in den letzten drei Jahrzehnten aber war im EU-Vergleich tatsächlich in mancher Hinsicht eine besondere, wie der Bericht zeigt.
Die Einwohnerzahl stieg in diesem Zeitraum um 50 Prozent oder 185 000 Personen und lag Ende vergangenen Jahres bei 550 000. An dem Trend hatte auch die Finanz- und Wirtschaftkrise nichts geändert; obwohl das BIP-Wachstum 2008 einbrach, Luxemburg 2009 in die Rezes-sion geriet und die Wirtschaft nach einem Aufschwung 2010 langsamer wächst, hat sich der Einwohnerzuwachs sogar beschleunigt. Er betrug in den letzten Jahren rund zwei Prozent jährlich, der Dreißig-Jahre-Durchschnitt 1984 bis 2014 liegt dagegen bei 1,7 Prozent. Auch der Arbeitsplatzzuwachs stagnierte 2009 nur beinahe, um 2010 wieder anzuziehen. Im Schnitt entstanden zwischen 2003 und 2013 in Luxemburg jedes Jahr 2,8 Prozent mehr Jobs als im Jahr zuvor – eine Wachstumsrate, die drei Mal höher war als die in Belgien, vier Mal so hoch wie die deutsche und die neun Mal über der in Frankreich und dem EU27-Durchschnitt lag.
Relativ neu ist, dass die Grenzpendlerzahl nicht mehr so rasant wächst wie noch zwischen 2002 und 2008. Im Herbst vergangenen Jahres überschritt die Zahl der in Luxemburg beruflich Aktiven die 400 000-Marke, die der Grenzpendler dagegen lag seit 2011 bei knapp 170 000 und hatte diese Schwelle auch Ende Oktober 2014 noch nicht übertroffen. Das Nachhaltigkeitsministe-rium geht davon aus, dass sich dahinter weniger der Trend verbirgt, dass immer mehr frontaliers sich in Luxemburg niederlassen würden, sondern eine zunehmende Einwanderung, bei der gleich nach einer Wohnung im Großherzogtum gesucht wird und das grenznahe Ausland keine Option darstellt.
Hauptattraktionspol ist weiterhin Luxemburg-Stadt, dessen Einwohnerzahl zwar stark zunimmt, wo die Arbeitsplatzdichte mit 3 800 Jobs auf tausend berufstätige Einwohner aber weiterhin so hoch ist wie nirgendwo sonst in Europa. In Frankfurt am Main, der ökonomisch dynamischsten Stadt Deutschlands, ist sie mit 1 350 Arbeitsplätzen auf tausend Aktive fast drei Mal geringer.
Das ungünstige Jobs-Einwohner-Verhältnis in der Hauptstadt, in der 40 Prozent aller Arbeitsplätze des Landes zu finden sind, führt nicht nur zu vielen Pendlerfahrten – der Berufsverkehr auf der Autobahn A3 in Höhe des Gaspericher Kreuzes zum Beispiel wuchs allein zwischen 1985 und 2010 um 800 Prozent. Unter den Berufspendlern nach Luxemburg-Stadt sind es auch nur die im Großherzogtum ansässigen, deren Fahrzeit vom Wohnort zum Arbeitsort mit 30 Minuten nicht länegr ist als im Durchschnitt der „entwickelten Länder“, wie der Landesplanungsbericht festhält. Grenzpendler dagegen sind im Schnitt doppelt so lange unterwegs.
Der Bericht zieht aus diesen Feststellungen vor allem den naheliegenden Schluss eines nicht nur anhaltenden, sondern zunehmenden Wohnungsmangels. Der werde durch noch verstärkt durch die Zunahme von Single- und Geschiedenenhaushalten: Bestand der Durchschnittshaushalt 2001 aus 2,5 Personen, werden es 2021 voraussichtlich 2,3 sein. Fatalerweise aber hält damit nicht nur die Zahl der Wohnungen nicht Schritt, die durchschnittliche Wohnfläche pro Bewohner wird immer größer. Und weil der „Speckgürtel“ um die Hauptstadt immer weiter nach außen wächst, die Suche nach bezahlbarem Wohnraum viele aufs Land treibt, ist Luxemburg mittlerweile nicht nur stärker „verbaut“ als das unmittelbar angrenzende Ausland, sondern auch stärker als das Département Bas-Rhin mit Straßburg.