In der zweiten Jahreshälfte 2014 hatte die Diskussion der vier staatlichen Plans sectoriels über Wohnungsbau, Verkehrswege, Gewerbegebiete und schützenswerte Landschaften hohe Wellen geschlagen. Ende November stoppte die Regierung die Prozedur zu den Plänen. Sie fürchtete, das Verfahren sei nicht verfassungskonform und generell juristisch unsicher. Für dieses Jahr kündigte sie einen neuen Anlauf an. Am 19. März findet in der Abgeordnetenkammer eine Debatte über die Landesplanung statt.
d’Land: Herr Bausch, kommen in drei Wochen bei der Landesplanungsdebatte im Parlament die vier Plans sectoriels wieder auf den Tisch?
François Bausch: Wir möchten eine Grundsatzdiskussion der gesamten Landesplanung. Die Parlamentsdebatte soll nur der Anfang sein. Im Mai werden wir in einem Forum auch die Zivilgesellschaft konsultieren und bis zum Sommer überhaupt viele Diskussionen führen. Bis zum Jahresende wollen wir das Landesplanungsgesetz, die Plans sectoriels sowie das Programme directeur, das Leitlinien zur Landesplanung enthält, überarbeiten.
Damit stellt die Regierung im Grunde alles infrage. Warum hat sie das nicht schon vor einem Jahr getan, bald nach ihrem Amtsantritt?
An den Plans sectoriels war zehn Jahre lang unter wechselnden Regierungen gearbeitet worden. Die mussten einfach raus.
Damit sich zeigte, was in 15 Jahren CSV-geführter Landesplanung falsch gemacht wurde?
Wir wollten mit der Veröffentlichung der Pläne eine Diskussion anregen. Aber es ging uns vor allem um die Sache. Es gab ja bisher noch nie staatliche Pläne über Verkehrswege, Wohnungsbau, Gewerbegebiete und Landschaftsschutz. In einem kleinen Land, das stark wächst, sind das außerordentlich wichtige Themen, aber sie sind auch sehr technisch. Und wenn der Staat in so großem Umfang plant, greift er zwangsläufig in die Planungshoheit der Gemeinden und ins private Grundeigentum ein. Wir wollten, dass ein solcher Schritt einmal konkret wird, und wollten sehen, was er auslöst.
Was erwarten Sie von der Debatte im Parlament?
Ich hoffe, die Kammer richtet einen Entschließungsantrag an die Regierung, der einen politischen Konsens über die Werkzeuge enthält, mit denen wir in Zukunft das Wachstum im Land begleiten werden.
Was für Werkzeuge?
Das Nachhaltigkeitsministerium hat gemeinsam mit dem Wohnungsbau-, dem Wirtschafts- und dem Innenministerium einen 45 Seiten langen Bericht an die Abgeordneten geschrieben. Darin bringen wir auf den Punkt, welchen Entwicklungstendenzen Luxemburg unterliegt, und schlagen vor, welchen Rahmen man dem anhaltenden Wachstum geben kann. Wir wollen klären, wie weit Vorschriften dazu reichen sollen und wann Empfehlungen genügen. Wir wollen die Regeln einfacher und verständlicher machen. Der potenzielle Konflikt zwischen privatem Grundeigentum und planerischen Zielen im öffentlichen Interesse soll gelöst werden, aber ohne dass es die Landesplanung schwächt. Und wir wollen die Mitsprache der Gemeinden bei der Landesplanung klar verankern. Derzeit verläuft alles zu stark von oben her, das haben die Gemeinden in ihren Stellungnahmen zu den Plans sectoriels zu Recht kritisiert. Als Sofortmaßnahme hat die Regierung den Gemeindeverband Syvicol an der interministeriellen Planungsarbeitsgruppe Inter plans sectoriels beteiligt.
Bleibt es bei den 25 Großprojekten für Wohnungsbau auf der grünen Wiese?
Die meisten werden wir fallenlassen. Aber nicht, weil kein Wohnungsbau im großen Stil nötig wäre. Wir wollen auf Neuausweisungen außerhalb des Bauperimeters verzichten. Im Moment werden pro Jahr 730 Hektar Landesfläche verbaut. Das entspricht der Luxemburger Innenstadt vom Stadion an der Arloner Straße bis zur Bonneweger Kirche. Das muss aufhören, denn die Bevölkerung wächst, der Druck auf die Ressource Boden wird immer größer. Auch die Gemeinden sagen, es sei besser innerhalb des Perimeters dichter zu bauen, das heißt vor allem Baulücken zu schließen.
Gibt es für eine wachsende Bevölkerung genug Bauland im Perimeter?
Nicht in jeder Gemeinde, aber in vielen. Im ganzen Land können innerhalb des Perimeters allein durch Baulückenschließungen bis zu 2 700 Hektar neu bebaut werden. Wir müssen uns gemeinsam mit den Gemeinden darüber klar werden, wo prioritär Wohnungsbau stattfinden soll.
Wissen Sie, weshalb die erste Fassung des Wohnungsbauplans so viele Neuausweisungen auf der grünen Wiese enthielt?
Angesichts des Drucks am Wohnungsmarkt war es von der vorigen Regierung und ihrem Wohnungsbauminister politisch gewollt, viele Großprojekte auszuweisen – auch wenn das landesplanerisch nicht immer sinnvoll war.
Projekte auf der grünen Wiese wären aber auch preiswert gewesen. Es hätte der Grundstückspreis in einer Grünzone gegolten. Die Spekulationsbremse im Landesplanungsgesetz hätte den Preis mit Verweis auf das intérêt publique auf den Stand von Juni 2014 eingefroren. Innerhalb des Perimeters sind die Terrains teurer.
Nicht unbedingt. Zurzeit macht die Wohnungsbauministerin mit den Gemeinden eine Bestandsaufnahme, eine Kartografie, aus der hervorgeht, welche Flächenreserven es im Perimeter gibt, welche Baulücken und wem all diese Grundstücke gehören. Die Karte wird bald fertig sein, dann wissen wir mehr. Schon jetzt wissen wir, dass viele Gemeinden eigene Flächen haben. Die sollten mobilisiert werden, und wenn man sich die richtigen Instrumente gibt, bekommt man auch Flächen in Privatbesitz mobilisiert.
Mit welchen Instrumenten?
Im Landesplanungsgesetz sind Instrumente vorgesehen, Vorkaufsrecht für die öffentliche Hand, Enteignungen im allgemeinen Interesse ...
... alles verfassungsrechtlich bedenklich.
Deshalb müssen wir das Landesplanungsgesetz anpassen und eine prinzipielle Diskussion über das Verhältnis zwischen dem Schutz des Privateigentums einerseits und dem von knappen Ressourcen wie dem Boden andererseits führen. Wir kommen daran nicht vorbei. Zum Wohnungsbau möchte ich noch bemerken: Instrumente, mit denen man Druck auf den Markt ausübt, um mehr private Flächen zu mobilisieren, werden kaum die Wohnungspreise senken. Nimmt die Bevölkerung weiterhin um 12 000 Einwohner pro Jahr zu, ist die Nachfrage zu groß.
Und erschwinglicher Wohnraum eine Illusion?
Nicht wenn Staat und Gemeinden selber bauen. In Luxemburg-Stadt zum Beispiel erarbeiten wir gemeinsam mit dem Wohnungsbauministerium und dem Fonds Kirchberg ein Projekt. Bis zu 1 000 Wohnungen sollen auf dem Kirchberg entstehen, 70 Prozent davon unter dem Marktpreis angeboten werden. Es sollen auch viel mehr Mietwohnungen entstehen. Das will die Regierung wesentlich stärker fördern als bisher. Unter den 25 Großprojekten im alten Plan sectoriel logement gibt es welche, deren Flächen schon dem Fonds du logement oder der Société nationale des habitations à bon marché gehören. Diese projets d’envergure könnte man realisieren – für Mietwohnungsbau im großen Stil. Und darüber hinaus mit den Gemeinden schauen, welche Flächen im kommunalen Besitz es noch gibt, und dort ebenfalls solche Projekte aufstellen. Es herrscht ein eklatanter Mangel an Mietwohnungen zu vernünftigen Preisen.
Bei der Vorstellung der Plans sectoriels im Juni sagten Sie, es könne eine „ergebnisoffene Diskussion“ geführt und auch die Frage gestellt werden: „Welches Luxemburg wollen wir?“ Was werden Sie bei den Konsultationen in den kommenden Monaten antworten, wenn jemand sagt, ein Wähler von Déi Gréng vielleicht: „Ich will so viel Wachstum nicht, 700 000 Einwohner im Jahr 2030 wären mir zu viel ...“?
Wenn man darauf antwortet, dass dann das Rentenniveau gesenkt werden müsste, sehen die Leute das Problem anders.
Könnte man das Wachstum denn senken?
Ich wüsste nicht wie, in einer kleinen und extrem offenen Volkswirtschaft wie unserer, die zu 80 Prozent exportabhängig ist. Und ich sehe niemanden, der politisch dafür eintritt.
Déi Gréng in der Regierung offenbar auch nicht.
Das Wachstum ist nicht das Problem. Die Frage ist, wie man es managt und der Verschwendung von Ressourcen Einhalt gebietet. Verglichen mit dem Saarland, das ungefähr die gleiche Fläche hat, aber etwa doppelt so viele Einwohner, ist Luxemburg bevölkerungsmäßig unterentwickelt. Aber wenn in anderen Ländern ein Hektar Land verbraucht wird, sind es bei uns zehn. Damit muss Schluss sein, sonst geht die Entwicklung ganz sicher schief. Dann bremsen wir auch das Wachstum ab, weil nichts mehr geht. Zum Beispiel in der Mobilität.
Wenn der Wohnungsbau kanalisiert werden soll, werden bestimmte Gemeinden stärker wachsen als andere. Im Programme directeur zur Landesplanung ist seit 1999 die Rede von 16 bevorzugt zu entwickelnden Gemeinden, den CDA. Die alten Plans sectoriels hatten dagegen 43 „prioritäre“ und 63 „komplementäre“ Gemeinden definiert. Die prioritären hätten quasi unbeschränkt wachsen dürfen. Soll das so kommen?
Es war ein Fehler der vorigen Regierung, vom CDA-Ansatz abzuweichen. Obwohl ich es verstehen kann, angesichts des rasanten Bevölkerungswachstums viele Gemeinden in den CDA-Status heben zu wollen. Zumal sich in den letzten zehn Jahren gezeigt hat, dass vor allem die Gemeinden stark wuchsen, die kein CDA sind. Man hätte in den Planentwürfen aber sagen müssen, dass es sich dabei um eine Fehlentwicklung handelt, die korrigiert werden muss.
Was nun geschehen soll?
Einfach wird das nicht, aber: ja, das soll korrigiert werden. Natürlich ist das nicht nur eine Frage von Landesplanung, sondern ebenso eine der Gemeindefinanzierung und der interkommunalen Zusammenarbeit. Für die sind die Gemeinden heute viel offener als noch vor einem Jahr. Der Gemeindeverband Syvicol hat selber vorgeschlagen: Geben wir uns im Wohnungsbau doch regionale Ziele und schauen, welche Gemeinden in den Regionen in letzter Zeit viel in Infrastrukturen für zusätzliche Einwohner investiert haben und welche mit ihrem kommunalen Haushalt auf dem letzten Loch pfeifen.
Wenn man Gemeinden zu wachsen erlaubt, die in letzter Zeit viel investiert haben, erwischt man aber womöglich nicht nur „Entwicklungszentren“. Auch in Dörfer fließt für Infrastrukturen Geld aus Pactes logements mit dem Staat.
Innenminister Dan Kersch arbeitet an einer Gemeindefinanzreform. Die ist parallel zur Reform der Landesplanung ganz wichtig. Wir müssen die Städte stärken. Die wurden lange vernachlässigt. Es wurde hingenommen, dass Stadtzentren leblos wurden, der Autoverkehr immer mehr zunahm. Wir brauchen mehr urbane Lebensqualität in den Städten. Und wir brauchen regionale Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden. Andernfalls lassen sich nie Gegenpole zur Hauptstadt schaffen. Die wird immer attraktiver, das sieht man auch an den Zahlen. In den Siebzigerjahren wuchs die Bevölkerung von Luxemburg-Stadt bisweilen nur um 25 Personen jährlich. Heute sind es weit über tausend, und das wird auch so weitergehen.
Wie gewinnt man denn Gemeinden zur regionalen Zusammenarbeit?
Zum Beispiel, indem man ihnen interessante Projekte vorschlägt. Mit den Alzettetal-Gemeinden von Mersch bis Walferdingen sind wir im Gespräch über die Gründung eines gemeinsamen Gewerbegebiets. Das bringt allen was und kann ein Anfang sein für Kooperationen auf anderen Ebenen. Die Nordstad-Gemeinden sind dabei, ein Syndicat à vocation multiple zu gründen, in dem sie wesentlich stärker zusammenarbeiten wollen als bisher. Mit Prosud reden wir über die Zukunft dieses Syndikats, es ist schade dass es ausgerechnet jetzt auseinanderzubrechen droht. Aber vielleicht lässt sich im Süden die Kooperation auf kleinerem Raum herstellen. Einerseits um Düdelingen, Bettemburg, Kayl und Rümelingen, zweitens um Esch, Sassenheim, Schifflingen und Monnerich und drittens im Korntal. Und dann gibt es natürlich noch den Hebel über die Gemeindesubventionen. Nicht jedes kleine Dorf braucht beispielsweise eine Sporthalle. Die Landgemeinden sollen sich entwickeln und ihren Bürgern Dienstleistungen anbieten. Man muss aber definieren, was das ist, und dafür gibt es dann Geld. Darüberhinaus ist Schluss – aber die Regierung hat im Landesplanungs-Bericht an die Abgeordnetenkammer angekündigt, dass die „regionale Komponente“ in die Subventionspolitik an die Gemeinden eingebaut wird, mit transparenten Kriterien, die sich nach landesplanerischen Zielen richten. Das wird ein großer Schritt nach vorn, das gab es bisher nicht.
Sie haben die Stärkung der Städte erwähnt: Luxemburg setzt wirtschaftspolitisch auf die „Wissensgesellschaft“ und dabei auch auf den Zuzug hochqualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland. Ist die mangelnde urbane Qualität vieler Städte ein Standortnachteil?
Das Risiko besteht, meine ich. Dass Luxemburg-Stadt so attraktiv ist, könnte ein Anzeichen dafür sein. Interessant ist auch, dass dort der anglophone Bevölkerungsanteil in letzter Zeit stark wächst. Ich bin sicher, ein Forscher im Bereich Ecotech oder ein IT-Experte sucht eine ganz bestimmte urbane Qualität, und wenn er die hier nicht vorfindet, können wir unsere Steuern senken, wie wir wollen, dann sagt er: Nein, Danke!
Dann könnten abgesehen von der Hauptstadt alle anderen Städte schon wegen ihrer Größe nicht interessant genug sein, ganz gleich wie stark sie sich anstrengen.
Das glaube ich nicht. Städte wie Düdelingen und Differdingen haben viel urbane Substanz, die sich ausbauen lässt, Esch mit Belval sowieso. Eine Metropole wie Paris oder Berlin hat Luxemburg natürlich nicht zu bieten, aber urbane Lebensqualität ist nicht nur eine Frage von Größe und Einwohnerzahl. Im Süden gibt es viele Bürgermeister, die bei der Entwicklung ihrer Gemeinde Gas geben. Und ein Vorzug des ganzen Landes ist seine kulturell vielfältige Immigration. Ganz wichtig ist aber, und da schließt sich ein Kreis, dass genug bezahlbarer Wohnraum bereitsteht.