Wie es im Titel steht, könnte man die Wirklichkeit beschreiben, was die Aufarbeitung des Abgasskandals in Luxemburg angeht. Zweieinhalb Jahre ist es her, dass der VW-Skandal Dieselautos in Verruf brachte. Wer auf ein schnelles Abebben der Empörung spekulierte, sah sich getäuscht: Die vor kurzem aufgedeckten Abgastests an Menschen und Affen waren nur der letzte Paukenschlag einer langen Aufdeckungsserie. „Dieselgate“ mutierte zum größten Industrieskandal der Nachkriegsgeschichte.
Abgesehen davon, dass einige in die Affäre implizierte Typenprüfungen an die hiesige Zulassungsbehörde ausgelagert worden waren, ging der Abgasskandal an der nationalen Tagesordnung recht spurlos vorüber. Wohl hat Luxemburg eine bald im Autocluster vereinte Autozulieferindustrie, doch werden strategische Entscheidungen zu neuen Wertschöpfungsketten andernorts getroffen. Wie Luxemburg dennoch gesellschaftlich und politisch den Abgang des Diesels hinauszögert, ist Inhalt dieses Beitrags.
Der Dieselfahrzeugmarkt
Weltweit werden sieben von zehn dieselbetriebenen Autos in Europa abgesetzt. Dabei hat sich die Strategie der europäischen Automobilindustrie, dem Klimawandel mit der Dieseltechnologie zu begegnen, als abwegig herausgestellt. Sie hat der Industrie den Weg vernebelt, zukunftsträchtige Technik zu entwickeln. Der Trend zu Hybrid- und Elektrofahrzeugen wurde verschlafen, sodass die Hersteller sich heute in der misslichen Lage befinden, zum Überleben weiterhin das zu bauen, was sie am besten beherrschen: Dieselfahrzeuge. Die aber werden von den Kunden zusehends und aus gutem Grund verschmäht. Auch auf dem Gebrauchtwagenmarkt stehen mittlerweile schon Euro-5-Dieselautos auf Halde. Auf dem deutschen Gebrauchtwagenmarkt etwa überstieg das Angebot an Selbstzündern letztes Jahr die Nachfrage um fast das Doppelte. Und es wächst weiter.
In Luxemburg ist die Welt noch halbwegs in Ordnung. Wohl sackte auch hier der Dieselmarkt ein, doch lag 2017 der Dieselanteil an den PKW-Neuzulassungen noch bei 53,9 Prozent. In den ebenfalls mit hohem Dieselanteil ringenden Nachbarländern Frankreich und Belgien betrug er 47,3 Prozent beziehungsweise 46,3 Prozent, in Deutschland schrumpfte er auf 38,8 Prozent. Im Januar lag er dort sogar bei nur noch einem Drittel. Somit liegt Luxemburg wie ehedem im Spitzenpeloton bei den Diesel-PKW-Zulassungen. Die Autohändlerverbände sprechen indes von einem „normalem Niveau“, das sie auf den „Wegfall der Dieselvergünstigungen“ zurückführen – wobei aber außer einer leichten Korrektur der Firmenwagenbesteuerung nichts dergleichen stattfand. In einem RTL-Gespräch1 geißelte Ernest Pirsch, Koordinator der im House of Automobile (HoA) zusammengeschlossenen Verbände, das „Diesel-Bashing“ und appellierte an die Emotionen: „ein Kunde, der hier in Luxemburg aber noch vorwiegend Diesel fährt“. Es wird an eigens für das Autofestival organisierte Weiterbildungskurse erinnert, an denen der HoA-Koordinator aber wohl eher nicht teilnahm: Wie sonst wäre es zu erklären, dass Ernest Pirsch, auf die „enormen Fortschritte“ im Abgasbereich eingehend, Treibhausgase mit Stickoxiden verwechselte und die Schwefeldioxid-Verpestung durch die Seeschifffahrt als Argument anführte, wie sauber Autos auf Luxemburger Straßen geworden seien?
Man darf verdutzt sein, mit welcher Leichtigkeit in Luxemburg Autoverkäufer die Deutungshoheit über die automobile Kultur innehaben, wenn es denn so etwas gibt. So konnte das Autofestival dieses Jahr auch ohne traditionellen Handshake zwischen dem Transportminister und der Autolobby das alljährliche Ambiente einer zur Institution mutierten Verkaufsveranstaltung erneut befrieden.
Diesel-PKW untauglich für besseres Klima
Bei so viel Happy family-Atmosphäre durfte man glatt eigene Kunden als „über- oder missinformiert“ bezeichnen und gleichzeitig kritische Einsichten marktgerecht abwiegeln. Mit fraglichem Beistand der Société nationale de circulation automobile werden dem Diesel-PKW-Rückgang negative Folgen für den Klimaschutz zugeschrieben. Außer Acht gelassen wird dabei, dass sich die Zahl der Geländewagen-SUV auf unseren Straßen seit 2007 verdoppelt hat, ihr Anteil im vergangenen Jahr gar 44,1 Prozent an den Neuzulassungen erreichte und diese Autos den Kunden mit staatlich verbilligtem Dieseltreibstoff schmackhaft gemacht werden. Durch Überkompensation stoßen Diesel-PKW heute mehr Klimagase aus als ihre kleineren Benzin-Brüder. Darüber hinaus sind heute gleichstark motorisierte Benziner durch Einspritztechnologie keinesfalls weniger klimaverträglich als Diesel-PKW: Bei Dieselautos führt einerseits die eingeforderte Abgasreinigungstechnik zu mehr CO2-Ausstoß. Andererseits fallen weit höhere Emissionen bei der Dieseltreibstoff- und der Fahrzeugproduktion an, da Dieselautos durchschnittlich 150 Kilogramm mehr wiegen als Benziner. Zu allem Überfluss ist aus entwicklungspolitischer Sicht Biodiesel schädlicher als Bioethanol.
Vergleicht man die CO2-Emissionen der PKW-Mittelklasse nach Antriebsart, so emittiert zum Beispiel ein benzinbetriebener VW Golf TSI mit 110 Kilowatt Leistung nach Herstellerangaben (NEDC) zwischen fünf und acht Gramm weniger CO2 pro Kilometer als sein gleichgearteter TDI-Bruder mit Dieselmotor. Dabei kostet die Diesel-Variante in Luxemburg 2 340 Euro mehr, in Deutschland sogar 3 400 Euro (+45%). Dort aber ist ein vergleichbarer Hybrid-Benziner mit besseren Emissionswerten bereits für 1 700 Euro Aufpreis zu haben2. Inwiefern Automobilkonzerne die auf nationalen Märkten erzielten Umsätze durch Quersubventionierung der Modellpaletten steuern, kann nur eine breitere Analyse ergeben. Doch spiegeln geldlich angefachte Kaufempfehlungen bei Dieselmodellen in Luxemburg den Diskurs der Autohändler wider, dort wo sich der Markt wegen einer weniger ausgeprägten Aversion gegenüber diesem Antrieb vorzeichnet. Dabei produziert die europäi-
sche Autoindustrie zurzeit einen Riesenüberhang an einträglichen, weil seit langem abgeschriebenen Dieselmodellen. Dass die in etlichen Jahren die Gebrauchtwagenhalden anschwellen lassen werden, interessiert Autoverkäufer weniger.
Staatliche Verantwortlichkeit
Die Interessenlagen eines Gemeinwesens umfassen neben dem Vorsatz der jeweiligen politischen Führung langfristige, auf Selbsterhaltung angelegte Eigeninteressen des Staates. In den Wirren der Geschichte hat Luxemburg als Kleinstaat sich mit Nischenpolitik behaupten können, welche die Enge als Mittel zur Selbstentfaltung ausschöpft. Dazu gehört auch der so genannte Tanktourismus, mangels eindeutiger Definition im Folgenden Treibstoffexport genannt. Wie andere Nischenaktivitäten gehört diese zum Selbstverständnis des Luxemburger Gemeinwesens und jeder von außen wie von innen kommende Versuch, sie zu diskreditieren, wird als Angriff auf ein rechtmäßig erworbenes Privileg aufgefasst.
Die aktuelle Regierung hat mit der Studie zu den Auswirkungen des Treibstoffexports die Praxis des als unbedenklich erachteten Abstrichs an den Mineralölsteuern unserer Nachbarregionen in Frage gestellt. Das geschah nicht etwa, um teils notleidenden Gebieten unter die Arme zu greifen, sondern weil der Verdacht bestand, dass die Kosten dieser als Wirtschaftszweig verstandenen Aktivität die fiskalen Einkünfte übersteigen könnten. Was sie denn auch tun. Besonders stechen die im Ausland anfallenden Umwelt- und Gesundheitskosten hervor. Doch gänzlich unberücksichtigt bleiben die Folgekosten der durch die künstliche Verbilligung des Dieselsprits induzierten hohen Diesellastigkeit des Luxemburger Fuhrparks.
Weil die Regierung sich uneins ist, werden auch mehr als ein Jahr nach der Vorstellung der Studie keine Konsequenzen in Erwägung gezogen. Und wie es scheint, wird das auch bis zum Ende der Legislaturperiode nicht der Fall sein. Dabei könnte allein die Brisanz des Themas der überlasteten Straßen der Studie eine hohe Aufmerksamkeit bescheren. Die grünen Regierungsvertreter behelfen sich ansatzweise mit einer nationalen Stickoxid-Messkampagne in Zusammenarbeit mit den Gemeinden. Ob die zur Sensibilisierung potenzieller Käufer während des Autofestivals beiträgt, ist fraglich.
Vergleicht man die durch den Abgasskandal getroffenen Maßnahmen der umliegenden Länder und darüber hinaus, dann schneidet Luxemburg sehr schlecht ab. So hat man in Belgien das Eurovignette-Mautsystem für LKW abgeschafft und durch ein nach der Abgasnorm gestaffeltes System ersetzt, wobei binnen eines Jahres der Anteil der viel saubereren Euro-VI-Lastwagen auf belgischen Autobahnen um fast 50 Prozent wuchs. Dieseltreibstoff wurde merklich verteuert durch das „système cliquet“, das bei einer Marktpreissenkung die Hälfte davon in eine Mineralölsteuererhöhung umwandelt. Damit konnte die Differenz zum Benzinpreis auf unter zehn Cent pro Liter gesenkt werden, was Autofahrern vermehrt den Appetit auf Diesel-PKW verschlägt. In Frankreich haben Akzisenerhöhungen denselben Effekt. Nebenbei erhöhen diese mutigen Schritte aber die Sogwirkung des Luxemburger Treibstoffexportgeschäfts, was die Maßnahmen unserer Nachbarn wiederum konterkariert. Deutschland hat bisher keine Mineralölsteuerreform zuungunsten von Diesel vorgenommen. Doch ist jenseits der Mosel der Flottenbestand dieselbetriebener PKW nur halb so hoch wie diesseits. Ausgerechnet der VW-Chef plädierte aber kürzlich dafür, Sinn und Zweck der Dieselsubventionen zu hinterfragen. Da scheint also eine Industrie inzwischen einzusehen, dass ihre langjährige Diesel-Lobbyarbeit ihr nun im Weg steht.
Akzisenerhöhungen auf der langen Bank
Historisch auf Druck des Schwerlastverkehrs entstanden, gewähren viele Länder Europas einen Steuerbonus auf Dieseltreibstoff. Mit behördlichem Wohlwollen förderte er die fortschreitende „Dieselisierung“ der Autoflotten; umso mehr, als die gleiche Menge Diesel zwölf Prozent mehr Leistung hergibt als Benzin. Nicht umsonst machten Diesel-PKW mit viel Torque sich als „cash cows“ einen Namen, bis der Abgasskandal das Image vom klimaverträglichen und obendrein billigen Fahren lädierte. Da in Luxemburg Fahrzeugsteuern nicht stark ins Gewicht fallen, hat der Treibstoffbonus die Autoflotte so stark verdieselt wie nirgendwo sonst. Der Rabatt ist aber nicht nur im Hinblick auf die hohen Umwelt- und Gesundheitskosten ein Unding. Besteuerte man den Treibstoff nach CO2-Ausstoß, müssten auf Diesel nämlich nicht 24 Prozent weniger3, sondern mehr Abgabe gezahlt werden, so wie es im Jahr 2011 der Entwurf zur Reform der EU-Energiesteuerrichtlinie vorsah. Die dem Treibstoffexport verpflichtete damalige Berichterstatterin des Europaparlaments Astrid Lulling sah das selbstredend anders.
Drehen an der Dieselsteuerschraube ist hierzulande Chefsache. Sollten jedoch auch die Deutschen die Dieselsteuer revidieren, müsste in Luxemburg allein schon aus wirtschaftlichen Erwägungen nachgezogen werden, da der so genannte Lafferpunkt eine Neujustierung der Akzisen erfordert.
Im März 2017 wies eine Beraterstudie4 fälschlicherweise auf eine baldige Konvergenz von Diesel und Benzin an der Tankstelle hin. Dabei ist die Preisdifferenz mit durchschnittlich 14,8 Cent pro Liter über die letzten zehn Jahre recht konstant geblieben und entspricht fast genau dem Dieselbonus (siehe Grafik). Es fragt sich nun, wann immer mehr Benzintanker die höhere Besteuerung des saubereren Benzins in Frage stellen werden, umso mehr, als gerade begünstigter Diesel großen, starken und teuren SUV gilt.
Die Luxemburger Politik versucht krampfhaft, diesem Dilemma aus dem Weg zu gehen, indem auf das Elektrozeitalter und den Ausbau des öffentlichen Transports verwiesen wird. Dabei ginge es aber auch darum, die Weichen so zu stellen, dass nicht noch mittelfristig ein beträchtlicher Teil der automobilen Flotte mit hohen Abgaswerten einhergeht. Doch wird wohl eher der Autofahrerblick nach Deutschland die Sinne schärfen, wo die Aussicht auf innerstädtische Fahrverbote die Dieseldebatte erneut aufmischt. Welcher Politiker wird dann die Substanz der Subventionen für Dieseltreibstoff noch erklären können? Und, nicht zu unterschätzen, was sagen Politiker erbosten Autofahrern, die wertlose Dieselautos des billigen Sprits wegen gekauft haben?
Ratgeber zum Autokauf
Im Zeitalter vom Stickoxid-Konformitätsfaktoren, Abgasmessung auf der Straße (RDE), der Einführung eines neuen Prüfzyklus (WLTP) und angesichts eines noch marginalen Markts für Elektrofahrzeuge war der Autokauf noch nie so schwierig wie heute für all jene, die möglichst abgasarm fahren, den zukünftigen Restwert ihres Wagens im Blick haben und weiterhin in europäischen Innenstädten verkehren möchten. Folgendes gilt es zu beachten: Falls es denn ein Verbrennungsmotor und falls es ein Diesel sein soll, besser mit dem Kauf warten, bis Fahrzeuge mit dem neuen Abgasstandard Euro 6d-TEMP beziehungsweise Euro 6d verfügbar sind. Für alle anderen wird der Wiederverkaufswert stark sinken. Der Kostenvorteil von Diesel an der Tankstelle wird mittelfristig schwinden. Falls es ein Benziner sein soll: Neue, den Dieselfahrzeugen an Effizienz nicht nachstehende Direkteinspritzer pusten besonders viele gesundheitsschädliche Feinstaubpartikel in die Luft. Erst ab kommendem September gelten die strengeren EU-Grenzwerte für den Partikelausstoß, was in der Regel den Einbau eines Partikelfilters verlangt. Käufer sollten den Einbau also bereits heute einfordern.