Er mag das deutsche Wort „Stolz“ nicht. Er könne damit nichts anfangen. „Houfert“, sagt Guy Daleiden, „Houfert umschreibt besser, was ich meine. Nicht Stolz. Stolz ist es nicht. Es ist Houfert.“
Guy Daleiden sitzt unbequem. Der Direktor des Film Funds Luxemburg ist in der Realität der deutschen Hauptstadt angekommen. Oder das, was die Berliner allen Touristinnen und Touristen als ihr Image und ihre Realität verkaufen. Rau, hart, kaputt, bunt, schrill, laut und mit Selbstbedienung. Das gibt es als Inszenierung 25 Stunden am Tag, wenn man dem wahnsinnig kreativen Namen des Hotels – 25 Hours – glauben darf. Statt edler Möbel gibt es im Foyer Holzbänke mit Schafsfellen im Ikea-Design der frühen Achtzigerjahre. Der laute Ort für ein Gespräch mit dem Direktor des Film Funds über Preise, Filme und Kalender.
Berlinale. Die Internationalen Filmfestspiele von Berlin. Das klingt nach Dekadenz. Nach dem Jet-Set-Leben, nach dem Sternglanz, Glitter und Glamour internationaler Stars, nach rotem Teppich. Dabei ist es oftmals nur die Poesie eines Abspanns, in dem die Filmproduktionsfirma sogar dem Router eines französischen Telekommunikationsunternehmens dankt, nachdem der dritte Assistent des Fahrers der Nebendarstellerin seinen Namen in falscher Rechtschreibung liest und sich lauthals darüber mokiert. Berlinale. Da wird gemäkelt. Frierende Frauen in schulterfreien Kleidern, hartgesottene Kerle in Wollmänteln unterm Heizstrahler. Guy Daleiden bleibt bescheiden. Er kennt seine Termine, seinen Kalender, weiß um sein Geschäft.
d’Land: „Herr Daleiden, wie wird Ihr Tag auf der Berlinale?
Guy Daleiden: Tage. Ich bin nur vier Tage hier. Heute Nachmittag angekommen, habe ich noch drei Termine, morgen fünf und am Montag dann den ganzen Tag über, am Dienstag geht’s weiter. Am Mittwochmorgen geht es dann schon wieder zurück. Ich bin nicht hier, um Filme anzuschauen, sondern um Meetings zu haben, um Leute zu treffen, zu diskutieren, Projekte weiterzuentwickeln. Dazu zählt zum Beispiel am Montag das Treffen mit den frankophonen Filmfonds am Morgen, dann Gespräche mit dem Medienboard Berlin-Brandenburg und am Dienstag die Zusammenkunft mit all meinen europäischen Kolleginnen und Kollegen, um gemeinsam Vorhaben zu diskutieren und Projekte voranzubringen. So sieht meine Berlinale aus in diesem Jahr.
Da bleibt keine Zeit für einen Film?
Doch. Wir werden uns Ooops, Noah is gone anschauen, eine luxemburgisch-deutsch-irische Koproduk-tion, ein 3D-Animationsfilm, der aber nicht im Programm der Berlinale läuft.“
Guy Daleiden sucht nach einer einigermaßen bequemen Sitzposition. Mal mit Schafsfell als Sitzbequemer, mal ohne. Beine hochgelegt oder aufrecht gerade. Er fühlt sich nicht wohl. Er fremdelt mit Berlin. Mit diesem Ort, dem Hotel gewordenen Hipstertum mit einer Bar, von der aus man direkt in das Affengehege des Zoologischen Gartens blicken kann. Die Gäste seien aber alle unter 25, stellt Françoise Lentz enttäuscht fest. Die Pressevertreterin des Film Funds begleitet den Direktor zu Interviews und kennt alle Zahlen, Fakten und Altersfreigaben. „Alle unter 25“, wiederholt sie mit gesenkter Stimme, als bemängele sie das Mindesthaltbarkeitsdatum des Hipstertums. Ein klein wenig hat man das Gefühl, als würde Daleiden auch mit der Berlinale fremdeln.
Guy Daleiden: „Ja, Cannes. Warum sind Sie nicht in Cannes? Cannes ist immer gut und immer schön. Da müssen Sie hinkommen.“
Der Wettstreit der Filmfeststädte Cannes, Venedig und Berlin. Wer hat die meisten Stars, das beste Wetter, die besten Filme, den besten Schampus und die schönsten Menschen ohnehin. Berlin zieht immer den Kürzeren und glänzt damit, das größte zu sein, wenn es nach Zuschauerzahlen geht. Aber was ist schon Größe? Wahre Größe? Cannes klingt nach Highheels, Berlin nach Gummistiefeln. Praktisches Schuhwerk, das man hat, aber nicht unbedingt braucht. Doch in Gummi über den roten Teppich zu stiefeln, zeugt hin und wieder von mehr Größe als Schampus in strahlender Mittelmeersonne zu schlürfen. Die Berlinale gibt ihre 65. Ausgabe in diesem Jahr und blickt auf eine bewegte Geschichte mit den Skandalen der Sechziger- und Siebzigerjahre sowie der angepassten Routine der heutigen Dekade. Inklusive Selbstbehauptung und Identitätssuche in Rivalität mit allem und jedem. Das mag auch auf das Filmland Luxemburg zutreffen.
„Luxemburg ist in diesem Jahr mit keinem Film auf der Berlinale vertreten – weder im Wettbewerb, noch in den Sektionen Panorama oder Forum…
Leider nicht im ,offiziellen‘ oder ,nicht-offiziellen‘ Programm, aber auf dem European Film Market, dem Filmmarkt während der Berlinale, sind zehn luxemburgische Produktionen oder Produktionen, an denen Filmschaffende aus Luxemburg beteiligt waren, vertreten. Darunter zum Beispiel auch Never Die Young von Pol Cruchten.
Und wann gibt es wieder einen luxemburgischen Wettbewerbsbeitrag? Wann einen Goldenen Bären für Luxemburg?“
Da ist sie. Die Frage nach dem Renommee. Nach der Auszeichnung und der Anerkennung. Nach dem, was bleibt, wenn der Abspann gelaufen ist und die Lichter im Kinosaal den Ausweg beleuchten. Nach dem, was in die Geschichtsbücher und die Erwähnungen eingeht. Nach dem Sieg. Und vor allem auch nach „Houfert“, dem Stolz auf das Geleistete und Erreichte. Für die Antwort ist Guy Daleiden egal, wie bequem oder unbequem er sitzt. Ihm fällt nicht auf, dass die schafsfellige Sitzunterlage auf den Boden gerutscht ist, die Sitzkissen, oder Stoffberge, die gerne solches sein mögen, eine Damenrunde am Nachbartisch bedrängen. Er sitzt gerade, aufrecht. Das Gespräch wird ernst, „houfreg“.
Guy Daleiden: „Unsere Projekte sind gut“.
Pause. Man merkt, es geht um das große Ganze oder ganze Große. Der Direktor wird emotional, sucht nach Worten, möchte nun alles richtig beschreiben, erklären, ausführen. Die Antwort auf den Preis muss stimmen, stimmig sein. So wie seinerzeit François Biltgen in Cannes sagte, dass er sich einen Oscar wünsche – für Luxemburg.
Guy Daleiden: „Der Unterschied zwischen Festivals sowie nationalen und internationalen Filmpreisen ist, dass sich ein Festival die Filme aussucht. Diese Auswahl ist nicht repräsentativ für die besten Filme. Für die gibt es die Oscars, die Césars, den deutschen und den luxemburgischen Filmpreis. Das sind verschiedene Niveaus. Die Auswahl der Festivals ist aber nicht repräsentativ für die Qualität beispielsweise der europäischen oder asiatischen Filme. Wenn wir hier bei der Berlinale nicht eingeladen sind, dann mag das nur daran liegen, dass unsere Filme hier nicht gefallen haben. Aber das ist keine Aussage über die Qualität.“
Und übrigens habe Luxemburg seinen Oscar bekommen. In diesem Jahr ist mit The Song of the Sea eine luxemburgisch-irische Koproduktion für den besten Animationsfilm ein weiteres Mal für den Oscar nominiert. Im letzten Jahr habe es eine Nominierung für Ernest et Célestine gegeben, eine luxemburgisch-belgisch-französische Koproduktion. Ebenfalls ein Animationsfilm.
Guy Daleiden: „Vor allem im Animationsbereich können wir international mithalten. Was wir liefern, ist qualitativ hochwertig und international anerkannt. Dass wir da so viele Nominierungen für den Oscar bekommen, unterstreicht die Qualität der Arbeit. Es ist beachtlich und auch ich bin überrascht, was wir da leisten hinsichtlich der technischen Qualitäten und der Kreativität. Das weiß international jeder. Auch im „Live-Bereich“ sind unsere Leistungen anerkannt. Aber da ist die Konkurrenz oder das Angebot größer und es ist schwieriger mit hineinzurutschen als im Animationsbereich. Da haben wir uns einen Namen gemacht.
Also hat die Spezialisierung auf Animationsfilm Sinn gemacht?
Guy Daleiden: Das war ja keine bewusste Spezialisierung. Die ist einfach so entstanden. Wir haben auch nicht vor, uns zu spezialisieren. Wir sagen jetzt nicht, wir machen nur noch oder unser Hauptaugenmerk wird auf Animation liegen – das machen wir nicht. Wir unterstützen alles, sehen aber, dass Animation gut funktioniert, weil wir Qualität herstellen.“
Das Filmemachen ist nicht immer gleißendes Scheinwerferlicht. Der Kritiker organisiert sich in das Programm der Festspiele. Das heißt zunächst Schlange stehen und sich an der Konstante bewundernd festhalten, dass es zwei luxemburgische Journalisten immer und immer wieder schaffen, ganz vorne in jeder Ansteh-Schlange zu stehen, als erste in den leeren Kinosaal kommen und doch immer wieder zu ihrem Platz zurückkehren. Den sie kennen, den sie mögen, den sie sich ersessen haben. Das macht jeder so. Man mag seine Rituale und seine Blickwinkel und Sichtweisen. Auch und insbesondere in den vielen Kinosälen der Berlinale und außerhalb der Traumfabriken.
Guy Daleiden: „Wir müssen doch irgendwann einmal einsehen, dass wir in Luxemburg ein großes Potenzial an Kreativität und Kreativen haben und nicht nur schauen, was gibt es im Ausland. Wir sprechen die ganze Zeit von Nation Branding. Nation Branding, das ist Kultur, Kreativität, Künstler. Das ist das, was wir nach vorne bringen sollen. Und haben wir die? Gibt es so etwas in Luxemburg? Selbstverständlich. In allen Künsten sind Luxemburger international anerkannt. Da sollen die Leute zu stehen und wie wir auf Luxemburgisch sagen ‚houfreg sin’. Wir mögen das deutsche Wort ‚stolz‘ nicht, ich auch nicht. Und wir sollen houfreg auf unsere Künstler sein und die nach außen bringen, draußen zeigen. Das ist die Mission und damit hat der Film Fund seit Jahren zu tun. Promotion ist unsere wichtigste Aufgabe und unser wichtigstes Ziel. Wenn ein luxemburgischer Film im Kino läuft und wenn es eine luxemburgische Koproduktion ist, dann soll man sich das anschauen. Die Luxemburger können sich doch im Jahr zum Beispiel die zehn luxemburgisch-französischen Koproduktionen anschauen. Wo ist das Problem? Wir haben gute Qualität! Wir haben gute Künstler! In allen Sparten.“
Der Tag begann mit Ixcanul, einem Wettbewerbsbeitrag aus Guatemala, über Menschen zwischen Modernität und Aberglaube, heute und gestern, über Träume und Hoffnungen, deren scheitern und sterben. Er endet mit Mariposa, einem Pano-ramafilm aus Argentinien, über die wunderbare Macht der Liebe und der Leidenschaft. Wenn Luxemburg gute Qualität, gute Künstler hat, dann sicherlich auch gute Geschichten, die es gilt zu erzählen. Houfreg.