Hilfe, die Zeit vergeht! Ginge es nach den beiden Transportgewerkschaften im öffentlichen Dienst, der FNCTTFEL und dem christlichen Syprolux, dann müssten noch in diesem Jahr die drei Verträge erneuert werden, die die CFL an den Staat binden.
Wieso auch nicht: am 31. Dezember laufen sie alle aus. Sie sind die Basis für den service public der Bahn. Sie regeln zum einen, wie sie Bahnimmobilien, die dem Staat gehören, für diesen verwaltet. Zweitens, wie sie die ebenfalls dem Staat gehörende Bahninfrastruktur nutzt, instand hält und ausbaut, und schließlich drittens den öffentlichen Personenverkehr der CFL per Bahn und Bus. Da allein im Infrastrukturbereich 2007 rund 60 Prozent des Nettoumsatzes der CFL-Gruppe erwirtschaftet wurden und 23 Prozent im Passagierbereich, der unter den service public fällt, hängt ein sehr großer Teil der CFL-Aktivitäten von diesen Verträgen ab.
FNCTTFEL-Präsident Nico Wennmacher drohte in der jüngsten Ausgabe der Gewerkschaftszeitung Le Signal vor einer Woche ein wenig damit, gäbe es bis Jahresende keine neuen Verträge, „riskiere die Eisenbahnproblematik zu einem Wahlkampfthema zu werden“. Aber darin drückt sich vor allem die Sorge der Gewerkschaftler aus, der nächste Transportminister könnte womöglich nicht Lucien Lux sein, der Eisenbahnersohn und ehemalige OGB-L-Sekretär, und, schlimmer, gar nicht von den Sozialisten kommen, sondern von der DP.
Denn bis Jahresende wird es allenfalls einen neuen Vertrag zur Immobilien-Verwaltung und vielleicht auch einen zur Infrastruktur geben. Dazu will CFL-Generaldirektor Alex Kremer dem Transportminister in den nächsten Wochen Vorschläge machen. Doch auch das Infrastrukturkapitel ist nicht ohne Zündstoff. Zum Beispiel will Lucien Lux wissen, wie die Bahn bei Planung und Ausführung von Um- und Ausbauten im Netz „effizienter und schneller“ werden könnte. Weil diese Frage bemerkenswerter Weise nicht die Bahndirektion beantworten soll, sondern Verwaltungsratspräsident Jeannot Waringo, ist damit folglich auch das Management gemeint.
Debatten zwischen Direktion und Gewerkschaften dagegen könnte es zum CMR, dem neuen Wartungs- und Instandsetzungszentrum, geben, das zurzeit noch im Bau ist: Um die hochmoderne Einrichtung auszulasten, soll sie auch Loks und Waggons fremder Bahnen betreuen. Damit das klappt und die hohen Personalkosten für Mitarbeiter mit parastaatlichem Eisenbahnerstatut nicht die Preise verderben, will die Direktion einen Teil des CMR privatisieren. „Das ist für uns natürlich kritisch“, sagt Syprolux-Präsident Georges Bach, „aber andererseits entstehen da neue Arbeitsplätze, da soll sogar in zwei Schichten gearbeitet werden.“
Neue Arbeitsplätze mit privatwirtschaftlichem Statut – das ist wieder eine Infragestellung des nun schon seit 88 Jahren geltenden Eisenbahnerstatuts. Doch um dieses stellen sich mit dem dritten, dem Vertrag über den Service puclic par rail et par route, viel mehr Fragen. Dass dessen Neufassung bis Jahresende unterschriftsreif sein könnte, glaubt auch Lucien Lux nicht. Man werde „eine gute Vorarbeit bis zum Ende der Legislaturperiode“ leisten und von der Klausel Gebrauch machen, die es erlaubt, den alten Vertrag um ein Jahr zu verlängern.
Wenn das geschieht, könnte zumindest die DP es Lux nächstes Jahr als Versagen vorhalten – so viel Wahlkampfstoff gibt das Thema auf jeden Fall her. Immerhin hatte Lux 2005 während der Eisenbahntripartite, die der CFL den Weg ins Fracht-Joint-Venture CFL Cargo mit ArcelorMittal ebnete, seinem Vorgänger Henri Grethen immer wieder vorgeworfen, dieser habe nicht genug zur Vorbereitung der CFL auf die Frachtliberalisierung getan. – Die Tripartite hatte allerdings auch festgehalten, dass über die drei auslaufenden Verträge zwischen Staat und CFL schon ab September 2006 beraten werden sollte. Denn bereits der Tripartite war klar, dass auf den Vertrag über den öffenlichen Transportdienst der CFL die EU-weite Liberalisierung des grenzüberschreitenden Personenverkehrs Einfluss haben wird. Sie wird Anfang 2010 wirksam; Luxemburg hat zwei Jahre Schonfrist. Und strategisch steht einiges auf dem Spiel.
Da alle Verkehre geöffnet werden, deren Fahrzweck „überwiegend“ grenzüberschreitend ist, wären potenziell auch alle Verbindungen im „Service voyageurs – transfrontalier“ der CFL betroffen. Falls es keine Konventionen über einen partnerschaftlichen Betrieb zwischen den CFL und einer Nachbarbahn gibt, wie etwa seit 2005 im so genanten sillon lorrain bis nach Nancy, und man sich stattdessen im Ausland entschiede, eine Verbindung auszuschreiben.
Die Frage nach der Qualität der internationalen Anbindung stellt sich ebenfalls. Wie die Züge über Straßburg und die Schweiz nach Italien vor fünf Jahren nacheinander dem Rentabilitätsdenken der SNCF zum Opfer fielen, die sich aus dem gemeinsamen Betrieb verabschiedete, könnte die Frage, ob auf einer renovierten Strecke ab Brüssel und über Luxemburg und Straßburg nach Basel vielleicht einmal Pendolino-Züge fahren und die Fahrzeit zwischen Brüssel und Luxemburg auf 110 Minuten verkürzen könnten, sich ähnlich entscheiden: Die SNCF ist zurzeit nicht interessiert.
Richtung Deutschland zeichnen sich ebenfalls akute Probleme ab. Die IC-Züge von Luxemburg nach Norddeutschland sehen ihrer Einstellung entgegen: sie gehören zu den unrentabelsten der DB. Zum anderen diskutieren Rheinland/Pfalz und das Saarland gemeinsam mit den regionalen Verkehrsverbünden, die Transportleistungen bei der DB oder anderen Anbietern bestellen, die Zukunft regionaler Verbindungen zwischen Koblenz, Saarbrücken und Luxemburg – einschließlich der Option, Luxemburg nicht mehr anfahren zu lassen und dafür mehr Direktverbindungen Koblenz-Saarbrücken anzubieten. Nach Luxemburg führen dann nur die Triebwagen aus Trier.
Wie man sich auf solche Fälle einzustellen beabsichtigt, will Lucien Lux von der Bahndirektion in einem Strategiepapier erklärt bekommen, auf das er schon seit längerem wartet. Man arbeite mit Hochdruck daran, sagt Generaldirektor Kremer. Doch erst diese Woche hat ein neuer Direktor für Eisenbahnbetrieb, der auch für den Entwurf zuständig ist, seinen Dienst angetreten. Klar ist: Die Strategiewahl ist komplexer als sie es im Frachtbereich war, wo sich den CFL am Ende die Alternative bot, entweder mit einer Mini-Beteiligung in der von der DB Cargo dominierten Railion AG aufzugehen, oder sich auf das Joint-Venture mit ArcelorMittal einzulassen.
Offenbar favorisiert es die CFL-Direktion, bei Ausschreibungen mitbieten zu können. Etwa, um so von Deutschland aus eine Verbindung nach Luxemburg zu erhalten. Dagegen tritt der FNCTTFEL-Landesverband dafür ein zu versuchen, so viel wie möglich in Kooperation mit anderen Bahnen zu fahren; wie derzeit im Regionalverkehr mit SNCF und SNCB. Allerdings stellt sich in beiden Fällen die Kostenfrage, die politisch brisant ist und früher oder später erneut die Diskussion um „das Statut“ anfachen wird.
Denn an „rein“ internationalen Diensten beteiligen sich die CFL schon jetzt auf eigenes kommerzielles Risiko und werden vermutlich künftig noch stärker auf Rentabilität achten. Kooperationen mit anderen Bahnen im Regionalverkehr können auf dem Territorium der Partnerbahnen ein service public sein wie heute und weiterhin öffentlich bezuschusst werden. Prinzipiell gestattet das auch die Anfang Dezember 2009 in Kraft tretende neue EU-Verordnung, die unter anderem einen Rechtsrahmen für „Ausgleichszahlungen“ setzt, die der Auftraggeber eines services public leisten darf.
Aber damit die nicht zur ungerechtfertigten öffentlichen Beihilfen werden, müssen sie Kriterien genügen, die der EU-Gerichsthof 2003 in einem Grundsatzurteil aufgestellt hat. Zum Beispiel müssen die Ausgleichszahlungen vergleichbar sein mit denen, die jedem „durchschnittlichen, gut geführten“ Transportunternehmen für eine solche Transportleistung gewährt worden wären. Ob darunter jener „surcoût“ fallen kann, der den CFL durch die höheren Personalkosten entsteht und den der Staat pauschal ausgleicht, könnte am Ende von der EU-Kommission entschieden werden müssen. Dem Transportminister schwebt vor, die Zahlungen an Qualitätskriterien wie Pünktlichkeit, Freundlichkeit im Dienst, oder auch an ökologische Standards zu binden. Im neuen RGTR-Vetrag des Staats mit den Busbetrieben, der demnächst unterschriftsreif sein wird, hat man das schon getan. „Sonst“, sagt Lucien Lux, „wären wir mit Sicherheit nicht konform zur Verordnung.“
Aber ob die Kommission eine dauerhafte Subventionierung der CFL-Personalkosten akzeptieren könnte, muss sich zeigen. Hinzu kommt, dass das Eisenbahnerstatut nicht nur wegen der erneuten europäischen Liberalisierungsetappe unter Druck kommt: Das CFL-Gesetz von 1997, mit dem der Staat die Bahn seinerzeit entschuldete, legt in Artikel 7 fest, dass die Zahlung des surcoût auf zwölf Jahre, ab dem Jahr des Inkrafttretens des Gesetzes, begrenzt sein soll. Stichtag ist wie bei den auslaufenden drei Verträgen zwischen CFL und Staat der kommende 31. Dezember.
Und da könnte es vielleicht doch sein, dass die Parteien sich ganz schnell zur Zukunft von CFL und Eisenbahnerstatut positionieren. Die CFL-Tripartite hatte sich 2005 auf jene „kleine Lösung“ geeinigt, nach der nur im Fracht-Joint-Venture neu eingestellte Eisenbahner das Privat-Statut erhielten. Zur Steigerung der Produktivität der gesamten CFL sollten im Anschluss an die Tripartite neue „Arbeitsbedingungen“ für alle Eisenbahner ausgehandelt werden: Regeln für Überstunden, Ruhezeiten, Ansprüche an die Polyvalenz der Tätigkeit der Bahner, die ebenfalls am acquis des Eisenbahnerstatuts rührten. Vergangenes Jahr kam es darüber immerhin fast zum Streik und der Transportminister musste vermitteln. Was ein wesentlicher Grund dafür war, dass die Zukunftsdebatte um die drei neuen Verträge verschleppt wurde.
Die CFL-Direktion dagegen war mit einem Holding-Modell in die Tripartite gegangen, das die Filialisierung von Fracht-, Passagier- und Infrastrukturbetrieb und überall den kontrollierten Ausstieg aus dem Eisenbahnerstatut vorsah. Neu eingestellt werden sollten prinzipiell nur noch Privatbeamte. Bleibt abzuwarten, ob die DP so weit geht, genau dieses Modell zu propagieren.