Bauer Josy Hansen brütet an seinem Esstisch vor einem großen, bunten Plan. "Was soll das bloß werden?", fragt er kopfschüttelnd. Mitgebracht hat den Plan ein Kollege aus Lorenzweiler, wie Josy Hansen Bauer. Und eigentlich ist eher er betroffen von dem, was auf dem Papier verzeichnet ist: ein Feuchtgebiet im Alzettetal.
64 Hektar groß soll es werden und Heimstatt für einen Auenwald. So steht es seit dem 27. August 1997 in einem großherzoglichen Reglement, das all jene Maßnahmen festlegt, mit denen der Umweltschaden kompensiert werden soll, der durch den Bau der Nordstraße in ihrer Ostvariante entsteht: Schätzungsweise 35 Hektar schützenswerter Lebensräume werden durch die Autobahn zerstört werden, weitere 85 Hektar werden beeinträchtigt; die Renaturierung des Alzettetals ist eine der wichtigsten Kompensationsmaßnahmen.
"Was soll's", sagen die beiden Bauern, "Gesetz ist Gesetz, Straßen werden nun mal gebraucht, und wenn wieder aufgeforstet werden soll, dann soll es eben sein. Aber so?"
Was den beiden missfällt, ist, dass der Plan, der im Auftrag des Naturschutzdienstes im Umweltministerium entstanden ist, eine Verlegung der Alzette aus ihrem derzeitigen Flussbett vorsieht. Dort, wo später einmal die Autobahn aus dem Gosseldinger Tunnel zurück ans Tageslicht kommen soll, würde der Fluss um bis zu 400 Meter verlagert, ganz in die Nähe der Eisenbahnlinie Nord. Das heißt, nicht der Fluss selbst würde so nahe an den Bahndamm rücken, sondern die Grenzen jenes Feuchtgebiets, das umso feuchter und damit breiter wird, je mehr es regnet: die Alzette würde kontrolliert über ihre Ufer treten.
Das ist es, was die Bauern nicht verstehen: Das Tal fluten lassen, wo es doch ohnehin beinahe jedes Jahr durch den Februarregen unter Wasser steht? Und dafür sollen sie ihr Land hergeben, das "Schwemmland an Flussläufen", das "immer wertvoll" ist? Nur wegen dieser Autobahn durch den Gréngewald? Und: Dieser Plan, der jetzt auf Bauer Hansens Esstisch liegt, das ist, haben er und sein Kollege erfahren, gar nicht der ursprüngliche Plan! Nach dem nämlich sollte das Feuchtgebiet nur zwi-schen Prettingen und der Lo-renzweiler Brücke verlaufen. Das neue Dokument aber zeichnet das Feuchtgebiet viel weiter südlich fort, bis kurz vor Hünsdorf.
Schon ziemlich nah an Bauer Hansens Hof. Und haben nicht die Gemeinden Steinsel und Walferdingen beschlossen, ihrerseits die Alzette zu renaturieren, zwischen dem Walferdinger Sportforum und der Steinseler Industriezone? Soll etwa das ganze Alzettetal eine einzige Sumpflandschaft werden? Und wer war dieser Herr, der vor drei Wochen von Hof zu Hof ging und die Bauern fragte, ob sie sich nicht vorstellen könnten, ihre Produktionsweise so umzustellen, dass Landwirtschaft auch auf einer feuchten Wiese be-trieben werden kann? Alles sehr verdächtig und undurchsichtig.
Dieser Herr, das war ein Beamter des Naturschutzdienstes im Umweltministerium, jener Abteilung, die für das Anlegen des Feuchtgebiets verantwortlich ist. Dort wurde auch das Projekt in jener Form erdacht, wie es auf Bauer Hansens Esstisch liegt. Im Prinzip sieht es vor, dass die Alzette zwischen Prettingen und Hünsdorf überall auf die tiefstmögliche Stelle verlegt wird. Hat sich der Fluss doch über die Jahre durch die Sande und Schlämme, die sein Wasser mitführt, ein Bett geschaffen, das an manchen Stellen höher liegt als die nahe Umgebung. Auch das ist ein Grund für die weiträumigen Überschwemmungen im Tal, falls starker Regen fällt. Der Naturschutzdienst geht da-von aus, durch die Verlegung des Alzette-Beckens die Hochwassergefahr im Tal zu senken, nicht zu erhöhen.
Bis zum 27. Juli 2007 muss das Feuchtgebiet eingerichtet sein. So will es das Nordstraßen-Gesetz. Die endgültige Form aber könnte anders aussehen, als vom Naturschutzdienst derzeit geplant. Da man sich damit aus dem Rahmen des großherzoglichen Reglements heraus begeben hat, besteht für das Projekt in seiner jetzigen Form keine juristische Basis. "Da kann", sagt Lucien Haller, Generalsekretär der Bauernzentrale, "der Staat auch nicht erwarten, dass die Bauern einfach so ihr Land hergeben."
Einfach so geschähe dies natürlich nicht, pro Ar würde der Staat 8 500 Franken bezahlen. Und auch innerhalb des Feuchtgebiets bliebe in einzelnen Abschnitten Landwirtschaft möglich: in extensiver Form allerdings nur, mit weniger Dünger und Gülle, aber auch mit weniger Ertrag. Dort, wo zurzeit noch Kühe weiden, könnten es ab 2007 allenfalls noch Schafe sein, weil die nicht so schwer sind, und wenn auf den saftigen Wiesen im Moment noch bis zu dreimal im Jahr Gras geschnitten werden und als Futter verwendet oder verkauft werden kann, dann würde bei extensivem Be-trieb möglicherweise in Zukunft nur eine Ernte drin sein.
Aber das könnten sich viele Bauern nicht so recht vorstellen, sagt Lucien Haller. Auch Josy Hansen meint, in einem solchen Feuchtgebiet zu arbeiten, hieße, den Wasserstand nicht langfristig genug vorhersehen zu können. "So ein Betrieb kann kaum rentabel funktionieren." Mit diesem Argument haben die Bauern nicht nur die Bauernzentrale auf ihrer Seite, sondern auch so manche Gemeinde. Lintgen zum Beispiel: Bürgermeister Henri Wurth erklärt dem Land, "nicht ein Bauernbetrieb" dürfe wegen des Feuchtgebiets pleite gehen. Man müsse mit den Bauern zusammen arbeiten, dürfe nichts über ihre Köpfe hinweg entscheiden. Und über die Hochwassergefahr müsse gründlich nachgedacht werden.
Am Dienstag war Lokaltermin der Bauernvertreter bei Umweltminister Charles Goerens (DP). Kein ganz einfaches Gespräch sei das gewesen, wie Goerens dem Land mitteilt; "viel Irrationales ist im Spiel". Das Projekt in seiner jetzigen Form solle nur als Diskussionsgrundlage dienen; ein Konsens müsse gefunden werden, der die Bauern zu Mit-Akteuren beim Projekt macht.
Mit dieser Kompromissbereitschaft bezahlt der Umweltminister für die Eile, mit der das Bautenministerium unter Robert Goebbels vor drei Jahren die Ostvariante der Nordstraße durch die letzten Instanzen peitschte. Wenigstens, sagt Charles Goerens, hätte damals die Landwirtschaftskammer eine Stellungnahme zum großherzoglichen Reglement über die Kompensationsmaßnahmen abgeben müssen. Politisch aber steht noch viel mehr auf dem Spiel: In seinem Leitartikel im Bauernzentralen-Organ De Lëtzebuerger Bauer vom vergangenen Freitag hatte Lucien Haller gefordert, das Naturschutzgesetz von 1982, das die Kompensationsmaßnahmen vorschreibt, "grundlegend" zu diskutieren. Und auch die Bauerenallianz ist auf den fahrenden Zug schon aufgesprungen: Da würde "bestes Acker- und Weideland zubetoniert, gute Kulturflächen werden als Kompensation aufgeforstet und die verbleibenden Wiesengründe als zone protégée eingestuft", polemisierte ein am Dienstag erschienenes Pressekom-muniqué; die Regierung müsse "diesem Unfug" ein Ende setzen. Charles Goerens will unbedingt verhindern, dass der Konflikt zwischen Landwirtschaft und Naturschutz, der mit dem Gesetz von 1982 einigermaßen befriedet worden war, erneut angefacht wird: "Sonst geht die Büchse der Pandora auf."