Diese Woche bereisten Luxemburger Regierungsmitglieder wieder intensiv reiche Golfstaaten. Außenminister Jean Asselborn nahm in Kuwait und den Arabischen Emiraten an Diskussionsforen über den Nahen Osten teil. Wirtschafts- und Außenhandelsminister Jeannot Krecké besuchte in Begleitung von Erbgroßherzog Guillaume und zwei Dutzend Unternehmern die neuen Geldgeber in Katar, die Arabischen Emirate und die Baumesse Big 5 Show in Dubai. Alle zusammen weihten sie in Abu Dhabi eine luxemburgische Botschaft mit integriertem Luxembourg Trade and Investment Office ein.
Seit sich Investoren aus Katar bei der Cargolux, der Bil und der KBL einkauften sowie ein Kooperationsabkommen mit der SES unterzeichneten und Premier Jean-Claude Juncker seinem katarischen Amtskollegen Scheich Hamad ibn Dschasim ibn Dschabir Al Thani den „Beginn einer sehr langen strategischen Zusammenarbeit“ versprach, geht wieder einmal mit einem aus Angst, Entrüstung und manchmal Rassismus gemischten Unterton die Rede vom Ausverkauf der Luxemburger Wirtschaft. Etwa so viel wie vor fünf Jahren, als der aus Indien stammende Lakshmi Mittal handstreichartig die Kontrolle über die heimische Stahlindustrie errang.
Die Analogie ist nicht zufällig. Denn Katar und Indien waren beide bis 1947 beziehungsweise 1971 britische Kolonien. Dass europäische Metropolen Kolonialwirtschaften kontrollierten, wurde angesichts der angeblichen zivilisatorischen Überlegenheit hierzulande nie sonderlich in Frage gestellt. Doch dass nun Investoren aus ehemaligen Kolonien dank Erdgasrenten und nachholender Industrialisierung bei gestandenen Luxemburger Firmen Herren im Haus werden, wird angesichts des bewusst oder unbewusst verinnerlichten Kolonialverhältnisses als narzisstische Kränkung empfunden.
Wie anders ist zu erklären, dass all jene, die nun nachdrücklich ihre Angst vor ausländischem Kapital anmelden, sich weit weniger daran störten, dass bis vor kurzem und während des größten Teils des 20. Jahrhunderts die Luxemburger Industrie und Finanzen weitgehend von der Société générale de Belgique und der Gruppe Bruxelles-Lambert kontrolliert wurden? Nationalstolz hin oder her, die zu Bruxelles-Lambert gehörende Bil dufte sogar als eine der letzten Privatbanken in Europa über das Münzrecht, die belgisch-französische RTL als einer der wenigen Privatsender in Europa über das Rundfunkmonopol verfügen. Und auch derzeit scheint die Sorge größer, dass katarische Investoren über die Bil indirekt Einfluss bei der Luxair gewinnen, als dass diese von ihrer Aktionärin Lufthansa die traditionellen Routen abspenstig gemacht bekommt. In Zeiten des globalisierten Austauschs ist seine Staatsbürgerschaft vielleicht mehr denn je das Unwichtigste am Kapital.
Schließlich sind die Klagen über den nationalen Ausverkauf so neu nicht. Schon vor einem Jahrzehnt, als Bil und BGL vorübergehend Dexia und Fortis hießen und die Arbed mit Usinor und Aceralia fusionierte, erinnerte der ehemalige LSAP-Wirtschaftsminister Robert Goebbels im Luxemburger Wort (15.3.01) an Edgar Allen Poes Horrorgeschichte, um vor dem „Ausverkauf des Hauses Luxemburg“ zu warnen. Und lange vor der Loi Rau und dem Ruf nach einem Staatsfonds hatte der Studienrat und spätere DP-Stadtrat Lucien Koenig 1929 in seinem nationalistischen Roman Ketten (1926) gejammert: „Handel an Industrie […], alles hun déi Friem am Sak. […] Wie kommedéiert an de grousse Wierker? Déi Friem.“ [-]Siggy meinte seinerzeit mit den Überfremdungsängsten auch noch die Juden. Was die Warnung vor dem nationalen Ausverkauf gleich in ein anderes Licht rückte.