Platz zehn belegt Luxemburg in der vom Observatoire de la compétitivité erstellten Hitliste der wettbewerbsfähigsten EU-Staaten für 2011, rutscht damit um einen Platz gegenüber dem Vorjahr ab. Das ist nicht dramatisch. Doch als der Index 2005 zum ersten Mal erstellt wurde, lag Luxemburg noch auf Platz sechs. Das Resultat zeigt, wie schwer sich Luxemburg damit tut, im verschärften internationalen Wettbewerb Schritt zu halten. Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP) versuchte am Montag bei der Vorstellung der Wettbewerbsfähigkeitsbilanz heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Sozialpartnern über die Auslegung der Zahlen vorzugreifen und betonte, die Diskussion über die Wettbewerbsfähigkeit beschränke sich nicht allein darauf, wie man die Kosten so weit wie möglich reduzieren könne. Doch angesichts der Ergebnisse des Observatoriums und der aktuellen Konjunkturentwicklung kann man davon ausgehen, dass genau das passieren wird.
Der reale Wechselkurs zwischen der Exportwirtschaft Luxemburg und ihren Haupthandelspartnern steigt seit der Jahrtausendwende quasi ununterbrochen an; eine Problematik, welche die Verantwortlichen des Observato-riums in der diesjährigen Bilanz besonders hervorhoben. Der Wert der Luxemburger Exporte, erklärte der Vorsitzende des Observatoriums, Statec-Direktor Serge Allegrezza, beträgt im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt 180 Prozent. Über 80 Prozent der in Luxemburg hergestellten Produkte und Dienstleistungen werden exportiert, wie Statec und Handelskammer in einer kürzlich vorgestellten gemeinsamen Studie festhielten. Die Preise stiegen insbesondere in der Luxemburger Dienstleistungsbranche seit 2003 schneller als in den Vergleichsländern Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande, Großbritannien, den USA und der Schweiz. Und auch die Lohnstückkosten steigen, von der Dienstleistungsbranche gezogen, stetig schneller als in den Vergleichsländern, was Luxemburg-Importe bei den Handelspartnern teurer und damit uninteressanter macht.
„Bei guter Konjunktur können wir viel exportieren“, sagt Serge Allegrezza, „aber der Faktor Kosten bestraft uns.“ Dabei war die Rezession in Luxemburg den neuesten Wirtschaftsdaten zufolge doch tiefer als angenommen, und der Konjunkturaufschwung danach nicht ganz so dynamisch wie bisher gedacht. Im Krisenjahr 2009 schrumpfte die Wirtschaft um 5,3 Prozent, nicht um 3,6 Prozent, und sie wuchs 2010 mit 2,7 statt mit 3,5 Prozent langsamer als bis vor kurzem veranschlagt. Vor einer Woche warnte Statec-Direktor Serge Allegrezza in der parlamentarischen Haushaltskommission, das Wachstum könne auch dieses und nächstes Jahr weniger hoch ausfallen als in den bisherigen Vorhersagen; 2012 könnten es deutlich unter zwei Prozent werden.
Denn fast die Hälfte der Wertschöpfung in Luxemburg geht auf die Dienstleistungsbranche zurück, genauer die Finanz-, die Immobilienbranche und den Unternehmensdienstleistungssektor, die besonders sensibel auf Börsenbewegungen reagieren – die Korrelation zwischen dem Wirtschaftswachstum und dem Börsenindex Euro Stoxx 50 ist den vergangenen Jahren eher stärker als schwächer geworden (siehe Grafik Seite 12). Seit Jahresbeginn hat der Euro Stoxx 50, der die Kursentwicklung der 50 größten Unternehmen der Eurozone zusammenfasst, 16,6 Prozent eingebüßt. Besonders im Sommer kam es aufgrund der gro-ßen Verunsicherung durch die europäische Staatsschuldenkrise zu gro-ßen Kursabstürzen – was das für die Wirtschaftsentwicklung in Luxemburg befürchten lässt, zeigt der Blick auf die Grafik. In der Folge stürzte der Nettoinventarwert der Luxemburger Investmentfonds im September um fünf Prozent gegenüber Juli Richtung 2 000 Milliarden Euro, die schlimmsten Einbußen seit dem Crash im Oktober 2008.
Die Luxemburger Bankenbranche konnte zum Abschluss des dritten Quartals zwar angesichts niedriger Zinsen und schlechten Umfelds verhältnismäßig gute Ergebnisse vorlegen. Das Bruttobankprodukt stieg laut Finanzaufsicht CSSF gegenüber September 2010 um 5,6 Prozent und das Bruttoresultat um acht Prozent auf 4,268 Milliarden Euro. Doch die Banken treffen im Rahmen der Schuldenkrise ihre Vorsichtsmaßnahmen, machten Rückstellungen über 1,6 Milliarden Euro. Das Nettoergebnis schrumpfte deswegen um 17,8 Prozent auf 2,647 Milliarden Euro. Nachdem sich die Europolitiker mit den europäischen Bankenverbänden in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag auf einen höheren Schuldenschnitt für Griechenland einigten – 50 statt 21 Prozent –, und beschlossen, dass die Kernkapitalquote der Banken bis zum nächsten Sommer neun Prozent betragen muss, werden zum Jahresende noch höhere Provisionen anfallen und ein Teil der Gewinne zurückbehalten werden, um Kapitalpuffer auszubauen.
Nun deutet sich an, wie angesichts der Katastrophennachrichten die Verunsicherung aus der Finanzbranche auf die Realwirtschaft übergreift. Zwar war die Stimmung in den letzten Umfragen in den Luxemburger Unternehmen noch nicht schlecht. Doch der Verbrauchervertrauensindex der Luxemburger Zentralbank sank von neun Punkten im Mai auf minus zwei im September. Die Luxemburger Verbraucher bewerten auch die Aussichten für die Wirtschaftsentwicklung in Luxemburg im September deutlich schlechter als noch im Vormonat. Beim Handelspartner Deutschland, geht das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, wegen der schlechten Stimmung bei den Unternehmern, davon aus, dass die Wirtschaft im vierten Quartal stagnieren wird. Wenn aber die Abnehmer in Deutschland, beispielsweise der Luxemburger Automobilausstatter, entscheiden, die Lager zu leeren, bevor neue Ware bestellt wird, hat das Folgen für die Bestellungen hierzulande.
Ein Hinweis, dass dem so ist und auch die Luxemburger Industrieunternehmen verunsichert sind, lieferte am Mittwoch das Konjunkturkomitee, das mit 28 Anträgen zur Genehmigung von Kurzarbeit merklich mehr Anfragen verbuchte, als für September eingingen (19). Voraussichtlich 2 122 Arbeitnehmer könnten im November kurzarbeiten. Zwar zeigt die Erfahrung der vergangen zwei Jahre, dass, seit der Staat die Kosten für die Kurzarbeit vom ersten Tag an übernimmt, die Unternehmer als Vorsichtsmaßnahme Anträge stellen und nachher weitaus weniger kurzgearbeitet wird, als befürchtet. Doch im Juli 2008 hatten in der gesamten Luxemburger Wirtschaft zwei Mitarbeiter verkürzte Arbeitszeiten hinnehmen müssen, im Mai 2009 waren 9 630 und erst vergangenen August wurde mit 881 Kurzarbeitern die 1 000-Grenze wieder unterschritten.
Im September beantragten erstmals seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 weniger als 20 Firmen Kurzarbeit für den folgenden Monat. Nun kehrt sich der Trend wieder um. Angesichts der Tatsache, dass die Kurzarbeit nie wieder auf das Vorkrisenniveau zurückfiel, kann man sich fragen, ob es neben dem Phänomen der zunehmenden Langzeitarbeitslosigkeit auch das einer langfristigen Kurzarbeit gibt. Dass die Zahl der Anträge augenblicklich wieder steigt, dürfte aber darauf zurück[-]zuführen sein, dass auch die Chefs gesunder Firmen beim Blick in die Auftragsbücher einen Rückgang der Bestellungen feststellen oder zumindest befürchten.
Zwar hat sich den Angaben des Observatoire de la compétitivité zufolge der reale Wechselkurs in der Industrieproduktion in den vergangen Jahren nicht ganz so dramatisch verschlechtert wie im Dienstleistungsbereich. Doch weil sich die Bedingungen im Vergleich zum Ausland nicht verbessern und sich die Konjunkturaussichten eintrüben, überrascht es nicht, wenn sich der Wirtschaftsminister Sorgen um den „schleichenden“ Stellenabbau in der Industrie macht und im Hinblick auf neuerliche Produktivitäts- und Kostendebatten in der Tripartite feststellt: „Manchmal ist das Niveau gut, aber die Entwicklung schlecht.“ Die – noch vorläufige – Schließung der Stahlwerke in Rodingen und Schifflingen (450 Stellen), die Nachricht, dass der Chemiekonzern Henkel seine Spülmaschinentabs in Zukunft nicht mehr bei Chemolux aus Foetz beziehen will (140 bedrohte Stellen laut Gewerkschaft), die vom Unternehmen unkommentierte Nachricht, dass der Chemieriese Dupont seine Beteiligung am Joint Venture Teijin Films verkaufen möchte, die in Contern 300 der insgesamt dort beschäftigten 1 200 Mitarbeiter auf der Lohnliste hat, bestätigen, dass es sich dabei nicht nur um die vorgeschobenen Sorgen eines Berufspessimisten handelt.
Gar nicht schleichend, sondern sprunghaft stieg die Zahl der Neueinschreibungen bei der Adem im September – trotz Beschäftigungszuwachs. Mehr als 2 000 waren es, die sich Statec-Angaben zufolge Anfang Herbst bei der Arbeitsagentur in die Schlange stellten, „un niveau jamais atteint auparavant“, wie die Statistiker schreiben. Die Entwicklung könne nicht allein durch die saisonal bedingten Einschreibungen von Schulabsolventen erklärt werden. Bei den neu angeschriebenen Jobsuchenden, mutmaßt das Statec im Konjunkturflash von Oktober, könne es sich um Leute handeln, die sich seit der Krise aus dem Arbeitsmarkt zurückgezogen hatten und nun wieder auf Jobsuche gehen.
Statec-Direktor Allegrezza warnt vorsichtshalber schon einmal davor, dass Luxemburg vier von neun Kriterien – unter anderem was den realen Wechselkurs und die nominalen Lohnstückkosten betrifft – nicht erfüllen wird, die im Rahmen der neuen Excessive imbalance procedure so gut wie festgelegt sind. Durch die neue EU-Prozedur sollen nach dem Vorbild der Maastrichter Stabilitätskriterien große wirtschaftliche Ungleichgewichte und Wettbewerbsunterschiede in der Eurozone ausgeglichen werden. Zwar wird es keine automatischen Sank-tionen geben, wie sie nun für wiederholte Defizit- und Schuldensünder angedacht sind. Doch der Druck auf die Luxemburger Sozialpartner, sich konstruktiv mit der Problematik auseinanderzusetzen, um dauerhafte Lösungen zu finden, steigt.