Ende August schlug das Thema ein paar Tage lang Wellen: Die Partei déi Lénk und ihr früherer Abgeordneter Serge Urbany warfen der Regierung vor, „die neue Investitionsstrategie der Rentenkasse verstärkt auf die Spekulation“ auszurichten und „die Boni von Finanzjongleuren zu finanzieren“ (d’Land, 28.8.2009). Die Kompensationsreserve der Nationalen Pensionskasse könne künftig bis zur Hälfte in Aktien und Aktienfonds angelegt werden, obwohl man zugebe, dass 2007 die Verluste sich nur deshalb in Grenzen hielten, weil der Aktienanteil damals lediglich fünf Prozent betrug. Dass Sozialminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) die neue Linie „mitten in den Sommerferien“ – am 22. Juli – durch eine Verordnung genehmigte, nannte déi Lénk einen „Skandal im Sommerloch“.
Die Geschichte könnte das Sommerloch überdauern. Zwar hatte schon am 31. Juli Den neie Feierkrop beschrieben, wie Di Bartolomeo dabei sei, „die Rentenreserven zu verspielen“. Viel Aufmerksamkeit erregte die Meldung jedoch nicht – trotz anhaltender Krise, in der nur Tage zuvor ein ratloser Premier Jean-Claude Juncker in der Antrittserklärung der neu-alten Regierung bekannt hatte, man wisse gar nicht, welchen politischen Spielraum es in der neuen Legislaturperiode gibt.
Mittlerweile aber wird das Thema mehr und mehr politisiert – obwohl die Verordnung vom 22. Juli längst in Kraft ist. Elf Tage nach der Lénk meldeten sich am 1. September Déi Gréng und verlangten, dass der Minister dem parlamentarischen Sozialausschuss Rede und Antwort stehe. Denn konsultiert zum Verordnungsentwurf hatte er Berufskammern und Staatsrat, nicht jedoch das Parlament. Doch während die Grünen, wie Ausschussmitglied Felix Braz dem Land erklärt, „nicht über Prozentanteile diskutieren“ wollen, sondern über die „Qualität der Anlagen, wenn der Spielraum nun derart erweitert wurde“, ist die ADR sich seit Mittwoch dieser Woche schon sicher, „auf keinen Fall einverstanden“ mit dem Aktienanteil zu sein, und spricht in einer Presseerklärung von „Casino-Kapitalismus pur“.
Damit könnte der Minister mehr als lediglich ein Kommunikationsproblem mit dem Parlament zu lösen haben. Di Bartolomeos Ansatz war es durchaus gewesen, die Beratungen im Vorstand des Fonds über die neue Strategie nicht durch zu viel Öffentlichkeit zu stören. Immerhin hieß der Vorstand das Konzept schon Ende November vergangenen Jahres gut, und weshalb man künftig stärker in Aktien investieren will, hätte ausgerechnet zu einer Zeit erläutert werden müssen, da nach der Rettung von Fortis und Dexia durch den Staat kaum ein Tag ohne Spekulationen über die Kaupthing Bank Luxemburg verging.
Ganz abgesehen davon aber vermied es die CSV-LSAP-Regierung während der gesamten vergangenen Legislaturperiode, das Rententhema zu politisieren. Anstelle eines Rentendësch II unter Einschluss aller Parteien richtete sie lediglich eine Tripartite-Arbeitsgruppe ein, deren Abschlussbericht bis heute nicht vorliegt. Nun, da die Juncker-Asselborn-Regierung II Rentenreformen angekündigt hat, ohne genau zu wissen welche, könnte während einer längeren Zeit eine Scheindebatte über den Kompensationsfonds geführt werden, in welcher die ADR Mars Di Bartolomeo „Casino-Kapitalismus“, wenn nicht gar „Rentenklau“ vorwirft. Er könnte gezwungen sein, mit einem Konzept zur Reform des Pensionssystems strategisch in Führung zu gehen und dennoch erleben zu müssen, wie die ADR die gesamte LSAP vor sich her treibt. Dass die ADR ihre Erklärungen zum Kompensationsfonds nach zweitägigen Beratungen abgab, könnte darauf hindeuten, dass sie Wahlen mit dem Rententhema für erneut gewinnbar hält.
Dabei hatte, als die Abgeordnetenkammer am 20. April 2004 jenes Gesetz verabschiedete, das die Grundlage dafür schuf, keiner den Kompensationsfonds lautstärker begrüßt als ADR-Fraktionschef Gast Gybérien. Lediglich der Lénk-Abgeordnete Serge Urbany hatte gegen das Gesetz gestimmt. Dass eine Studie von PriceWaterhouseCoopers empfahl, die vom Fonds zu gründende Investmentgesellschaft mit variablem Kapital (Sicav) sollte einen Aktienanteil von 20 Prozent an ihren Aktiva anstreben, erregte kein großes Aufsehen. Dabei lag die Dotcom-Krise noch nicht lange zurück. Gast Gybérien, der heute gegenüber dem Land „jede Investition in Aktien für eine Spekulation“ hält und „damals wie heute“ dagegen gewesen sein will, hielt diesen Anteil vor fünf Jahren zwar für etwas, „worüber man diskutieren könnte“, fand jedoch, das Wichtigste sei die Abschaffung der kurzfristigen Festgeldanlagen der Pensionsreserve. Und er strich hervor, dass das Aktiounskomitee fir Demokratie a Rentegerechtegkeet schon in seinem Wahlprogramm 1994 für eine bessere Anlage der Reserve eintrat.
Wie diese Anlage aussehen sollte, wenn nicht gemäß der neuen Strategie, das wäre die Frage. Der neue Ansatz soll die „Übergangsphase“ beenden, die schon vor fünf Jahren die Parlamentarier für den Kompensationsfonds vorsahen. Hatten PriceWaterhouseCoopers in ihrer Studie neben dem Aktienanteil von 20 Prozent vor allem Anlagen in Obligationen (26%) und Immobilien (6%) empfohlen und Investitionen in Liquiditäten abzuschaffen vorgeschlagen, waren Ende vergangenen Jahres nur 2,9 Prozent in Aktien angelegt, 24,7 Prozent in Obligationen und 72,4 Prozent in Liquiditäten.
Fondspräsident Robert Kieffer räumt gegenüber dem Land unumwunden ein, dass der Sicav Glück hatte, so wenig in Aktien investiert zu haben. Schließlich lag der Wertverlust dieser Anlage Ende 2008 gegenüber ihrer Platzierung im Sommer 2007 bei 40 Prozent. Bis August 2009 aber hat das Paket wieder 25 Prozentpunkte an Wert gewonnen, rechnet Kieffer vor, und auf das langfristige Ziel komme es an: Sofern keine Katastrophe in der Beschäftigung geschieht, werden allen aktuariellen Prognosen zufolge bis in die 2020-er Jahre die Einnahmen aus den Rentenbeiträgen im allgemeinen System die Ausgaben übersteigen. Die Reserve, die Ende 2008 8,9 Milliarden Euro oder 3,56 Jahresausgaben betrug, wird so lange nicht zur Zahlung von Leistungen herangezogen werden müssen. Entsprechend langfristig kann sie angelegt werden. Die Aussicht überzeugte auch die Gewerkschaftsvertreter im Vorstand des Kompensationsfonds und im beratenden Investitionskomitee – alle Strategieentscheidungen fielen einstimmig.
Die neue Strategie sieht vor, den Aktienanteil nach und nach auf 35 Prozent zu heben, den der Obligationen auf 55 Prozent, den der Immobilien auf zehn Prozent und den der Liquiditäten auf fünf Prozent. Dass die vergangenen Monat in Kraft getretene Verordnung dem Sicav vor allem das Anlagevolumen in Aktien mit einem Maximum von 50 Prozent deutlich zu überschreiten erlaubt, soll dafür sorgen, dass der Fonds von den derzeit niedrigen Kursen zu profitieren vermag und die die Anlagen verwaltenden Manager gegebenenfalls „taktisch“ einkaufen können.
Gemeinsam mit externen Beratern hat der Kompensationsfonds dieses Portfolio unter verschiedenen Varianten ausgewählt. Zugrunde lag ein Modell, das die Verläufe der Werte von Aktien-, Obligations- und Immobilienanlagen zwischen 1972 bis 2008 berücksichtigte. Damit bezog es zwei Stahlkrisen, eine Ölkrise, die „Stagflation“ Ende der Siebzigerjahre, die Rezession Anfang der Neunzigerjahre, die Dotcom-Krise um die Jahrtausendwende, aber zum Teil auch und die jüngste Krise ein.
Das daraus ermittelte statistische Risiko für das Portfolio besteht darin, während hundert Jahren in höchstens einem Geschäftsjahr 12 Prozent des gesamten Kapitals zu verlieren. Der Aussicht, dass nach dieser Modellierung streng genommen in jedem Geschäftsjahr ein kleinerer Verlust drohen könnte, steht gegenüber, mit einem Erlös von jährlich fünf bis sechs Prozent rechnen zu können. Damit soll die Pensionsreserve wenigstens um die Inflation und die regelmäßigen Anpassungen der Rentenausgaben an die Entwicklung der Kaufkraft vergrößert und vielleicht auch ein wenig an den Bevölkerungszuwachs angepasst werden.
Kieffer nennt die Strategie „noch immer konservativ“, wenngleich die Handelskammer sie in ihrem Gutachten zum Verordnungsentwurf als „Durchbruch“ feierte. Immerhin: Einer der vier Patronatsvertreter im Vorstand des Kompensationsfonds hatte maximales Risiko eingehen wollen: 21,5 Prozent Kapitalverlust in einem von hundert Geschäftsjahren bei einem jährlichen Erlös von knapp über sieben Prozent – und einer Rentenreserve, die bis in die 2040-er erhalten geblieben wäre; no risk, no fun. Aber so weit wollte sonst niemand gehen.
Mit diesem Ansatz aber dürfte der Kompensationsfonds ohne Weiteres dem Gesetz über die Verwendung der Pensionsreserve gerecht werden, das festlegt: „La réserve de compensation est placée dans le but de garantir la pérennité du régime général de pension.“ Ganz anders investieren zu wollen, könnte man auch ein Vergehen an der Reserve unterstellen. Dafür müsste nicht nur eine Verordnung, sondern das Gesetz zum Pensionskassenvermögen grundlegend geändert werden. Das tun zu wollen, erklärt lediglich Serge Urbany offen, der sich in Krisenzeiten vorstellen kann, „die heimische Wirtschaft“ aus der Pensionsreserve zu unterstützen, „zum Beispiel Villeroy [&] Boch“. Dass gegenüber dem Erlös aus den Anlagen der Erhalt von Arbeitsplätzen „Priorität“ haben müsse, findet auch Grünen-Fraktionschef François Bausch, erläutert aber nicht, was das für Konsequenzen für die Verwendung der Pensionsreserve haben soll. Fonds-Präsident Kieffer erklärt, die Vergabe günstiger Kredite an Personen, Gemeinden und Betriebe sei weiterhin möglich, der Kompensationsfonds könne aber nicht alle möglichen Kreditrisiken abschätzen: „Die SNCI sind wir nicht.“
Und auch Gast Gybérien wusste vor fünf Jahren schon: Wer über den Kompensationsfonds „Arbeitsplätze schaffen“ wolle, müsse sich „fairerweise vor Augen halten, dass die Gelder dazu da sind, Pensionen zu bezahlen, und dass es die Verpflichtung derjenigen ist, die diese Gelder verwalten, ein Maximum an Erlös zu erzielen“.Womit alle Betrachtungen um den Einsatz der Milliarden Euro RentenGelder auch Ausdruck der Suche nach der Neuerfindung Luxemburgs in anhaltenden Krisenzeitensind. Die Opposition ist darin zurzeit so ratlos wie die Regierung.