Fernand Kartheiser hat Angst vor schwulen Kängurus. Genauer: Er fürchtet, dass ein Kinder-Theaterspiel um ein schwules Känguru seine heterosexuelle Familiennorm in Frage stellt. Deshalb fragt er in einer parlamentarischen Anfrage Bildungsminister Claude Meisch (DP), Kindern Stücke über „heterosexuelle, traditionelle und natürliche Familien“ zu zeigen, in denen deren Lebensmodell „positiv dargestellt“ wird.
Vielleicht war Kartheiser nie in Australien oder er hat in Biologie nicht aufgepasst. Sonst wüsste er, dass es auf der Erde rund 1 500 Tierarten gibt, die Homosexualität ausleben, darunter Kängurus, schwule Plattwürmer, lesbische Giraffen oder Zwergschimpansen. Und das sind nur die bekannten. Vor zwei Jahren wurde erstmalig ein lesbischer Sexakt bei Berggorillas dokumentiert. Homosexualität ist ein Tabuthema. So wie manche Politiker glaubten Biologen lange, Sex diene nur der Fortpflanzung. Dabei geht es beispielsweise auch darum, das soziale Miteinander zu klären. Oder es macht den Tieren einfach Spaß.
In Ein Känguru wie Du, das im November im Kapuzinertheater und ab Februar in der Abtei Neimünster aufgeführt wird und das auf dem gleichnamigen Kinderbuch von Ulrich Hub und Jörg Mühle basiert, geht es um Homosexualität, in erster Linie aber um Solidarität, Liebe und Menschlichkeit. Die Zirkustiere Pascha, ein weißer Tiger, und Lucky, ein schwarzer Panther, verlassen ihren Dompteur, weil der schwul sein soll. Auf ihrer Suche nach einem neuen Trainer landen sie in einer Bar, wo sie Django treffen, ein muskulöses Känguru. Ein „echter Mann“, ein Preisboxer, der weiß, was ein linker Haken ist. Dann stellt sich heraus: Django ist schwul.
Die Geschichte, die der Service de Coordination de la recherche et de l‘Innovation pédagogiques et technologiques in Absprache mit den regionalen Schuldirektionen Grundschülern des dritten und vierten Zyklus anbietet, ist eine intelligente gut gemachte Auseinandersetzung mit Liebe, Freundschaft und Klischees über Männlichkeit, etwa wenn Django über seine neue Freunde lacht, weil die sich „wie kleine Mädchen“ genieren, ihre Kunststücke aufzuführen, oder wenn die Großkatzen Tränen unterdrücken, obwohl sie ihren Trainer vermissen. Obschon für Kinder ab acht Jahren geschrieben, sind Erwachsene ebenfalls eingeladen, sich wie Pascha und Lucky mit ihren Vorurteilen auseinandersetzen: JedeR von uns hat den einen oder anderen dummen Spruch gehört oder selbst vom Stapel gelassen. Um Lehrkräfte zu unterstützen, das Thema altersgerecht aufzuarbeiten, hat das Ministerium mit dem Zentrum fir politesch Bildung und mit dem schwul-lesbischen Informationszentrum Cigale ein pädagogisches Begleitheft für den Unterricht entwickelt. Die ersten Rückmeldungen der Lehrkräfte auf die Vorführung im November waren laut Script positiv.
Bei Kartheiser helfen wohl weder Stück noch Begleitheft: Heterosexuell sei natürlich, schreibt er, ergo muss Homosexualität (für ihn) unnatürlich sein. Unterschwellig, so wird deutlich, ist der ADR-Abgeordnete dafür, dass Homosexualität weiterhin gesellschaftlich tabuisiert wird. Ab da ist es nicht mehr weit, bis Menschen ausgegrenzt oder wegen ihres Andersseins verfolgt werden. Die ADR ist für die Abschaffung der Homoehe.
Kartheisers Anfrage wurde auf den sozialen Netzwerken empört kommentiert und x-mal geteilt. Ein klassisches Eigentor also. Diese Woche feierte die Welt den 70. Geburtstag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Entsprechend unmissverständlich fiel die Antwort des Bildungsministers aus: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“, zitiert Claude Meisch den Ersten Artikel der Erklärung. Es sei die Aufgabe der Schule, den Kindern die Menschenrechte zu vermitteln.