Der Bischof sammelt seine Truppen, der Spitalplan könnte wichtige Leistungen in öffentlichen Kliniken konzentrieren. Da muss ein großes christliches Spital her

Giganonnespidol

d'Lëtzebuerger Land vom 21.12.2012

Auf dem Pressefoto steht er in der Bildmitte: Erzbischof Jean-Claude Hollerich. Er hatte darauf gehalten, anwesend zu sein, als am Montagabend die Vertreter der Zithaklinik und der Fondation François-Élisabeth (FFE) ihre Unterschriften unter ein Memorandum of Understanding setzten. Gesundheitsminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) war ebenfalls eingeladen, zog es aber vor, der Veranstaltung nicht beizuwohnen.

Das könnte man erstaunlich finden. Als im Mai 2007 die Absichtserklärung zur Fusion des Ettelbrücker Hôpital Saint-Louis und der Wiltzer Clinique Saint-Joseph unterzeichnet wurde, war der Minister zugegen und lobte dieses Vorhaben. Die Zithaklinik und die FFE, die in der Hauptstadt das Hôpital du Kirchberg und die Bohler-Klinik betreibt sowie in Esch/Alzette die Clinique Sainte-Marie, wollen ebenfalls fusionieren, wenngleich sie das noch nicht so nennen. Der Öffentlichkeit teilten sie am Montag mit, „einen neuen Krankenhausverbund“ bilden zu wollen. Das ist noch nicht sehr konkret. Tatsächlich aber ist schon abgemacht, einen einzigen Betreiber für die drei Krankenhäuser der Stiftung sowie für die Zithaklinik im Bahnhofsviertel der Hauptstadt definieren zu wollen. Eine Fusion dieser Größenordnung gab es in Luxemburg noch nie. Mit ihr entstünde, addiert man die Zahl der Betten in den vier Häusern, ein 749-Betten-Spital. Das Meganonnespidol, wie der Volksmund den 2003 eröffneten Neubau auf dem Kirchberg manchmal nennt, würde zum Giganonnespidol an mehreren Standorten.

Aber das Vorhaben, das, wenn es gelingt, zum größten Klinikum im Lande führen würde, ist nicht frei von Konfliktstoff; nach innen wie nach außen. Nach innen, weil es vor allem in der Zithaklinik auf einigen Widerstand bei den Ärzten stößt. Das hat auch historische Gründe: Vor zwanzig Jahren vereinbarte die damalige CSV-LSAP-Regierung eine duale Krankenhauslandschaft aus einer Nord-Süd-Achse öffentlicher Häuser und einem privaten Krankenhaus, der Clinique congrégationniste du Kirchberg (CCK). Anfangs sollte die CCK in einem Neubau auf dem Kirchberg nicht nur die beiden Kongregationsspitäler Sainte-Élisabeth und Sacré Cœur zusammenfassen, sondern auch die Zithaklinik. Aber deren Trägerorganisation, die Kongregation der Karmeliterinnen, verließ die für das Kirchberg-Krankenhaus gegründete Association des cliniques des congrégations réligieuses (ACCR) wieder: Die Zithaklinik hatte sich Vereinnahmungsversuchen durch die FFE und das Bistum ausgesetzt gefühlt, das mit Mandat der CSV die Interessen sämtlicher Kongregationskliniken wahrnehmen und die Planung des Kirchberg-Spitals koordinieren sollte. Dass der Karmeliterinnen-Orden nicht dem Bistum untersteht, sondern direkt dem Vatikan, machte den Zitha-Schwestern die Trennung von der ACCR leichter. Als 1993 das CSV-Nationalkomitee festhielt, die Zithaklinik sei künftig nur noch als „komplementäres“ Krankenhaus zu betrachten, und anschließend die Planungen zum Kirchberg-Spital die Zitha Krankenhausdienste kosten sollten, stritt sie sogar vor Gericht darum, bleiben zu können, was sie war.

Als Krankenhaus mit rund 250 Betten begann die Zithaklinik anschließend rund zwei Jahrzehnte lang in der Hauptstadt zwischen den beiden großen Polen CHL und Centre hospitalier du Kirchberg mit einigem Erfolg die Rolle des „kleinen, aber feinen“ Akteurs zu spielen, der immer ein bisschen wendiger und innovativer war als die beiden anderen und dessen Direktion stets einen besonders engen Kontakt zu ihren freiberuflichen Belegärzten hielt. Als ein für den Bedarf einer bürgerlichen Stater Patientenschaft und von Unternehmen besonders aufgeschlossenes Haus entwickelte die Zithaklinik sich zum kommerziell liberalsten Spital im Lande. Die kommerzielle Liberalität aber trug dazu bei, dass die Klinik längst nicht nur religiös eingestelltes Personal anzog. Was so manche Zitha-Ärzte nun fürchten, ist nicht nur ein Verlust ihres Geschäfts- und Kulturmodells, sondern auch eine Art Re-Evangelisierung: Dass die Zitha-Schwestern bereit sind, ihre Klinik in einen Verbund zu geben, rührt auch daher, dass die religiösen Orden als Träger der Krankenhäuser an Bedeutung verlieren. Die Ordensschwestern sterben aus. Dann aber wächst die Rolle des Bistums. Und weil Erzbischof Hollerich den Kongregationsspitälern offenbar eine große Bedeutung für seinen Remissionierungsauftrag beimisst, wirkt das Bistum bereits mit bei der Definition dessen, was künftig einen „christlichen“ Krankenhausverbund ausmachen soll. Auch im bistumsnäheren Kirchberg-Klinikum, das sich bislang trotz seiner religiösen Trägerschaft als in erster Linie „humanistisches“ Spital versteht. Für den Krankenhausverbund Zitha-FFE soll eine Arbeitsgruppe „Werte“ unter anderem klären, wo die roten Linien verlaufen sollen. Ob im dann größten Klinikum im Lande Abtreibungen vorgenommen werden könnten und aktive Sterbehilfe gewährt werden dürfte, ist beispielsweise offen.

Weil damit die Frage nach dem Verhältnis von Staat und katholischer Kirche berührt wird, mag der Gesundheitsminister die Unterzeichnung der Absichtserklärung am Montag und die Anwesenheit des Erzbischofs vielleicht schon deshalb gemieden haben. Selbst wenn er das Fusionsvorhaben prinzipiell durchaus gutheißen könnte: Oft genug war in der Gesundheitsreform vor zwei Jahren die Rede von dringend nötigen Synergien im Klinikbereich, der Bündelung von Kapazitäten und der Schaffung von Kompetenzzentren.

Zu einem Politikum aber könnte das Fusionsvorhaben nicht nur werden, weil eine evangelikale  Ausrichtung sich schwerlich mit einem Service public vertrüge und sich dann die Frage stellt, weshalb ein solches Spital öffentlich subventioniert werden sollte. Ein anderer Konfliktherd hat damit zu tun, dass im kommenden Jahr der neue Plan hospitalier verabschiedet werden soll, der am 1. Januar 2014 in Kraft träte.

Im Grunde ist eine Spitalplan-Debatte eine eher technische. Doch der neue Plan soll nicht allein Betten-Ökonomie betreiben und den einzelnen Krankenhäusern schwere Medizintechnik zuweisen. Zum ersten Mal soll er festlegen, „wer was macht“, und er soll für die Bündelung bestimmter Aktivitäten sorgen. Dazu hatte das Gesundheitsministerium bei dem Consultant Lenz Beratungen & Dienstleistungen AG in Zürich nicht nur eine Expertise, sondern auch ganz konkrete Handlungsempfehlungen bestellt. Erste Vorentwürfe des Lenz-Berichts waren im Sommer mit den Krankenhausdirektionen diskutiert worden. Am Dienstag lag die Endfassung in der Ständigen Krankenhauskommission vor. Ihr gehören Vertreter des Gesundheits-, des Sozial- und des Finanzministeriums an sowie Delegierte des Krankenhausverbands FHL, der Gesundheitskasse CNS, des Ärzteverbands AMMD und des Verbands der Paramediziner. Zum Spitalplan hat diese Kommission eine wichtige beratende Stimme.

Und es dürfte nicht von ungefähr gekommen sein, dass das Memorandum of Understanding zwischen Zithaklinik und FFE ausgerechnet einen Tag vor der Kommissionssitzung unterschrieben und publik gemacht wurde. Der Lenz-Bericht, der den Krankenhaus-Versorgungsbedarf für die nächsten sechs Jahre prognostiziert, kommt zu dem Schluss: Für besonders schwierige Akut-Behandlungen, womit sehr komplizierte Operationen und die Behandlung von Schlaganfall-Patienten gemeint sind, seien hauptsächlich das CHL in der Hauptstadt und das Centre hospitalier Émile Mayrisch (Chem) im Süden groß genug. Wobei „Größe“ dem Bericht nach nicht nur etwas zu tun hat mit der Zahl der bislang pro Jahr behandelten Fälle im Vergleich mit internationalen Benchmarks. Sondern auch mit organisatorischen Aspekten wie der Verfügbarkeit von Ärzten und ganzen Teams. Der Lenz-Bericht hebt sechs Bereiche besonders komplexer Behandlungen hervor, die in „Konzentrationsfeldern“ zusammengefasst werden sollten.

Aber ob es sich dabei um komplexe Bauchchirurgie handelt – Operationen an der Leber, der Bauchspeicheldrüse oder der Speiseröhre etwa –, um Operationen an der Halsschlagader, um Stroke Units zur Behandlung von Schlaganfallpatienten oder um Brustkrebs-OPs: Sie sollten in CHL und Chem konzentriert werden. Brustkrebs-OPs des weiteren noch in der Bohler-Klinik, eine dritte Stroke Unit sollte ins Centre hospitalier du Nord kommen. Lungenkrebs-Operationen sollten im Chem und der Zithaklinik stattfinden (im CHL nicht), neurochirurgische Operationen am Schädelinnern ausschließlich am CHL. Für Operationen an der Speiseröhre komme auch die Zithaklinik infrage und für schwierige Operationen am Rektum auch das Hôpital du Kirchberg. Summa summarum entfiele diesen Empfehlungen nach nur ein Teil der besonders diffizilen Eingriffe auf die beiden Krankenhäuser des Centre hospitalier du Kirchberg und die Zithaklinik.

Gegen diese Empfehlungen argumentieren die Spitzen der Kongregationskrankenhäuser nun. Das ist kein Wunder: Übernähme der Spitalplan tatsächlich die Konzentrations-Empfehlungen des Lenz-Berichts, erhielte der am Montag angekündigte größte Spitalverbund im Lande nicht nur wenige komplexe Eingriffe übertragen. Er müsste überdies Fälle, die in seinen Häusern bisher schon behandelt werden, in Zukunft anderen überlassen – vor allem dem öffentlichen CHL und dem halböffentlichen Chem, das von Südgemeinden und einer Stiftung der Gemeinde Esch/Alzette mit Arcelor-Mittal getragen wird. Ganz abgesehen davon, dass dies einen Aktivitätsverlust mit sich brächte, sowie einen Verlust an Sichtbarkeitspotenzial nach draußen: Nicht zuletzt im Centre hospitalier du Kirchberg, das seinerzeit mit dem Plazet der CSV gegründet worden war, um die öffentlichen Spitäler das Fürchten zu lehren, könnte ein solcher Spitalplan durchaus als Schmach empfunden werden.

Ihre Pläne zum Verbundkrankenhaus hätten für ein neues Moment gesorgt, lautet das Gegenargument. Außerdem sei die Datenbasis des Lenz-Berichts nicht zuverlässig. Schließlich soll die lückenlose Dokumentation der Krankenhausaktivitäten, inklusive Komplikationsraten und Überlebens-Statistiken, ja erst eingeführt werden. Lenz schreibe selber, bei der Erfassung der Krankenhausdaten hinke Luxemburg dem Rest von Westeuropa ein Jahrzehnt hinterher. Da sei es besser, der nächste Spitalplan schriebe weitgehend den Status quo fort, in der Zwischenzeit würden die Krankenhaus-Dokumentation eingeführt und die Daten korrekt erhoben. Dann könne man für den übernächsten Plan in voller Kenntnis der Lage diskutieren. Also im Jahr 2017 vielleicht.

Wie dieser Konflikt ausgeht, könnte eine der spannenderen gesundheitspolitischen Fragen im kommenden Jahr werden. Ob die Datenbasis des fast 300 Seiten langen Berichts, der dem Land vorliegt, wirklich so schlecht ist, dass sie nicht taugt für die Konzentration besonders komplexer Fälle, ist nicht gesagt. Die Schweizer Consultants haben mit sehr viel Akribie die Krankenhaus-Behandlungsdaten, die die CNS sammelt, auf ein international seit vielen Jahren gebräuchliches System zur Patientenklassifizierung umgerechnet. Dass das nicht verlustlos funktioniert, räumen sie ein. Und sie haben Informationslücken mit Operationsdaten gegenzurechnen versucht, die das Centre de recherche public de la Santé erfasst hat. Weitere Lücken stopften sie mit Einzelrecherchen in den Luxemburger Spitälern. Die Fehlermarge für die jährlichen Fallzahlen pro Spital liegt dem Bericht zufolge bei fünf Prozent. Das sei zwar nicht wenig, aber der Fehler ein systematischer.

Damit wäre die Konzentrations-Frage dann doch eine vor allem politische. Das interessante Moment dabei ist, dass zwar der Gesundheitsminister entscheiden muss, wie weit sein Spitalplan gehen soll. Wobei Mars Di Bartolomeo diesmal anders als 2009, bei der Verabschiedung des letzten Spitalplans, der tatsächlich nur den Status quo fortschrieb, unter starkem Druck von sowohl Gewerkschafts- als auch Unternehmervertretern im Vorstand der CNS steht, mit dem neuen Plan für spürbare und anhaltende Kostensenkungen im Klinikbereich zu sorgen. Alles aufzuschieben, verbietet sich eigentlich, wenn die CNS schon nächstes Jahr wieder mit Defiziten rechnet.

Aber das Fusionsvorhaben von Zithaklinik und FFE und ihr Druck auf die Spitalplanverhandlungen könnte die anderen drei Krankenhäuser und ihre Träger auf den Plan rufen. Womöglich könnte das nur eine Frage der Zeit sein, denn dem Vernehmen nach kam es diese Woche im Krankenhausverband FHL schon zu ersten kulturkämpferischen Zusammenstößen. Da ist es gar nicht auszuschließen, dass auf den Zusammenschluss-Entscheid der Kongregationsspitäler eine verstärkte Zusammenarbeit der öffentlichen Häuser folgt. Wenn nicht vielleicht sogar ihr Zusammenschluss zu einem Klinikum mit weit über 1 000 Akutbetten. Retten könnten das Machtspiel der Kongregationsspitäler dann vermutlich weder der Bischof, noch die CSV: Die ist mit députés-maires wie Michel Wolter und Jean-Paul Schaaf in den Verwaltungsräten der öffentlichen Häusern präsent. Und zweitens entspräche eine solche Konstellation ja dem dualen System, das die Santer-Poos-Regierung 1992 abgemacht hatte. Nur dass damals und vor nicht allzu langer Zeit jedes Spital im anderen einen Gegner sah. Schon möglich, dass die Krankenhauslandschaft seit dieser Woche nicht mehr dieselbe ist.

Peter Feist
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