„Das hier ist ein wichtiges Gesetz“, sagt Gesundheitsminister Mars Di Bartolomeo (LSAP), als er am Dienstag vor die Presse tritt. Das ist wohl wahr. Man könnte den Text sogar historisch nennen, denn schon Di Bartolomeos Vorgänger Carlo Wagner (DP) hatte darüber nachgedacht, ein „Patientenrechtsgesetz“ zu schaffen – und damit unter anderem auch eine nationale Anlaufstelle, die vermittelt, falls es Patientenbeschwerden gibt. An die 13 Jahre später steht der „Service national d’information et de médiation dans le domaine de la Santé“ nun in einem von drei Kapiteln für ein Patientenrechtsgesetz.
Weil Di Bartolomeo ein Avant-projet dazu bereits im Frühjahr 2011 informell zur Diskussion gestellt hatte und vom Ärzteverband über die Krankenhausvereinigung bis hin zur Patientevertriedung alle Stakeholders vom Fach lange Gutachten dazu schrieben, müsste man davon ausgehen können, dass der fertige Entwurf ziemlich ausgereift ist und seine Verabschiedung nicht allzu lange dauern dürfte.
Oder doch? Bei der Patientevertriedung ist man auch mit dem jetzt vorliegenden Text noch nicht zufrieden. Vor gut einem Jahr hatte die Asbl die informelle Vertraulichkeit der Konsultationsphase zum Avant-projet gebrochen. Öffentlich erklärte sie, der Text sei so mangelhaft, dass er „ganz neu geschrieben“ gehöre (d’Land, 07.10.2011). Denn das Patientenrechtsgesetz soll mehr leisten, als nur eine Mediationsstelle einführen. Im Grunde soll es die Beziehung zwischen dem Patienten und dem Arzt, dem Krankenhaus und jeglichem Gesundheitsberufler klären; in einem Bereich, aus dem immer mehr Klagen wegen angeblicher Behandlungsfehler vor Gericht landen.
Wann ein Patient ausreichend informiert wurde, damit davon ausgegangen werden kann, dass sein „aufgeklärtes Einverständnis“ zu einer Behandlung vorliegt, ist einer der wichtigen Punkte im Gesetzentwurf. Geht es nach dem Gesundheitsminister und seinen Juristen, soll die Aufklärung des Patienten in erster Linie mündlich erfolgen und nur „gegebenenfalls“ auch schriftlich. Für die Patientevertriedung reicht das nicht: „Wir wollen beides“, sagt Patientenberaterin Michèle Wennmacher.
Denn wer bei der Organisation vorspricht, komme „meistens“ gleich mit der gravierendsten Reklamation daher, die ein Patient äußern kann: der Vorstellung, falsch behandelt worden zu sein. „Im Gespräch stellt sich jedoch häufig heraus, dass der Patient etwa über eine Nebenwirkung eines Medikaments nicht Bescheid wusste oder eine Heilung länger dauert, als er sich das vorstellte.“ Dass der Patient unzureichende Erklärungen erhielt, sei „durchaus möglich“.
Deshalb besteht die Asbl darauf, dass Informationen zumindest zu schwer wiegenden Eingriffen grundsätzlich immer auch schriftlich erteilt werden sollen. Sie verweist auf Beispiele im Ausland, wo den Patienten in diesen Fällen Merkblätter ausgehändigt würden, die die Behandlung und etwaige Risiken erläutern. Diese Vordrucke könne der Pa-
tient mitnehmen und in Ruhe darüber nachdenken, etwaige Fragen bei einem nächsten Termin mit dem Arzt besprechen. Mit dem Gesundheitsministerium habe die Asbl darüber schon debattiert. „Uns wurde entgegnet, schriftliche Informationen würden der Komplexität der Fälle nicht gerecht.“ Es gehe aber um „Basisinformationen für den Patienten“, betont Wennmacher. Individuell weiter aufklären könne man anschließend immer noch.
Problematisch sei überdies, dass davon ausgegangen wird, ein Patient könne seine „stillschweigende Einwilligung“ zu einer Behandlung erteilen. Laut Gesetzentwurf wäre ein „consentement tacite“ dann gegeben, wenn der Patient durch sein „Verhalten“ darauf schließen lässt, einverstanden zu sein. „Es geht dabei nicht etwa um Notsituationen, in denen der Patient sich nicht ausdrücken kann, weil er zum Beispiel nach einem Unfall bewusstlos ist“, präzisiert Wennmacher. Eine Zustimmungserklärung rein nach „Verhalten“ lasse sich aber nicht objektiv ermitteln. „Dieser Passus muss raus aus dem Text.“
Das zweite große Thema, das im Patientenrechtsgesetz geklärt werden soll, betrifft den Zugang zur Patientenakte. Das ist ein wichtiger Komplex, der zumindest für Krankenhauspatienten schon seit 14 Jahren im Krankenhausrahmengesetz geregelt ist – mit der einfachen Formulierung, dass ein Patient auf Anfrage Einsicht in sein Dossier erhalten muss. Diese Vorschrift soll nun auch auf den außerklinischen Bereich ausgedehnt werden. Den niedergelassenen Ärzten in ihren Praxen erlegt bislang kein Gesetz, sondern nur die Konvention zwischen Ärzteverband und Gesundheitskasse sowie der medizinische Deontologie-Kodex auf, Patienten Einblick in deren Dossier zu gewähren.
Dass sich dabei auch mit dem neuen Gesetz praktische Probleme stellen könnten, räumt auch der zuständige Jurist aus dem Gesundheitsministerium ein. Nimmt der Entwurf zum Patientenrechtsgesetz doch eine Zukunft vorweg, von der sich nicht genau sagen lässt, wann sie eintreten wird: die Existenz eines einzigen, computerbasierten Dossier partagé für jeden Patienten. Es einzuführen, war eine wichtige Festlegung der Gesundheitsreform von 2010 gewesen. Jeder Arzt, jedes Krankenhaus, jeder Gesundheitsberufler wird in diesem Dokument Behandlungen und deren Umstände vermerken. Doch bis es besteht, wird es zwangsläufig erst einmal weiterhin verschiedene Patientenakten geben. So lange kann die Suche nach der richtigen Information über mehrere Spitäler und Ärzte führen. Dass ein Patient sich dafür „um Hilfe an einen Dienstleister“ wenden müsste, sei durchaus möglich, räumt das Ministerium ein. Der Gesetzentwurf jedoch klärt bisher nicht, welcher „Dienstleister“ das sein soll und wie die Hilfe konkret gewährt würde.
Für die Patientevertriedung ist das eine große Schwachstelle. Umso mehr, als es allen bestehenden Regelungen zum Trotz „so häufig vorkommt, dass ein Patient keinen Zugang zu seinem Dossier erhält, dass man dieses Problem gang und gäbe nennen kann“, erklärt Michèle Wennmacher. Erfahrungsgemäß besonders schwierig sei für die Patienten die Einsichtnahme in ihre Akten in einer Arztpraxis. „In den Krankenhäusern dagegen klappt es mittlerweile recht gut, nachdem wir die Direktion angeschrieben haben.“ Soll heißen: Eine Interven-
tion der Patientevertriedung ist gegenwärtig auch in diesen Fällen nicht selten erforderlich; Spitalgesetz hin, Spitalgesetz her. Unzufrieden ist die Asbl mit den Bestimmungen zum Patientendossier im Gesetzentwurf auch in noch einer anderen Hinsicht. Bisher präzisiert der Text nicht, was in der Patientenakte zu stehen hat und wie ausführlich diese Eintragungen sein sollen. „Das wäre aber wichtig“, so Wennmacher. „Unserer Erfahrung nach tragen manche Ärzte nur einen Satz ein, andere beschreiben haarklein jede Diagnose und jeden Behandlungsschritt.“ Und leider fertige nicht jeder Krankenhausarzt in jedem Fall einen OP-Bericht an.
Das klingt nach potenziell vielen Problemen, mit denen sich die nationale Mediationsinstanz befassen müsste, die das Patientenrechtsgesetz als die dritte, die vielleicht wichtigste Neuerung einführen soll. Um sie könnte es noch besonders viele Diskussionen geben – nicht nur mit der Patientevertriedung, sondern zum Beispiel auch mit dem Ärzteverband AMMD. Der hatte in seinem langen Gutachten zum Vorentwurf zum Gesetz vor einem Jahr unter anderem darauf bestanden, dass die Mediationsstelle keine „Untersuchung“ oder eine „andere Prozedur einleiten“ dürfe, „die zur Beweisaufnahme dient oder dazu, eine Beweisaufnahme zu erleichtern“.
Das aber soll dem nationalen Mediationsdienst gestattet werden – es sei denn, der Patient will das nicht. Stimmt der Patient dagegen zu, soll die Mediationsstelle „jedes für den betreffenden Fall wesentliche Element, insbesondere die medizinischen, pflegerischen und administrativen Elemente des Patientendossiers“ erhalten können. Darüber hinaus erhielte sie auch Zugang zu allen „nützlichen“ Informationen „seitens der Sozialversicherung und anderer Verwaltungen“.
Dass die Patientevertriedung mit diesen Befugnissen einverstanden ist, überrascht nicht. Ginge es nach ihr, erhielte der neue Service national überdies nicht nur eine „Mediation“ aufgetragen, sondern würde auch zu einer außergerichtlichen Schlichtungsinstanz. Das wiederum hatte der Ärzteverband ausgeschlossen – schließlich soll eine Mediation für beide Parteien freiwillig sein. Die Frage sei aber, gibt Michèle Wennmacher zu bedenken: „Was geschieht, wenn die Mediation, die vermitteln will, fehlschlägt? Fängt man dann wieder beim Punkt null an und es bleibt nur der Gang vor Gericht?“
Diese Frage ist umso brisanter, als das neue Gesetz die Rechte und Pflichten von Patient und medizinischem Dienstleister nicht allein im Mikrokosmos des überschaubaren Luxemburger Gesundheitswesens klären soll. Wobei Patientenpflichten darin bestehen sollen, alle für die Behandlung nötigen Informationen zu liefern und „loyal“ an einer Behandlung mitzuwirken, damit sie möglichst zum Erfolg führt und nicht etwa der Patient einen Fehlschlag verschuldet, den er anschließend seinem Arzt als Fehler vorwirft.
Abgesehen davon aber soll mit dem Gesetz auch ein Teil der im März 2011 in Kraft getretenen EU-Richtlinie über die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung umgesetzt werden. Damit halten Vorschriften Einzug, die einen europaweiten Gesundheitsmarkt schaffen und regulieren. Unter ihnen die, in allen Mitgliedstaaten Instanzen einzurichten, die Patienten aus dem Inland wie aus dem Ausland bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützen. Das Patientenrechtsgesetz ist damit auch ein Verbraucherschutzgesetz. Es versteht den Patienten nicht nur als Individuum, das Hilfe sucht im Gesundheitswesen, sondern auch als einen Akteur im Dienstleistungsmarkt, der sich an einen ganz bestimmten medizinischen Leistungserbringer gerade deshalb wendet, weil er diesen für besonders gut oder besonders preiswert hält, oder weil er gerade disponibel ist.
Weil das im letzten Jahr diskutierte Avant-projet zum Patientenrechtsgesetz zu einem Zeitpunkt geschrieben wurde, als die EU-Richtlinie noch nicht verabschiedet war, besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen Vorentwurf und Gesetzentwurf darin, dass Letzterer nun in einem kleinen Paragrafen vorsieht, dass ein Patient auf Anfrage an einem zentralen „Kontaktpunkt“ „Informationen“ erhalten müsse: unter anderem auch über die „Kompetenz“ von Leistungserbringern. Weil die Mediationsstelle für diese Informationen ebenfalls zuständig werden soll, soll sie Informations- und Mediationsdienst heißen.
Für den heimischen Gesundheitssektor, in dem bei öffentlicher Finanzierung sogar die Spitäler miteinander konkurrieren, ohne dass für den Patienten Transparenz herrscht, ist die Informationsregel potenziell folgenschwer. Die Frage, welche Informationen man weitergibt, hatte Ministerium, Krankenhäuser und Ärzteschaft schon beim Versuch, die Brustkrebs-Behandlungen zu vereinheitlichen, aneinander geraten lassen. Das Patientenrechtsgesetz wird dafür sorgen, dass das in Zukunft noch öfter geschieht.
Peter Feist
Kategorien: Forschungspolitik, Gesundheit
Ausgabe: 26.10.2012