Dass es ausgerechnet eine Frau Generalanwältin ist, die droht, die bislang rechtlich geduldete Diskriminierung von Frauen bei der Berechnung der Prämien für Lebensversicherungsverträgen zu kippen, wird den Managern der Versicherungsgesellschaften bestimmt nicht gefallen. Ende September hat Juliane Kokott dem Europäischen Gerichtshof (EuGh) genau das empfohlen: die Sonderregelung abzuschaffen, die es möglich macht, dass Frauen mehr für Lebensversicherungs-, Kranken- oder Rentenvorsorgeprodukte zahlen müssen als Männer.
Eigentlich soll die Antidiskriminierungsrichtlinie von 2004 gleichberechtigten Zugang zu jeder Art von Dienstleistungen sicherstellen und schließt ungleiche Behandlung auf Basis des Geschlechts aus. Demnach mussten die Mitgliedstaaten dafür Sorge trage, dass nach dem 21. Dezember 2007 „die Berücksichtigung des Faktors Geschlecht bei der Berechnung von Prämien und Leistungen im Bereich des Versicherungswesens und verwandter Finanzdienstleistungen nicht zu unterschiedlichen Prämien und Leistungen führt“.
Doch nach Artikel 5, Absatz 2 konnten die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie beschließen, „proportionale Unterschiede bei den Prämien und Leistungen dann zuzulassen, wenn die Berücksichtigung des Geschlechts bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ein bestimmender Faktor“ sei.
Auch Luxemburg machte – auf Drängen der Versicherungsgesellschaften hin – von dieser Möglichkeit Gebrauch. Was der Staatsrat in seinem Gutachten zum Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie bedauerte. Dadurch messe die Regierung der Diskriminierung auf Basis des Geschlechts weniger Gewicht bei als der Diskriminierung auf Basis anderer Faktoren, kritisierte der Staatsrat.
Dass man Frauen mehr diskriminieren darf als beispielsweise die Zugehörigen religiöser oder ethnischer Minderheiten, findet auch Generalanwältin Kokott unzulässig: „In einer Union des Rechts, welche die Achtung der Menschenwürde, der Menschenrechte, der Gleichheit und der Nichtdiskriminierung zu ihren obersten Prinzipien erklärt hat, wäre es zweifelsohne in höchstem Maße unangebracht, wenn etwa im Rahmen der Krankenversicherung ein unterschiedliches Risiko von Hautkrebserkrankungen mit der Hautfarbe des Versicherten in Verbindung gebracht und ihm deshalb entweder eine höhere oder eine niedrigere Prämie abverlangt würde.“
Ebenso wenig, meint Kokott, sei es angebracht, Versicherungsrisiken am Geschlecht einer Person festzumachen, weil es keinen sachlichen Grund dafür gebe, anzunehmen, dass das Verbot der geschlechterbasierten Diskriminierung geringeren Schutz böte als das Verbot der Ungleichbehandlung aufgrund der Rasse oder der Herkunft.
Zudem meint Kokott, die Sonderregelung nehme keine eindeutigen biologischen Unterschiede zwischen den Versicherten ins Visier. Die unterschiedlichen Versicherungsrisiken stünden allenfalls statistisch mit dem Geschlecht in Verbindung – statistisch gesehen sei die Lebenserwartung von Frauen höher und statistisch gesehen beanspruchten sie mehr medizinische Leistungen als Männer. Würden aufgrund dieser statistischen Ergebnisse den Frauen höhere Prämien abverlangt als den Männern, sei das eine unzulässige Pauschalisierung und Vereinfachung, denn die Lebenserwartung werde nicht nur vom Geschlecht, sondern von vielen anderen Faktoren, wie dem Lebensstil und den Lebensumständen mitbestimmt.
„Angesichts des gesellschaftlichen Wandels und des mit ihm einher gehenden Bedeutungsverlusts traditioneller Rollenbilder lassen sich die Auswirkungen verhaltensbedingter Faktoren auf Gesundheit und Lebenserwartung einer Person nicht mehr eindeutig mit deren Geschlecht in Verbindung bringen“, argumentiert Kokott, „sowohl Frauen als Männer gehen heutzutage anspruchsvollen und bisweilen äußerst stressreichen beruflichen Tätigkeiten nach, Angehörige beider Geschlechter konsumieren in nicht erheblichem Umfang Genussmittel, und auch Art und Umfang der sportlichen Betätigung von Personen kann nicht von vornherein mit dem einen oder anderen Geschlecht in Verbindung gebracht werden“, stellt die Generalanwältin fest.
Sollte das Gericht den Empfehlungen der Generalanwältin folgen und die Sonderregelung für ungültig erklären, würde das heißen, dass auch die Luxemburger Versicherer umdenken müssten und die Prozeduren zur Berechnung der Prämien für Lebens- und private Krankenversicherungen sowie für Altersvorsorgeprodukte, geändert werden. „Die Prämien müssten angepasst werden und würden steigen“, sagt der juristische Berater der Association des compagnies d’assurances (ACA), Paul Hammelmann. „Das wäre für den Verbraucher keine gute Sache.“ Damit meint Hammelmann die männlichen Verbraucher, die, falls die Richter des EuGh der Empfehlung der Generalanwältin folgen, künftig – das wäre drei Jahre nach der Urteilsverkündung – mehr für ihre Versicherungspolicen zahlen müssten. Die Lebenserwartung der Frauen, sagt er, sei trotz des gesellschaftlichen Wandels immer noch höher als die der Männer.
Noch lässt sich nicht kontrollieren, wie die Luxemburger Versicherungsgesellschaften den Risikofaktor Geschlecht bei der Berechnung der Prämien einsetzten. Zwar ist das Commissariat aux assurances per Gesetz dazu beauftragt, die „genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten“ zu sammeln und zu veröffentlichen. Die Ergebnisse einer ersten, 2010 durchgeführten Erhebung stehen noch nicht zur Verfügung. Sie sollen aber noch vor Ende des Jahres auf der Webseite des Commissariats veröffentlicht werden, teilt Direktor Victor Rod auf Nachfrage mit.