Beschwingt und leutselig wie er ist, hat Premierminister Xavier Bettel für fast alle Lebenslagen, in die ein Politiker von morgens bis abends so gerät, eine Standardformel parat. Zum Thema Sozialpolitik erklärt er beispielsweise seit einem Jahr gleichbleibend, er wolle „nicht der Premier der Bipartite sein“. Auch wenn er in den vergangenen Wochen getrennte Bipartite-Abkommen erst mit Gewerkschaftern und danach mit Unternehmern unterzeichnet hatte.
Am Dienstag, nachdem die Minister mit Vertretern des Unternehmerverbands UEL sowie der Gewerkschaften OGBL, LCGB und CGFP zusammengesessen hatten, verpasste Xavier Bettel (DP) die Gelegenheit, seine Standardformel zu platzieren. Denn Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) kam ihm zuvor und sprang vor die bereitstehenden Kameras und Mikrofone. Der Premier musste unverrichteter Dinge von dannen ziehen.
Auf die besorgte Frage einer Journalistin, ob die gerade im Außenministerium zu Ende gegangene Zusammenkunft vielleicht doch eine Tripartite gewesen sei, meinte der Wirtschaftsminister freigiebig, dass sie schon irgendwie im Rahmen der Tripartite stattgefunden habe. Letztere war bekanntlich im Jahr 2010 gestorben, als der damalige Finanzminister es nach der großen Finanz- und Wirtschaftskrise nicht mehr für nötig gehalten hatte, Mittel bereitzustellen, um das Einverständnis der Gewerkschaften zu kaufen.
Auf dem Papier hieß das Treffen am Dienstag bescheiden „Unterredung der Regierung mit den Sozialpartnern“. Aber selbstverständlich ist das alles unwichtig. Denn das Ziel der Zusammenkunft war es, das Einverständnis der Gewerkschaften zu dem Abkommen einzuholen, das in ihrer Abwesenheit DP-Premierminister Xavier Bettel, LSAP-Wirtschaftsminister Etienne Schneider und der grüne Justizminister Félix Braz am 14. Januar mit dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten der Union des entreprises luxembourgeoises, Michel Wurth und Roland Kuhn, unterzeichnet hatten.
Der neue OGBL-Präsident André Roeltgen hatte schon vor einer Woche etwas kryptisch gedroht, das Unternehmerabkommen vom 14. Januar mit dem Gewerkschaftsabkommen vom 28. November zu vergleichen, komme der Verwechslung von „Äpfeln und Birnen“ gleich. Dabei hatte die Regierung, wenn auch nicht wörtlich, versprochen, die beiden widersprüchlichen Bipartite-Abkommen am Dienstag irgendwie dialektisch aufzuheben.
Aus der Sicht des Gewerkschafters war seine Befürchtung, nun eine Gegenleistung für den 57,15 Millionen Euro teuren Nachlass auf einer halben Milliarde Euro Steuererhöhungen und Einsparungen verrechnet zu bekommen, sicher nicht ganz falsch: Denn die Kosten des Gewerkschaftsabkommens vom November, mit dem die Regierung einen zehnprozentigen Rabatt auf ihrem Sparpaket gewährte, müssen nicht die Unternehmer tragen. Anders das Unternehmerabkommen vom Januar, das unter anderem eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten und geringere Überstundenzahlungen durch eine Ausweitung der Referenzzeiten und des Plan d’organisation du travail vorsieht. Zehnjährige Berufserfahrung soll nicht mehr mit einer Qualifikation gleichgestellt und so das gerichtlich bestätigte Anrecht von Putzfrauen auf den 384,60 Euro höheren Mindestlohn abgeschafft werden. Und wenn in Zeiten der Desinflation das automatische Indexsystem kein Thema mehr ist, soll die Lohnentwicklung aber weiter an die Produktivitätsentwicklung gebunden bleiben.
Wie sie das Einverständnis der Gewerkschaften zu dem Unternehmerabkommen erreichen will, weiß die Regierung vielleicht selbst noch nicht genau. Denn die Einladung zu der verkappten Tripartite-Sitzung am Dienstag war mangels Tagesordnung gerade einen Satz lang, und das Treffen lief gewohnt unvorbereitet ab. Doch die Regierung scheint die Tripartite sowieso nur für eine lästige Pflichtübung aus früheren Zeiten zu halten, und es waren Unternehmer und Gewerkschaften, die schon im Oktober in einer ihrer seltenen gemeinsamen Initiativen die Regierung zur Wiederbelebung der Tripartite ermuntert hatten.
So verbrachten die Sozialpartner am Dienstag ihre wertvolle Zeit vor allem damit, über den Zeitplan der weiteren Gespräche zu diskutieren, bevor Premier Xavier Bettel nach anderthalb Stunden in seine gewohnte Unruhe verfiel und der Veranstaltung langsam ein Ende machte. Kein Wunder, dass Wirtschaftsminister Etienne Schneider, UEL-Präsident Michel Wurth und OGBL-Präsident André Roeltgen anschließend das freundliche Gesprächsklima loben durften.
Mangels Gesprächsthemen gab es nur wenige offene Meinungsverschiedenheiten, etwa als ein Gewerkschaftsvertreter beantragte, Mitglied der wachsenden Zahl von oft vor allem auf dem Papier existierenden Hauts comités zu werden, wie des Haut comité de la place financière, des Haut comité pour le soutien, le développement et la promotion de l’industrie au Luxembourg oder des Haut comité pour le soutien des PME. Aber Finanzminister Pierre Gramegna (DP) und die Unternehmerseite fanden das keine gute Idee.
Als Ergebnis ihrer Gespräche konnten Regierung, Unternehmer und Gewerkschafter somit lediglich mitteilen, dass sie beschlossen haben, drei Arbeitsgruppen mit der Ausarbeitung detaillierter Vorschläge zur Beschäftigungspolitik, Steuerpolitik und Wettbewerbsfähigkeit zu beauftragen. Auch wenn sie eher diskret darüber hinweggingen, dass die Arbeitsgruppen gar nicht so neu sind.
So entschieden die Regierung und die Sozialpartner allen Ernstes zum dritten Mal, dass der Wirtschafts- und Sozialrat sich Gedanken über die angekündigte Steuerreform machen darf, über welche die Koalition diese Woche zwei Tage lang im Escher Seven Hotel brütete. Aber der Kampf gegen den Mittelstandsbuckel und für die Unternehmensbesteuerung war das Herzensanliegen von CGFP-Generalsekretär Romain Wolff, der sich weniger für die Wettbewerbsfähigkeit und Flexibilisierung in der Privatwirtschaft interessierte. Man war sich auch erneut einig, dass erst einmal Zahlen für einen Gesamtüberblick der Steuer- und Einkommensverteilung im Land beschafft werden müssten, was nicht nur bisher ein Ding der Unmöglichkeit war, sondern auch zu bleiben droht.
Auch was die Wettbewerbsfähigkeit anbelangt, das oberste Anliegen der Unternehmerseite, befassten die Sozialpartner am Dienstag die von Wirtschaftsminister Etienne Schneider schon vor mehr als einem halben Jahr angekündigte Arbeitsgruppe. Ihr einziger Schwachpunkt ist, dass sie noch nie zusammenkam.
Die politisch heiklen Fragen, wie die Flexibilisierung der Arbeitszeit und des Elternurlaubs, die Abschaffung der Solidaritäts-Vorruhestandsregelung, die Einschränkung des qualifizierten Mindestlohns oder verschiedener Formen des Sonderurlaubs, sollen im 1983 gegründeten Comité permanent du travail et de l’emploi und in der im vergangenen Herbst gegründeten Arbeitsgruppe für soziale Sicherheit geklärt werden. So soll im Idealfall bis zur nächsten Pseudo-Tripartite am 23. April ein unterschriftsreife Kompromisse vorlegen.
Nachdem sich die Regierung bereits von Unternehmerseite vorwerfen lassen musste, den Gewerkschaften die Wiedereinführung der automatischen Indexanpassung im vergangenen Sommer und anschließend den zehnprozentigen Rabatt auf ihrem Sparpaket ohne Gegenleistung zugestanden zu haben, plant sie, nun insbesondere der LSAP-Wählerschaft die bittere Pille der Arbeitszeitflexibilisierung mit einer als modern und flexibel dargestellten Reform des Elternurlaubs versüßen zu können. Dadurch erhofft sie sich auch, das durch die inzwischen umgetaufte Kindergeldsteuer sowie die Abschaffung der Mutterschafts- und Erziehungszulagen beschädigte Ansehen ihrer Familienpolitik aufbessern zu können.