Prosud? Darüber wollen derzeit die wenigsten Bürgermeister der Südgemeinden offen reden. Manche, wie Vera Spautz, Sozialistin und Oberhaupt von Esch-Alzette, reagieren nicht einmal ablehnend auf Anfragen, sondern bleiben völlig stumm. Andere wollen lieber nicht in der Presse zitiert werden. Käerjengs CSV-Bürgermeister Michel Wolter schreibt in einer E-Mail in einem einzigen kurzen Satz, weshalb in seiner Gemeinde über einen Austritt aus Prosud „nachgedacht“ wird. Weiter will Wolter sich nicht äußern. Die hauptamtliche Koordinatorin von Prosud ist nicht einmal bereit, offiziell veröffentlichte Dokumente zu erläutern, ohne vorher das Einverständnis des Syndikatspräsidenten eingeholt zu haben, meldet sich aber nie zurück. Allem Anschein nach muss Prosud zu einem Politikum geworden sein.
Das war natürlich schon lange vorher der Fall, nachdem Ende 2013 der Gemeinderat von Kayl beschlossen hatte, das interkommunale Syndikat zu verlassen, weil es keinen Nutzen habe. Die Idee kam von der Kayler CSV, doch LSAP und Grüne, die seit 2011 in Kayl gemeinsam regieren, schlossen sich an und am Ende fiel der Gemeinderatsbeschluss einstimmig aus. Richtig ernst aber wird es erst jetzt. Dem geltenden Gesetz nach kann eine Gemeinde ein Syndikat nur verlassen, wenn wenigstens zwei Drittel der Mitgliedsgemeinden damit einverstanden sind. Mittlerweile haben die Gemeinderäte aller elf Prosud-Mitglieder darüber abgestimmt, doch mit sechs Kontrastimmen gibt es nicht einmal eine einfache Mehrheit für den Austritt Kayls.
Wie es aus seiner Sicht weitergeht, hat Kayls Bürgermeister John Lorent (LSAP) am Donnerstag vergangener Woche dem Tageblatt gesagt und wiederholt es gegenüber dem Land: „Wir sehen uns nicht mehr als Mitglied an und werden den Jahresbeitrag nicht bezahlen.“ Der beträgt laut Satzung vier Euro pro Einwohner, also an die 34 000 Euro für das knapp 8 500 Bürger zählende Kayl. Schicke das Syndikat der Gemeinde einen Gerichtsvollzieher, werde man das anfechten. „Die Verfassung garantiert Vereinigungsfreiheit, dazu muss auch die Freiheit zum Austritt gehören.“ Es könne nicht sein, „dass wir dabei vom Gutdünken der anderen abhängen“, sagt Lorent. Zumal man sich mit dem Prosud-Vorstand schon über den finanziellen Aspekt des Austritts geeinigt habe: „Was wir über die Jahre ins Syndikat eingebracht haben, bleibt diesem erhalten. Von weiteren Zahlungen sind wir befreit.“
Dass die Angelegenheit so viel Staub aufwirbelt, bis hinauf ins Innenministerium, liegt einerseits daran, dass gefürchtet wird, der Austritt Kayls aus Prosud werde einen Präzedenzfall für Gemeindesyndikate überhaupt schaffen. Interkommunale Zusammenarbeit in Zweckverbänden, die übernehmen, was eine Gemeinde allein überfordert, gibt es seit Jahrzehnten. Was aber würde geschehen, wenn eine beschlösse, dem Bussyndikat Tice den Rücken zu kehren oder dem Abfallsyndikat Sidor mit der viele Millionen Euro teuren Müllverbrennungsanlage in Leudelingen?
Es geht jedoch auch um Prosud selbst – darum, dass dieses Syndikat eigentlich eine sinnvolle Einrichtung ist, aber auch darum, was es bisher leistete und künftig leisten könnte. Und allem Anschein nach geht es nicht zuletzt um politischen Einfluss im Süden.
Denn eine Einrichtung wie Prosud sollte eigentlich vermeiden helfen, woran im vergangenen Jahr die erste Runde der vier Plan sectoriels der Regierung zur Landesplanung so grandios scheiterte: dass alle möglichen Gemeinden behaupten könnten, sie hätten von den staatlichen Plänen nichts gewusst und seien übergangen worden. Prosud ist das bisher einzige „Planungssyndikat“ im Land. Es wurde 2003 gegründet, nachdem die Abgeordnetenkammer einem Programme directeur zur Raumplanung zugestimmt hatte. Dieses Programm teilt Luxemburg in sechs „Planungsregionen“ ein. Es deutet an, wie deren harmonische Entwicklung aussehen könnte und welche Gemeinden bevorzugt wachsen sollen. Ein Jahr später stellte die damalige CSV-LSAP-Regierung unter Landesplanungsminister Michel Wolter, der heute Bürgermeister in Käerjeng ist, das berühmt gewordene Integrative Verkehrs- und Landesentwicklungskonzept (IVL) vor. Darin ist die Rede vom Großherzogtum als „polyzentrischer Stadt“ und davon, dass der Süden und die Nordstad urbanistisch, aber auch wirtschaftlich als Gegenpole zum Hauptstadt-Großraum entwickelt werden müssten. Verwirklicht werden sollte das laut IVL nicht in erster Linie durch staatliche Eingriffe, sondern durch eine „Regionalplanung“ von unten her: Gemeinden und Staat sollten gemeinsam Entwicklungsziele für die sechs Regionen festlegen. So stand es seit 1999 auch im Landesplanungsgesetz. Weil dabei eine Bürgerbeteiligung vorgesehen war, hätte theoretisch kein Grundstücksbesitzer von einer plötzlichen Umwidmung seiner Flächen im öffentlichen Interesse überrascht werden und dagegen womöglich Klage führen müssen. Prosud sollte mit einem „Regionalplan Süden“ der Vorreiter sein.
Den Plan gibt es bis heute nicht. Wenngleich ein deutsches Expertenbüro vor ein paar Jahren einen ersten Entwurf aufstellte. Darin wurde die Südregion mit allerhand Poesie als eine Art ansteigende Küstenlandschaft beschrieben. Hinter der eigenartigen Geografie steckte einige Wahrheit: Ein Plan für die 158 000 Einwohner zählende Region von Käerjeng bis Düdelingen müsste sowohl traditionellen Industriestädten wie Differdingen und Esch gerecht werden, die mit dem Strukturwandel von der Schwerindustrie in eine ungewisse Dienstleistungs- und Hightech-Zukunft und lokalen Arbeitslosenraten von zehn beziehungsweise 13 Prozent zu kämpfen haben. Als auch eher ländlich geprägten Gemeinden wie Monnerich – und einer ehemaligen Minette-Gemeinde wie Kayl, die heute wirtschaftlich schwach ist und in erster Linie als dortoir funktioniert.
Dass gerade Kayls Gemeindeoberhaupt Prosud vorwirft, versagt zu haben, überrascht nicht unbedingt: „Wenn Prosud es nicht einmal fertigbringt, eine eigene Meinung zum Zukunftspak der Regierung zu äußern, dann brauchen wir es nicht“, sagt John Lorent. Er meint damit die Kürzungen in den Zuwendungen an die Gemeinden. Und dass Kayl beim aktuell geltenden Umverteilungsmechanismus der kommunalen Gewerbesteuer schlecht wegkommt, weil der die Zahl der Firmensitze und der lokal Beschäftigten stark in Betracht zieht. 2013 rangierte Kayl in einer Statistik des Innenministeriums auf dem drittletzten Platz bei der Pro-Kopf-Ausstattung mit Finanzmitteln aus dem Gewerbesteuertopf und dem staatlichen Dota-tionsfonds für die Kommunen.
Die Gemeindefinanzverteilung wäre neben der Wirtschaftsentwicklung tatsächlich die zweite große politische Herausforderung für einen Regionalplan gewesen. Vielleicht sogar die größte: Als Prosud sich nach der Gründung vor zwölf Jahren ein „Leitbild“ gab, stand darin, wie wünschenswert es sei, dass in der Region, die fast ein Drittel der Einwohner des Landes zählt, auch ein Drittel der Arbeitsplätze zu finden wäre. Über die Gemeindefinanzen schwieg das Leitbild sich aus.
Und in der Praxis war das Planungssyndikat politisch schwach, weil intern uneins. Im IVL-Konzept steht das bemerkenswerte Ziel, neue Arbeitsplätze in erster Linie im Süden zu schaffen, in der Hauptstadt und ihrem Umland dagegen vor allem Wohnungen. Lydia Mutsch (LSAP), die als Escher Bürgermeisterin den Prosud-Vorsitz von dem Düdelinger LSAP-Bürgermeister Mars Di Bartolomeo übernommen hatte, nachdem der nach den Wahlen 2004 Minister geworden war, führte aber nur einen kurzen Kleinkrieg mit dem damaligen DP-Hauptstadtbürgermeister Paul Helminger über eine „Dekonzentration“ des Finanzplatzes Richtung Süden. Solche Fantasien verbat Helminger sich: Das „Kompetenzcluster aus Finanzen, Recht und European Business“ zu schwächen, schade dem ganzen Land. Die Regierung blieb dazu stumm. IVL-Pionier Wolter war nicht erneut Minister geworden, sein Nachfolger Jean-Marie Halsdorf von der Landesplanung überfordert. Prosud als Syndikat verlangte nie öffentlich, bei der Wirtschaftsentwicklung mitreden zu dürfen. Warum auch: Sowohl Syndikatspräsidentin Mutsch wie auch Vizepräsident Alex Bodry, damals Düdelinger Bürgermeister und bis 1999 Landesplanungsminister, bedauerten in aller Öffentlichkeit mehrfach, es gebe „mehr Gegen-einander als Miteinander“ in Prosud. Wenn der Kayler Bürgermeister heute feststellt, es sei immer um „Esch gegen Düdelingen“ gegangen, ist das gar keine Neuigkeit. 2006 schmiedete Bodry eine Allianz zur verstärkten Zusammenarbeit zwischen Düdelingen, Bettemburg, Roeser, Rümelingen und Kayl. Viel von sich reden machte die Fünferbande anschließend nicht, aber dass Bodry für ihre Ankündigung sogar eine Pressekonferenz einberief, richtete sich klar gegen Esch.
Sollte das nun anders werden? Der seit 2014 neue Prosud-Präsident Dan Biancalana, wiederum ein Düdelinger LSAP-Bürgermeister, möchte gerne so verstanden werden. Er berichtet aber auch, dass der „Spagat zwischen übergreifenden Zielen und der Gemeindeautonomie nicht einfach“ sei. Um „sichtbarer für die Bürger“ zu werden, will Prosud sich in der nahen Zukunft auf Themen konzentrieren wie regionale Radwege, einen gemeindeübergreifenden E-Bike-Verleih und ein Wifi-Netz. Eine „Plattform“ für die Interessen der Südgemeinden solle das Syndikat aber ebenfalls werden, kündigt Biancalana an, und in dem überarbeiteten Leitbild ist von Wirtschaftsentwicklung die Rede und einem „Kompetenzcluster“ aus neuen Technologien. Belval mit der Cité des sciences soll dafür das Epizentrum sein.
Doch dass in Belval gerade jene Gebäude, die Labors und Versuchsanlagen für Ingenieure aufnehmen sollen, von der Regierung aus Spargründen zurückgestellt wurden, so dass gar nicht klar ist, wann die Cité des sciences zu einem Technologie-Hub werden könnte, hat Prosud bisher noch nicht öffentlich beanstandet. Biancalana versucht dem baldigen Zuzug von Humanwissenschaftlern aus Walferdingen etwas abzugewinnen: Die könnten den Süden zum Forschungsthema machen. Das wäre schon was.
Schon möglich, dass für Biancalana Belval von Düdelingen ähnlich weit entfernt liegt wie für Bodry seinerzeit. Und dass Michel Wolter in Käerjeng sich eher auf das Korntal konzentriert. „Prosud ist heute kein Planungssyndikat mehr“, stellt er knapp fest. Was nicht falsch ist: 2013 wurde die Regionalplanung aus dem Landesplanungsgesetz gestrichen. Die CSV-Fraktion wollte das so, die DP hatte nichts dagegen, und für die LSAP stimmte Lydia Mutsch mit den Worten zu, Prosud zeige ja, wie schwer das ist. Allein Déi Gréng wollten die Bottom-Up-Planungen beibehalten.
Da ist es auf den ersten Blick gar nicht so verständlich, wieso die LSAP an Prosud festhält: Jene Gemeinden, die gegen Kayls Austritt aus dem Syndikat stimmten, werden von der Sozialistischen Partei entweder allein regiert, oder sie führt die lokale Koalition an. Andererseits aber sitzen im elfköpfigen Syndikatsvorstand abgesehen von Michel Wolter und dem Bettemburger CSV-Bürgermeister Laurent Zeimet nur LSAP-Politiker – auch aus Gemeinden wie Petingen oder Differdingen. Im vierköpfigen „Bureau“ von Prosud ist Zeimet der einzige Nicht-Sozialist. Das zeigt, welchen Wert als taktisches Instrument zum Einflusserhalt im Süden Prosud für die LSAP hat: Wenn schon Strukturwandel von Schwerindustrie zu Hightech, dann will man zumindest den Eindruck erwecken, ihn mitzubestimmen und eine moderne Partei zu sein. Weil schon dieses Jahr entschieden wird, wie die Geschichte mit den Plans sectoriels weitergeht und eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen Staat und Gemeinden in der Landesplanung festgeschrieben werden soll, besteht dazu auch Gelegenheit. Mars Di Bartolomeo, der Syndikatspräsident der ersten Stunde, hat sich schon eingeschaltet: Prosud dürfe nicht kaputtgehen, „Prosud ist mein Kind“.