Während am Montag auf dem Knuedler einige Schlittschuhläufer ihre Runden über die künstliche Eisbahn drehten, warnte die grüne Finanzschöffin Sam Tanson im Rathaus, dass DP und Grüne gerade „einen außergewöhnlichen Haushaltsentwurf“ für die Stadt Luxemburg vorlegten. Es sei nämlich „der erste seit 2009“, dem Krisenjahr, der ein Defizit aufweise.
Dabei ist die unter dem vorigen Bürgermeister Paul Helmimger (DP) von einer City-Managerin zum Markenprodukt „Multiplicity“ gebrandmarkte Stadt in Wirklichkeit ein hoch rentables Unternehmen: Bei ordentlichen Einnahmen von 650,8 Millionen Euro soll sie nächstes Jahr einen ordentlichen Überschuss von 127,6 Millionen Euro ausweisen. Dies entspricht einer stolzen Umsatzrendite von 20 Prozent.
Der Grund für das blühende Geschäft sind die hohen Einnahmen aus der kommunalen Gewerbesteuer und dem staatlichen Fonds communal de dotation financière. Sie machen zusammen zwei Drittel der ordentlichen Einnahmen der Stadtverwaltung aus.
Die Gewerbesteuer wird auf dem Betriebsergebnis der Firmen erhoben, und vergangenes Jahr kamen 60,5 Prozent der landesweiten Gewerbesteuereinnahmen aus der Stadt Luxemburg. Von diesen 336,3 Millionen Euro durfte sie 174,4 Millionen behalten, den Rest musste sie mit anderen Gemeinden teilen. Trotzdem soll sie auch nächstes Jahr ein Drittel des nationalen Gewerbesteueraufkommens erhalten. In den vergangenen beiden Jahren sind die Gewerbesteuereinnahmen, anders als die Masse der Unternehmensgewinne, deutlich gefallen, langfristig stagnieren sie: Sie liegen heute auf dem Niveau von vor zehn Jahren, inflationsbereinigt deutlich darunter.
Dagegen haben sich die Transfers aus dem staatlichen Fonds communal de dotation financière in derselben Zeit verdreifacht und sollen nächstes Jahr fast 50 Millionen über den Gewerbesteuereinnahmen liegen. Was auch die Abhängigkeit der Gemeinde vom Staat und den insbesondere unter CSV-Ministern nicht immer nur wohlgesinnten Regierungen vergrößert. Der im Verhältnis zu den Einkommenssteuereinnahmen berechnete Fonds wird aus einem Teil der Mehrwertsteuer-, der Alkohol- und der Autosteuereinnahmen sowie einem staatlichen Zuschuss gespeist. Verteilt wird er unter den 106 Gemeinden zu mehr als zwei Dritteln nach der Bevölkerungszahl, der Rest nach der Bevölkerungsdichte und dem Anteil der Grünflächen. Die Stadt Luxemburg erhält alle drei Monate ein Fünftel aller Mittel aus dem Fonds überwiesen.
Der grüne Haushaltsberichterstatter François Benoy hatte am Montag eine Erklärung dafür, dass der Löwenanteil aller Gemeindeeinnahmen nicht nur an die Hauptstadt geht, sondern ihr auch zusteht. Ohne falsche Scheu vor den Grenzen des Wachstums erklärte er stolz: „Wir sind der wirtschaftliche und politische Motor in diesem Land.“ Tagsüber verdoppele sich die Einwohnerzahl, zur Wohnbevölkerung von mittlerweile 104 000 Leuten kämen zusätzlich jeden Morgen rund 100 000 Leute in die Stadt zur Arbeit. Denn auf den gerade zwei Prozent des Landesterritoriums befänden sich 40 Prozent aller Arbeitsplätze. Was er nicht sagte: Es sind durchweg auch die besser bezahlten Arbeitsplätze im Land. Denn Gemeinde = Finanzplatz.
Die hohen ordentlichen Einnahmen führen dazu, dass die Gemeinde selbst Großinvestitionen aus ihren laufenden Einnahmen decken kann, ohne Geld leihen zu müssen. „Wir sind meilenweit davon entfernt, Schulden zu machen, die Frage stellt sich auch gar nicht“, betonte François Benoy.
Sogar in der Heimatgemeinde des Finanzplatzes gilt die Geschäftsgrundlage aller Banken, Schuld und Zinsen, als unmoralisch. Wenn es um langfristige Investitionen geht, sollen deshalb die künftigen Generationen lieber auf Kosten der heutigen Generation leben.
Ende des vergangenen Haushaltsjahrs wies die Gemeinde Luxemburg Rücklagen in Höhe von 398,1 Millionen Euro auf. Davon sind 337,3 Millionen Euro in ihren Investitionsfonds gestellt, noch einmal 50 Millionen mehr als 2012. Hinzu kamen noch 40 Millionen Euro als frei verfügbare Budgetreserven und 20,8 Millionen Rücklagen aus unverbrauchten Zuschüssen des Wohnungsbaupakts. Die Rücklagen aus dem Wohnungsbaupakt stiegen binnen eines Jahres um die Hälfte. Kein Wunder, dass die vorübergehend selbst in der Stadtverwaltung angestellte Wohnungsbauministerin Maggy Nagel im Frühjahr gedroht hatte, die Gemeinden sollten dem Staat die Zuschüsse zurückerstatten, wenn sie sie nicht verbauten.
Seit fast 200 Jahren ist das heute bunte Dienstleistungszentrum Multiplicity ein unfruchtbarer Acker für eine konservative Partei. Deshalb musste die CSV-Stadträtin Martine Mergen am Mittwoch die griesgrämige Ameise spielen, die den blau-grünen Grillen aus der Spaßgesellschaft vorwarf, dass die Rücklagen in zwei oder drei Jahren aufgebraucht sein würden. Schon heute seien sie nur noch aus außerordentlichen Einnahmen gespeist, wie der energischeren Eintreibung der Gewerbesteuer und den Immobiliengeschäften für die Einkaufsgalerie Royal Hamilius am Aldringer.
Zudem könne heute niemand sagen, so Martine Mergen, was die von der Regierung versprochene kostenlose Kleinkinderbetreuung, das bevorstehende Ende des Wohnungsbaupakts und die angekündigte Kürzung der staatlichen Zuschüsse für Kläranlagen die Gemeinde kosten würden. Durch die Mehrwertsteuererhöhung entstünden der Gemeinde schon nächstes Jahr höhere Ausgaben, die höheren Einnahmen gingen dagegen nicht an die Gemeinde, sondern an einen Fonds für Rettungsdienste (d’Land, 21.11.).
Doch von den Rücklagen der Hauptstadt können andere Gemeinden nur träumen. Ende November hatte Bürgermeisterin Vera Spautz (LSAP) im Escher Rathaus erklärt, dass die Schuld der zweitgrößten Gemeinde des Landes nächstes Jahr auf 83,1 Millionen Euro steigen werde. Fast zeitgleich hatte ihr Parteikollege, Innenminister Dan Kersch (LSAP), die Gemeinden in einem Haushaltsrundschreiben aufgefordert, am besten auf eine weitere Schuldenaufnahme zu verzichten.
Schließlich wird der Saldo der Gemeinden zusammen mit demjenigen der Sozialversicherung zum Saldo des Gesamtstaats gerechnet, der laut EU-Kriterien einen mittelfristigen strukturellen Überschuss ausweisen soll. Und die Regierung, die diesen Überschuss zum Staatsziel erklärt hat, sucht nach einem Weg, um – Gemeindeautonomie hin oder her – den Gemeinden ihren Beitrag abzuringen.
Diese Politik ist bereits so erfolgreich, dass auch die Stadt Luxemburg finanziellen Spielraum nur noch auf der Ausgabenseite ihres Haushalts sieht. Nach Angaben von Sam Tanson bestehen die ordentlichen Ausgaben zu zwei Dritteln aus Personalkosten, und die Finanzschöffin warnte, dass diese nun nicht außer Kontrolle geraten dürften. Anfang November beschäftigte die Stadt 3 841 Leute, 126 mehr als ein Jahr zuvor.
Doch wie arbeitsintensiv blau-grüne Politik sein kann, hatte schon am Montag die aktuelle Fragestunde im Gemeinderat gezeigt. Nach einem überaus verständnisvollen Meinungsaustausch über Taubendreck war zu erfahren, dass auf einem kleinen Parkplatz in Bonneweg der Hygienedienst die Umgebung der Müllcontainer nicht nur täglich säubert, sondern sogar samstags und sonntags. Und dass bei der Entfernung einiger Bäume in einer anderen Straße den ganzen Tag über ein Gemeindebeamter bereit stand, um die Anrainer kenntnisreich über den Verlust hinwegzutrösten.
Die Vorsicht, welche die Gemeinde bei den ordentlichen Ausgaben walten zu lassen rät, gilt allerdings nicht für die außerordentlichen Ausgaben. Denn die Stadt habe „noch nie so hohe außerordentliche Ausgaben“ vorgesehen wie nächstes Jahr, so Sam Tanson. Sie will nächstes Jahr Investitionen in Höhe von 267,6 Millionen Euro vornehmen, ein sattes Drittel mehr, als im berichtigten Haushalt für das laufende Jahr vorgesehen ist. Das entspricht auch einem Viertel der direkten Investitionen in Höhe von 1 007,3 Millionen Euro, die der Staat nächstes Jahr landesweit plant. 90 Prozent dieser Investitionen sind bereits vom Stadtrat beschlossen. Zu den größten Einzelposten gehören die Zenralschule in Clausen, der Ausbau des Konservatoriums, ein Kollektor für die Kläranlagen von Beggen und Bonneweg, die Beteiligung am Straßenbahnbau und zehn neue Gelenkbusse.
„Wir bekamen in der Vergangenheit den Vorwurf gemacht, wir seien doch kein Sparverein“, so Sam Tanson. Deshalb werde die Stadt zur Finanzierung all dieser Investitionen notfalls mit einem Verlust abschließen und „die Rücklagen anzapfen“. Doch wenn in zwei Jahren die Konten von 2015 vorliegen werden, wird sich zeigen, ob das für nächstes Jahr geplante Defizit nicht vielleicht durch höher als erwartete Einnahmen oder durch die Verzögerung der einen oder anderen Investition verschwunden sein wird. Vergangenes Jahr beispielsweise blieben unter dem Strich 54,6 Millionen mehr, als im Haushalt vorgesehen waren, 40 Millionen gingen zusätzlich in die Rücklagen.
Vielleicht ist das Defizit auch ganz einfach ein taktisches Buchhalterkunststück, damit die Kommune etwas ärmer ausschaut, wenn nächstes Jahr um die Reform der Gemeindefinanzen gefeilscht wird. Denn die Gemeinde fürchtet, dass andere Gemeinden fragen, wieso die Hauptstadt 400 Millionen auf ihre Bankkonten setzen muss, und sie deshalb einen der Stadt ungünstigeren Verteilungsschlüssel für die Gemeindeeinnahmen verlangen könnten.
Schon kleine Änderungen an den komplexen Kriterien und laut Rechnungshof nie richtig öffentlich gemachten Abrechnungen des Fonds communal de dotation financière können für die Stadt große Auswirkungen haben. Da kann sie von Glück reden, wenn derzeit ausnahmsweise einer ihrer ehemaligen Bürgermeister Premierminister ist und so den roten Innenminister aus dem Süden an einer allzu radikalen Umverteilung hindern kann. Die Finanzschöffin fand schon am Montag, dass bei der Reform der Gemeindefinanzen nicht nur der bisher mit fast einer Million Euro jährich vom Staat bezuschussten Rolle der Stadt als politisches und kulturelles Zentrum Rechnung getragen werden müsse, sondern auch den 100 000 Arbeitskräften, die täglich anreisen.