Die Sitzungen fanden immer mittwochs statt. Im großen Saal des Kulturministeriums trafen sich im vergangenen Jahr Abgesandte verschiedener Ministerien und Vertreter der Zivilgesellschaft. Gemeinsam sollte ein Gesetz erarbeitet werden, das den Denkmalschutz in Luxemburg neu regelt. Das bislang geltende Recht vom Juli 1983 ist veraltet. Verschiedene Reformbemühungen der letzten Jahrzehnte scheiterten an der schlechten Ausarbeitung – der Staatsrat zerpflückte die Entwürfe; was blieb: große Rechtsunsicherheit, sowohl für Hauseigentümer und Gemeinden, als auch bei Denkmalschützern und Archäologen. Darf ein Objekt klassiert werden? Was bedeutet die Unterschutzstellung in Bezug auf Renovierungen? Wie ist es um Subsidien des Staates bestellt? In vielen Fällen mussten die Verwaltungsgerichte entscheiden, deren Rechtsprechung allerdings nicht kohärent und damit wenig voraussehbar war (wenngleich, in letzter Zeit, eine Tendenz zu denkmalfreundlichen Entscheidungen unverkennbar ist).
Zwischen 20 und 30 Personen saßen daher regelmäßig im „Terre Rouge“-Gebäude zusammen. Die einzelnen Sitzungen waren gut vorbereitet und strukturiert geleitet. Dadurch wurde der herrschende Antagonismus rasch sichtbar: Auf der einen Seite die Vertreter von Kulturministerium und Vereinigungen wie Luxembourg Patrimoine, Sauvegarde du Patrimoine, Luxembourg Center for Architecture, Mouvement Écologique oder den Lampertsbierger Geschichtsfrënn, die das Kulturerbe bewahren wollen; auf der anderen Seite das Innenministerium und der Gemeindeverbund Syvicol, die das nationale Mandat zur Denkmalpflege in Frage stellen und die Aufgabe den Gemeinden übertragen wollen. Diese Debatte hatte die frühere Kulturministerin Maggy Nagel mit den Worten „Top-down oder bottom-up?“ zusammengefasst und sich im Rahmen der „Assises du Patrimoine“ für „Top-down“ entschieden. Das bedeutet: Denkmalpflege betreiben ausgebildete Denkmalpfleger, und die gibt es nun einmal nicht in den Gemeinden, sondern nur beim Staat.
Dieser Meinung war auch Bürgermeister Gilles Kintzelé, der bei der zweitätigen Veranstaltung im November 2014 für den Syvicol sprach. Fast flehentlich bat er darum, die Gemeinden von den Aufgaben des wissenschaftlichen Denkmalschutzes fernzuhalten. Es fehle an Geld, Wissen, Personal und – vor allem – an Durchsetzbarkeit: Wie soll ein Bürgermeister Kulturdenkmäler erkennen, dann gerichtsfeste Abrissverbote verfügen, dadurch den gewinnbringenden Neubau etwa von Residenzen verhindern, und später wiedergewählt werden von Bürgern, die mehr an fric als an Kultur und Geschichte denken? Eine treffende Feststellung von Kintzelé, der hauptberuflich Architekt ist. An diese Aussagen fühlte sich der Syvicol später aber nicht mehr gebunden. In die Sitzungen der Kommission entsandte der Gemeindeverbund eine Juristin, der die Praxis der Kommunalpolitik ersichtlich fehlte. Im Schulterschluss mit den beiden Vertretern des Innenministeriums wurde der Begriff der Gemeindeautonomie in extenso interpretiert (denn jedes als Denkmal zu schützende Objekt liegt ja, welch Überraschung, auf dem Gebiet einer Gemeinde), und damit fast jeder Anspruch des Staates für den Schutz dieser Kulturgüter negiert. Statt Berichte aus der täglichen Praxis, wie sie Kintzelé geliefert hatte, wurden nun juristische Gutachten aus dem Hut gezaubert und Entscheidungen der Verwaltungsgerichte zitiert (natürlich nur jene, die die eigene Position untermauern konnten).
Es begann der ganz normale Wahnsinn der interministeriellen Stellvertreterkriege (hier: Dan Kersch gegen Maggy Nagel). Die Sitzungen krankten nun daran, dass die entscheidenden Leute fehlten. So war die Denkmalschutzbehörde „Service des sites et monuments nationaux“ nur mit einem einzigen Architekten vertreten. Der Behördenleiter war erst gar nicht in die Kommission berufen worden, da Nagel das Vertrauen in ihn verloren hatte. Diese öffentliche Desavouierung hinderte sie später freilich nicht daran, seinen auslaufenden Vertrag zu verlängern, kurz bevor sie selbst zurücktrat. Auch von der denkmalpflegerischen Inventarisation, dem Kerngeschäft des Denkmalschutzes, war niemand in der Kommission anwesend. Immerhin hatte eine einzige Organisation einen tatsächlich in der Denkmalpflege arbeitenden Handwerker entsandt: Er schüttelte des Öfteren den Kopf, äußerte sich aber selten, da er am Ende des langen Tisches saß; neben einer Juristin des Nachhaltigkeitsministeriums, die allerdings nur Französisch sprach und verstand, und den Debatten daher nicht folgen konnte.
Den Befreiungsschlag durch den Gordischen Knoten der unterschiedlichen Interessen versuchten einzelne Vertreter der Zivilgesellschaft schließlich mit dem „Angebot“ an den Syvicol, dass sich der Staat ausschließlich mit den 5 000 bis 6 000 national schützenswerten Objekten beschäftigen soll, der gesamte Fassaden-, Volumen- und Schönheitsschutz würde in gemeindlicher Verantwortung verbleiben. Die PAG’s (Flächennutzungspläne) sehen das auch so vor. Diese Schutzstatute sind allerdings weder „Denkmalschutz“, noch „gemeindlicher Denkmalschutz“, sondern ästhetischer Schutz, ohne wissenschaftliche Fundierung. In Deutschland bezeichnen die Bauordnungen der Bundesländer dies als „Verunstaltungsverbot“. Dass ein Dorf schön bleiben soll, hat mit Kulturerbeschutz nichts zu tun. So kann eine gemeindlich zu schützende schöne Fassade für den Denkmalschutz völlig irrelevant sein, gleichzeitig ein hässliches Gebäude wegen seines Alterswertes und seiner Bedeutung für die Industriegeschichte das nationale Schutzstatut genießen. Wie hieß es schon während der „Assises du Patrimoine“: Schönheit ist keine Kategorie der Denkmalpflege. Dass sich das nationale Denkmalamt in die kommunalen PAG’s einmischt, ist eine Folgewirkung der CSV-Regierung. Dort kam man zu dem – richtigen – Schluss, dass das Innenministerium nicht fähig ist, die Kommunen über Schönheitsschutz zu beraten. Wieso aber sollte das dann ein chronisch unterbesetztes nationales Denkmalamt tun? Damals begann die unsägliche Vermischung der beiden Schutzebenen, die bis heute alle Beteiligten verwirren.
Nationaler Denkmalschutz wird im neuen nationalen Gesetz geregelt, dagegen verbleibt der kommunale Schönheitsschutz in den PAG’s der Gemeinden: Über dieses Angebot der Trennung der unterschiedlichen Schutzebenen hätte sich der Syvicol eigentlich freuen müssen. Doch sein Koalitionspartner, das Innenministerium, war noch nicht satt genug. Dort wollte man auch die national erhaltenswerten Objekte dem Kulturministerium entreißen. Die Kommissionssitzungen drehten sich im Folgenden also um diese 5 000 bis 6 000 in Luxemburg zu schützenden Gebäude. Davon sind derzeit 1 050 auf der nationalen Schutzliste (als „monument national“ oder im „inventaire supplémentaire“) zu finden. Nun gibt es seit 1983 ein nationales Denkmalschutzgesetz. Es hat somit 33 Jahre gedauert, überhaupt ein Sechstel des Baukulturerbes zu schützen. Grund für diese Verzögerungen sind vor allem die komplizierten Prozeduren der Unterschutzstellung. Bis ein identifiziertes Gebäude auf die Liste aufgenommen ist, vergehen oft Monate, wenn nicht Jahre. Durch die personelle Unterbesetzung der Denkmalschutzbehörde (dort arbeiten weniger Architekten als Pädagogen den „Panda Club“ des Naturmuseums organisieren), kann meist nur Feuerwehr gespielt werden. Geschützt wurden daher oft Gebäude, denen ein Abriss droht. Allerdings gelingt auch dies nur selten, und manchmal geben sogar Kulturministerinnen ihre Zustimmung zur Zerstörung eines Kulturgutes. So wird Octavie Modert der Abriss der Topffabrik in Echternach noch lange entgegengehalten werden. Ein teurer Preis, um einen schwarzen Parteifreund im Bürgermeistersessel der Abteistadt froh zu machen.
Während der „Assises du Patrimoine“ empfahlen ausländische Experten, ein System zu übernehmen, das es in den meisten deutschen Bundesländern gibt. Dort werden Denkmallisten deklaratorisch geführt. In die Listen werden also alle Objekte aufgenommen, die faktisch denkmalwürdig sind. Die Denkmaleigenschaft eines Objektes hängt nicht von einer komplizierten Eintragungsprozedur ab. Für Luxemburg würde das bedeuten: Jedes Objekt ist ein Denkmal, wenn es die von „Sites et monuments“ ausgearbeiteten und mehrfach publizierten Kriterien erfüllt. Zuerst kommt der Schutz, dann das Verfahren (in dem der Schutz wieder aufgehoben werden kann, wenn sich herausstellt, dass der erste Eindruck getrogen hat). Für das Großherzogtum mit seinen immensen Abrissraten wäre dieses System der effektivste Schutz von Baukulturgut. Das Kulturministerium hat sich jedoch dagegen entschieden. Ein Denkmal soll auch in Zukunft erst gesetzlich geschützt sein, wenn es nach einem langen, komplizierten Verfahren in die Liste aufgenommen wurde. Grund: So wird der Denkmalschutz in Frankreich geregelt, und man könne daher die dortigen Formulierungen für das luxemburgische Gesetz übernehmen. So schön diese Arbeitsersparnis ist, so wenig passen die französischen Regelungen auf das Großherzogtum. Zum einen, weil in Frankreich 170 Jahre vor Luxemburg mit der wissenschaftlichen Inventarisierung der Denkmäler begonnen wurde (deshalb ist noch nicht so viel abgerissen worden). Zum anderen, weil in Frankreich ein effektiver Ensembleschutz besteht, den man hier nicht kennt, und wohl auch nicht einführen möchte.
Die Arbeit der Kommission endete im Herbst 2015. Alle Vorschläge wurden protokolliert. Die beteiligten Denkmalschutzorganisationen haben allerdings bis heute keine einzige Zeile eines Gesetzentwurfes gesehen. Eigentlich hätte der Text in den vielen Monaten, die parallel zu den Sitzungen vergangen waren, entstehen müssen. Doch das ist ersichtlich nicht geschehen. Im Dezember trat die Kulturministerin zurück. Statt eines ministeriellen Dankes für die ehrenamtliche Mitarbeit (Jetons gab es keine) werden die Vertreter der Zivilgesellschaft im Unklaren gelassen. Der neue Staatssekretär für Kultur, der Jurist Guy Arendt, nannte als Schwerpunkt seiner Arbeit das neue Denkmalschutzgesetz. Doch eine Gesprächseinladung an die Organisationen der Denkmalpflege erfolgte erst nach Anfrage – und wird erst am 18. April gewährt. In den ersten vier Monaten seiner Amtszeit hat der Staatssekretär kein Gehör für jene Organisationen, die auf Wunsch seiner Regierung an seinem Gesetz mitgewirkt haben. Von Kulturminister Xavier Bettel ist gar nichts zum Denkmalschutz zu vernehmen, stattdessen reist er zur Berlinale, um den dort nicht im Wettbewerb antretenden luxemburgischen Film zu bewerben.
Das Großherzogtum ratifiziert in diesen Wochen, als vorletztes Land in Europa, die „Convention pour la sauvegarde du patrimoine architectural de l’Europe“ vom 3. Oktober 1985. Diese Granada-Konvention verpflichtet unter anderem zur Erstellung eines wissenschaftlichen Inventars zu den Baukulturgütern und der Umsetzung desselben in rechtliche Schutzstatute, zur Dokumentation der Inventare („Topographien der Baukultur“) und dazu, Denkmalschutz als wesentliches Ziel der Raumordnung und des Städtebaus zu definieren. Außerdem muss die Zivilgesellschaft bei allen Planungen und Maßnahmen einbezogen werden. Dieser Verpflichtung scheint Arendt an einem Montag im April „von 9 bis 10.30 Uhr“, wie es in der Einladung an die Denkmalschützer heißt, nachkommen zu wollen. Ob der Syvicol früher und intensiver mit dem früheren Bürgermeister von Walferdange sprechen darf? Als Fazit bleibt: Dan Kersch hat über Maggy Nagel obsiegt. Ob Kersch auch Guy Arendt bezwingen kann, ist unklar. Dafür müsste Arendt erst einmal auf einer anderen Seite als der Innenminister stehen – auf der Seite der national erhaltenswürdigen Baukultur.