EU-Erweiterung

Serbiens schwerer Weg nach Europa

d'Lëtzebuerger Land vom 11.11.2010

Vukovar. Wer erinnert sich noch an diese 1991 in einem erbitterten Belagerungskrieg zerstörte kroatische Grenzstadt? Sie war, neben Sarajevo, lange das Symbol für die Grausamkeit des jugoslawischen „Erbfolgekrieges“, bevor sie diesen Status 1995 an Srebrenica verlor. Heute ist die Erinnerung an Vukovar weitgehend aus dem Bewusstsein der europäischen Öffentlichkeit verschwunden.

Am 4. November hat Boris Tadic, serbischer Staatspräsident und Vorsitzender der Demokratischen Partei, die die Regierungskoalition anführt, Vukovar besucht, um den Opfern seine Ehre zu erweisen und sich bei den Kroaten für die Taten seiner Landsleute zu entschuldigen. Er tat dies vor einem Denkmal für 200 ermordete kroatische Zivilisten. Im Frühjahr hatte Tadic im serbischen Parlament eine Resolution zu Srebrenica mit der Drohung durchgedrückt, bei einer Ablehnung zurücktreten zu wollen. Im Juli hatte er sogar in Srebrenica an der Gedenkfeier zum 15. Jahrestag des Massakers teilgenommen.

Die Aussöhnung mit seinen Nachbarn ist eine wesentliche Voraussetzung für den von Belgrad gewünschten Beitritt zur Europäischen Union. 2010 haben sich die Chancen Serbiens erheblich verbessert. Am 25. Oktober beschlossen die Außenminister der EU, den ein knappes Jahr zuvor gestellten Beitrittsantrag Serbiens an die Kommis-sion weiterzuleiten. Mit der Entscheidung der Kommission über die Annahme wird Mitte 2011 gerechnet. Ausschlaggebend war die geänderte Haltung der Niederlande, die lange nicht nur ein Wirtschaftsabkommen zwischen der EU und Serbien, sondern auch die Annahme des Beitrittsgesuchs verhindert hat.

Niemand hat stärker als die Niederlande die Normalisierung der EU-Beziehungen zu Serbien an die Zusammenarbeit Serbiens mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag geknüpft. Das Land, dessen UN-Soldaten beim Massaker von Srebrenica eine unrühmliche Rolle gespielt haben, hat noch eine persönliche Rechnung offen mit dem Hauptverantwortlichen des Massakers, dem serbischen General Ratko Mladic.

Tatsächlich ist dieser Kriegsverbrecher im Gegensatz zu seinem bosnischen Mitstreiter Radovan Karadžic, der 2008 in Serbien verhaftet und nach Den Haag überstellt wurde, noch auf freiem Fuß. Wenige Tage nach der Entscheidung der EU-Außenminister erhöhte die serbische Regierung das Kopfgeld auf Mladic von eine auf zehn Millionen Euro. Neben Mladic soll Serbien einen weiteren mutmaßlichen Kriegsverbrecher ausliefern, dann wäre die Liste von 44 Personen vollständig abgearbeitet.

Trotz des hohen Kopfgeldes glaubt niemand so recht daran, dass die serbische Regierung alles tut, um des Generals habhaft zu werden. Der serbische Sicherheitsexperte Ljubodrag Stojanovic ist laut Deutscher Welle der Ansicht, dass die serbische Regierung keine ausreichende Kontrolle über die Geheimdienste habe, die ihren alten Kameraden schützen. Daran mag etwas dran sein, ist doch Zoran Djindjic, der Serbien nach Milosevic in die Demokratie geführt hatte, 2003 von kriminellen Geheimdienstlern ermordet worden, deren Hintermänner nie gefunden wurden.

Neben Ratko Mladic war der Kosovo lange das größte Hindernis für eine Annäherung an die EU. Auch hier hat sich die Lage entspannt. Serbien hat sich, so scheint es, mit der Unabhängigkeit des Kosovo abgefunden. Eine im September von Serbien vorgelegte UN-Resolution, die die Abspaltung des Kosovo verurteilen sollte, obwohl der Internationale Gerichtshof diese soeben als rechtens bewertet hatte, musste das Land in letzter Sekunde entschärfen. EU-Politiker hatten dem Land unmissverständlich klargemacht, dass es in Europa nicht vorankäme, wenn es diese Resolution der UN-Vollversammlung vorlegen würde. Serbien knickte ein und die Tür zur EU öffnete sich mehr als nur einen Spalt breit.

Dass die Regierung den EU-Beitritt will, ist schon lange klar. Mittlerweile hat sich sogar der Führer der Opposition, der nationalistische Tomislav Nikolic, vom Gegner zum Beitrittsbefürworter gewandelt. Aber ist die Bevölkerung Serbiens bereit? Die „Geiselhaft“ der Serben hatte die EU im Dezember 2009 aufgehoben, als sie den visafreien Zugang zum Schengenraum erlaubte. Diese Maßnahme erfolgte, weil man die Bevölkerung für Europa und den Reformprozess innerhalb Serbiens gewinnen wollte. Die Ultra-Nationalisten erhalten momentan in Umfragen nicht mehr als 20 Prozent Unterstützung, aber nur ein gutes Drittel ist bereit, Mladic an Den Haag auszuliefern. Die Hoffnung liegt in der Zukunft: Junge Menschen sollen den EU-Beitritt zu 90 Prozent unterstützen. Aber, so Ivo Viskovic, serbischer Botschafter in Deutschland, man müsse noch viele Hindernisse überwinden. Dazu gehörten Gerüchte, dass die EU die Serben zum lateinischen Alphabet zwingen wolle und ihnen das Brennen von Sliwowitz (Pflaumenschnaps) verbieten würde. Aber auch, dass die Arbeitsmoral auf europäisches Niveau steigen müsse. Ein bisschen Zeit bleibt dafür noch: Mit dem EU-Beitritt Serbiens wird frühestens 2015 gerechnet. In ihrem Fortschrittsbericht vom 9. November fordert die EU-Kommission stärkere Anstrengungen beim Kampf gegen die Korruption und für mehr Rechtsstaatlichkeit sowie beim Umbau der Wirtschaft in eine Marktwirtschaft.

Christoph Nick
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