Die kleine Zeitzeugin

Mittsommernacht

d'Lëtzebuerger Land du 04.07.2025

Mittsommernacht, das ist doch diese Nacht, in der Elfen sich herumtreiben und Würmchen glimmen wie einst Zigaretten, und die Menschen irrlichtern herum und prosten einander zu, weil der Tag groß ist wie die Nacht und die Nacht groß ist wie der Tag.

Und dann ist es wieder keine weiße St. Petersburger Nacht, und ich habe noch nie eine Elfe gedatet! Und ich sitze in meinem Mittsommernachtszimmer und lass mich von Insekten anschwirren, finstergeflügelten Mini-Drohnen, hysterischen Hybriden, die ich überhaupt nicht kenne und auch nicht kennen lernen will. Und dann schalte ich auch noch routinemäßig Böse-Nacht-Geschichten von CNN ein, frau kann es nicht lassen, sie kann die alten diversfarbenen Männer nicht aus den Augen lassen, immer fällt denen was Neues ein. Meist was Ururaltes.

Der Moderator schaut düster, der Interviewte schaut düster, vielleicht ist es schon zu spät, orakelt er. Eine Mondlandschaft wird eingeblendet, mit Pfeilen wie bei einer Schnitzeljagd. Immer weitere Interviewte tauchen auf und zeigen die feierlich-betroffenen Antlitze von Gedenkenden. Das Geschehene heißt „Midnight Hammer“, ein extrem plumper Name. „Rising Lion“ ist viel eleganter.

Dann taucht auch schon Trump auf, mit seiner Crew, auf dem trunkenen oder schon versunkenen Schiff, er trägt eine Kindergeburtstagskapitänskappe, unter der er abwesend schaut vor lauter Dabeisein. Belämmert und weggetreten. Weit weg. Teil einer Toteninstallation aus einem Gruselfilm von Lars von Trier. Der Crew steht die Mulmigkeit ins Gesicht geschrieben. Feierlich belämmert steht sie dann bei der anschließenden Ansprache an die Nation und die Welt um ihn herum. „US enters war against Iran“, schreibt die NYT. „USA klammen mat eran an de Krich“, formuliert RTL. Das klingt viel gemütlicher.

Ouverture Apokalypse? Düsteres posten, sofort. Unter lauter Düsterposter/innen. Wir inspirieren einander sehr. Haben schluckschluckschlotterschluck die Hopis nicht schon? Nacht der Monster. Höllenschlund, öffne dich! Antichrist. Jericho. Bunkerbrechend. Geist aus der Flasche. Büchse der Pandora. Der dritte, jetzt endlich!

Am nächsten Morgen ist die Welt aber noch da. Noch immer da. Der Iran auch noch. Wir entdecken den Iran. Die iranischen Künstler. Die iranischen Schriftstellerinnen. Eine schöne junge unter den Bomben ermordete iranische Poetin wird zahlreich geliket. Der Tod schöner junger Künstlerinnen rührt die Herzen mehr als der Tod weniger schöner junger Bäcker oder Büroangestellter. Ist es moralisch, den Iran zu bombardieren? Gaza ist von der Bildoberfläche verschwunden. Alles geht nicht, und in Gaza geht nichts mehr, nicht mal mehr das Internet. Black-out.

Schon, beim Surfen und Strolchen und Scrollen und Trollen, lande ich in Luxemburg. Dem Land, aus dem ich bin, aber in dem ich nicht bin. Ach so, ja, Nationalfeiertag. Thronjubiläum. Wow. Es gibt Paraden und Fanfaren und Gottesdienste und Volksfeste und Bier und Messwein. Freudenfeuer. Die Schlaraffenlandstraßenbahnen fahren das Volk von Lustbarkeit zu Lustbarkeit. Von Event zu Event. Der Premierminister hält eine Ansprache, die richtig Lust macht in dem Land zu leben. Er sagt, niemand müsse sich in diesem Land vor einem Krieg fürchten. Der letzte Großherzog der Welt und seine zahlreichen Nachkommen winken vom Balkon des kleinen, eingequetschten Palasts mit seinen Spielzeugsoldaten. Ein giftig bunter Bildersirup ergießt sich über die Fassade des kleinen Palasts, Foto-Liveshow heißt das, das lebendig gewordene Großherzogsfotoalbum erscheint den unten Staunenden.

Der Premierminister redet von den Menschen aus vielen Nationen, die in dem Land leben. Sie sprechen in multiplen Zungen. Der Großherzog hingegen spricht in einer interessanten Kunstsprache zu seinem Volk, die nur er beherrscht. Er lächelt beinahe immer. Er liebt Beethoven und Ohrwürmer. Zum Dank für sein resilientes Wirken bekommt er einen Kuchen, der ausschaut wie das Skelett eines Hochhauses. Eine schrecklich nette Familie bewegt sich durch die Straßen der Stadt. Sie sind so sympathisch.

Michèle Thoma
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