„Allez, Här Gesondheetsminister, realiséiert eis dësen Deel och nach“, hatte die CSV-Abgeordnete Martine Stein-Mergen dem LSAP-Gesundheitsminister Mars Di Bartolomeo im Juni 2006 von der Parlamentstribüne zugerufen. Und meinte damit das parteienübergreifend geforderte, aber bis lang nicht realisierte Therapieangebot für schwerstabhängige Junkies: die kontrollierte Abgabe von Heroin. Nun, fünfzehn Monate später, liegt eine Machbarkeitsstudie vor. Sollten die darin gelisteten Empfehlungen, wie in Aussicht gestellt, 2010 umgesetzt werden, wäre Luxemburg das sechste Land im Europa mit einer heroingestützten Behandlung – nach Großbritannien, Schweiz, Holland, Deutschland und Spanien.
Rechtlich wäre die Einführung kein Problem, bilanziert die von Drogenorganisationen und dem Gesundheitsministerium gemeinsam erstellte Studie. Das Anti-Drogengesetz von 2001, das die Strafen für den Verlauf von illegalen Drogen regelt, erlaubt ausnahmsweise die Weitergabe und den Konsum verbotener Substanzen „dans le cadre d’un programme de traitement de la toxicomanie par substitution, agrée par le ministre de la Santé“. Selbst die Weitergabe von Heroin ist laut Gesetz möglich – sofern sie im Rahmen eines ministeriell genehmigten, kontrollierten Modellversuchs geschieht, zu Konditionen „au moins aussi restrictives que le présent réglement quant aux critères d’admission des toxicomanes, ainsi que des dispositions au moins équivalentes à celles du présent règlement en matière de suivi social et de surveillance.“
Genau das versucht der Text: die Weichen zu stellen für ein zusätzliches, hochschwelliges Therapieangebot für so genannte Opiatabhängige, neben dem bestehenden Methadon-Programm. Von Heroinfreigabe oder gar vom „Heroin auf Krankenschein“, wie Gegner polemisch tönen, kann keine Rede sein. „Es geht darum, einer begrenzten Gruppe von Schwerstabhängigen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen“, betont Drogenkoordinator Alain Origer. Vor allem gesundheitlich schwer angeschlagene Altfixer, die vergeblich versucht haben, aus dem Teufelskreis von Kriminalität und Fixen auszubrechen, sollen vom Programm profitieren. Als lebensrettende, das Leben verbessernde Maßnahme. Pharmazeutisch gewonnenes Heroin, Diamorphin genannt, ist besser verträglich als Methadon, der für Methadon typische Dämmerzustand bleibt aus. Viele entzugswillige Patienten können zudem nicht auf den Kick verzichten. Allerdings ist die Wirkungszeit von Diamorphin kürzer, weshalb ein Patient nicht nur einmal am Tag zum Arzt gehen muss, um dort seine Dosis einzunehmen, sondern zwei bis drei Mal. Das erfordert Disziplin und Kontinuität – die viele Drogenabhängige nicht aufbringen.
Schon aus diesem Grund dürften sich nicht sehr viele Junkies für das Programm begeistern. Auf „circa hundert“ schätzt Luxemburgs Drogenbeauftragter den Personenkreis, der für eine solche Heroinersatz-Behandlung in Frage käme, bei über 2 400 Drogenabhängigen ein Bruchteil. In einer Anfangsphase sollen gar nur etwa 40 Personen vom Angebot profitieren, dessen Gesamtkosten das Gesundheitsministerium auf um die 500 000 Euro schätzt. Zuvor müssen sich potenzielle Teilnehmer einer eingehenden Prüfung unterziehen, die aber Fragen aufwirft. Anders als in Deutschland, wo ein Mindestalter von 23 Jahren, eine fünfjährige Opiatabhängigkeit und zwei erfolglose Methadon-Therapien als Teilnahmebedingung gelten, verzichtet das vorgeschlagene Luxemburger Modell auf rigide formulierte Kriterien. Über die Anträge soll eine aus Ärzten, Drogenorganisa-tionen und Ministerium bestehende Kommission entscheiden; bewerben kann sich jeder Schwerstabhängige, der mindestens 18 Jahre alt ist und in Luxemburg wohnt respektive sozial versichert ist. Neben der körperlichen und seelischen Verfassung ziehen die Experten vorherige Therapieversuche, aber auch das Vorstrafenregister und soziale Faktoren wie Arbeit und Familie in Betracht.
Bloß: Was ist mit erfolgloser Therapie gemeint? In Luxemburg sind rund die Hälfte aller Opiatabhängigen in Behandlung, wobei deren Qualität stark schwankt: Das Angebot reicht von der einfachen ärztlichen Verschreibung von Methadon bis hin zu ausgefeilten Hilfen zur Alltagsbewältigung mittels therapeutischer Unterstützung. Unseriöse Verschreibungspraktiken und fehlende Kontrollen haben dazu geführt, dass Methadon billig auf dem Schwarzmarkt zu erhalten und ein reger Handel entstanden ist. Die Folgen sind vermehrte Therapieabbrüche. Warum sich mit strengen Auflagen plagen, wenn es so einfach sein kann, an den (Ersatz-)Stoff zu kommen? Henri Grün, Leiter von Jugend- an Drogenhëllef, die ein umfassendes Methadon-Substitutionsprogramm anbietet, warnt vor zu hohen Erwartungen: „Es wird nur ein kleiner Teil der Patienten, die heute Methadon bekommen, von dem Heroinprogramm profitieren können“. Zuvor müsse der Staat dafür Sorge tragen, dass bei der klassischen Therapie die gesetzlichen Qualitätsstandards auch eingehalten werden. Das Gesundheitministerium arbeitet derzeit, mit der Ärztevertretung AMMD, an einer diesbezügliche Bilanzierung.
Vielleicht wird das Verhältnis zwischen Methadon-Behandlung und Heroin-Abgabe ja klarer, wenn, wie es die Autoren des Papiers empfehlen, beide Therapieformen in einem Substitutionszentrum in Esch oder in Luxemburg-Stadt angeboten werden. Bisher ist weder eine Entscheidung für einen Träger noch für einen Ort gefallen; der Bericht spricht sich für die Jugend- an Drogenhëllef aus, mit gutem Grund: Die Hilfsorganisation ist am längsten in der Szene tätig und hat die meisten Erfahrungen mit der Behandlung von Süchtigen. Im vergangenen Jahr wurden dort 113 Leute mit Methadon behandelt, mit ähnlichen Ergebnissen wie im Ausland: 43 Prozent der Patienten brachen vorzeitig ab, 20 Prozent wurden an andere Therapien übermittelt, 16 Prozent beendeten die Behandlung regulär.
Man darf überdies gespannt sein, wenn der auf zwei Jahre angesetzte Heroin-Modellversuch ausgewertet wird. Eine groß angelegte wissenschaftliche Untersuchung über den Sinn und Wirksamkeit der heroingestützten Behandlung ist nicht ge-plant: „Das haben andere Länder zur Genüge nachgewiesen“, so Origer. Zuletzt in Deutschland die so genannte Heroinstudie, an der Schwerstabhängige aus sieben deutschen Städten teilnahmen: Die Heroin-Behandlung führte zu einer deutlichen sozialen und gesundheitlichen Stabilisierung der Schwerstabhängigen – und war sogar der Methadon-Behandlung überlegen. Von rund 1 000 Patienten, die je zur Hälfte Diamorphin respektive Methadon verabreicht bekamen, ging es den mit künstlichem Heroin behandelten zu 80 Prozent besser, bei den Methadon-Therapierten waren es 74 Prozent. Auch der Bei-Konsum von Alkohol und anderen Drogen war bei der Heroin-Gruppe deutlich niedriger. Der wohl wichtigste Effekt: Doppelt so viele konnten sich aus der Kriminalität lösen und sie waren sozial besser integriert als die Methadon-Patienten.
Anders als man angesichts so positiver Ergebnisse hätte erwarten können, stehen die deutschen Projekte jedoch vor dem Aus: Der Bund stieg nach Ende der Modellphase aus der Finanzierung aus. Ein von 13 Länderregierungen im September 2007 im Bundesrat eingebrachter Gesetzentwurf, wonach der Wirkstoff Diamorphin als verschreibungsfähiges Medikament eingestuft werden und somit von den Krankenkassen bezahlt werden soll, wird von der CDU/CSU-Bundesfraktion blockiert – obwohl der Gesetzentwurf von CDU-Ländern initiiert wurde. Ihre Ablehnung begründet die Bundes-fraktion damit, dass der Staat sich nicht zum Förderer von Drogensucht machen dürfe.
In Luxemburg haben die Christlich-Sozialen zwar mehrfach ihre Unterstützung zugesichert – das war aber nicht immer so. Noch 2001, beim Gesetz zur Substitution, verhinderte die CSV eine klares Ja in punkto Heroin-Behandlung. Auch im Koalitionsprogramm ist nur vage von einem „projet de mise à disposition de drogues“ die Rede. So bleibt abzuwarten, wie tiefgehend der Sinneswandel wirklich ist. Zum Überdenken alter Positionen dürfte nicht zuletzt der Erfolg der Fixerstube beigetragen haben: Die rückläufige Zahl tödlicher Überdosen geht laut Drogenkoordinator auf die Einführung des Spritzraumes zurück. Statt Verbote und Moralisieren setzt sich allmählich eine pragmatischere Sichtweise durch. Von RTL gefragt, ob die Regierung trotz unsicherem Staatsbudget und Anrainerproteste am Bau der definitiven Fixerstube in der Rue d’Alsace festhalte, bejahte Minister Di Bartolomeo (LSAP) dies. Es gehe darum, Leben zu retten und Risiken zu mindern, nicht Stimmen zu fangen. Ein Argument, das auf die kontrollierte Heroinabgabe ebenfalls passt. Mit ihrem Start ist vor den Wahlen aber definitiv nicht mehr zu rechnen.