Der Mensch ist ein soziales Wesen und hat das Bedürfnis, sich mit anderen Menschen zusammenzuschließen – sei es, um Handel zu treiben, gemeinsame Interessen zu verteidigen oder um sich zu vergnügen. Aufgrund der Gefahren, die organisierte Menschengruppen für die soziale und politische Ordnung darstellen können, haben sich Entscheidungsträger und Machthaber stets bemüht, diese Freiheiten einzuschränken oder gar zu untersagen. Auch in Luxemburg kennzeichnet sich die Geschichte des Versammlungs- und Vereinigungsrechts durch langsame Fortschritte und beständige Rückschläge, welche zum Teil bis heute andauern.
Zwar gab es im sogenannten Ancien Régime Zünfte, Bruderschaften und Kongregationen, doch waren diese Vereinigungen alles andere als frei. Sie bedurften einer Genehmigung des Regenten, waren oft wenig transparent und stark hierarchisch gegliedert. Die Französische Revolution von 1789 räumte mit diesem rigiden Konzept auf, ohne jedoch die Vereinigungsfreiheit einzuführen. Im Gegenteil: Um die Entstehung einer Gegenmacht innerhalb organisierter Strukturen zu verhindern, wurde die Gründung von Vereinen gezielt eingedämmt. Zwischen dem Bürger und der Republik durfte kein Mittelglied existieren. Gewerkschaften als Vereinigungsform wurden ganz besonders geächtet, da sie in den Augen der Revolution nicht nur eine politische und soziale Sprengkraft besaßen, sondern auch eine Gefahr für den freien Handel darstellten. Es verwundert daher nicht, dass die Menschenrechtscharta von 1789 kein Wort über die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheiten verliert.
Die misstrauische Einstellung der Französischen Revolution gegenüber der Vereinigungsfreiheit fand 1810 Eingang in Napoleon Bonapartes Code civil. Artikel 291 des Strafgesetzbuches stellte jede Vereinigung von mehr als 20 Personen, die nicht durch staatliche Behörden offiziell genehmigt worden war, unter Strafe. Das Koalitionsrecht – das heißt, Zusammenschlüsse zwischen Arbeitern oder Arbeitgebern – wurde ebenfalls ausdrücklich verboten. Diese Bestimmungen galten auch für die Gebiete des heutigen Luxemburg, Belgiens und der Niederlande und blieben nach der Niederlage Napoleons bestehen.
In den Jahren 1814 und 1815 trafen sich die europäischen Mächte unter der Leitung des österreichischen Grafen Clemens von Metternich in Wien, um die Landkarte Europas neu zu gestalten. Das von Metternich erdachte und in ganz Europa eingeführte System sollte unter anderem die durch die Französische Revolution eingeführten sozialen Reformen teilweise rückgängig machen und das monarchische System wieder einführen – weshalb die folgenden Jahre oft als „Restauration“ bezeichnet werden. In Deutschland konzentrierte sich die Opposition gegen Metternichs System vor allem in den studentischen Burschenschaften und den Turnvereinen. Um die Gegenstimmen zu unterdrücken, erließ Metternich 1819 die sogenannten Karlsbader Beschlüsse, welche die Zensur verschärften und die „gegen die bestehende Verfassung und innere Ruhe, sowohl des ganzen Bundes, als auch einzelner Bundesstaaten, gerichteten revolutionären Umtriebe und demagogischen Verbindungen“ verboten.2 Obwohl Luxemburg seit dem Wiener Kongress ebenfalls dem Deutschen Bund angehörte, wurden die Karlsbader Beschlüsse hier nicht sofort umgesetzt. Das Großherzogtum stand nämlich in Personalunion mit den Niederlanden, und der holländische König Wilhelm I. ließ hier das holländische Recht – das heißt, das Strafgesetzbuch von 1810 – gelten.
Als 1830 die Belgische Revolution gegen die niederländische Herrschaft ausbrach, schlossen sich die Einwohner des Großherzogtums den Aufständen an und mit Ausnahme der Hauptstadt wurde das gesamte Gebiet in den neugegründeten belgischen Staat eingegliedert. Folglich wurde das für seine Zeit äußerst fortschrittliche belgische Gesetz auch hier rechtskräftig und die Vereinigungsfreiheit hielt erstmals Einzug in Luxemburg. So verkündete Artikel 20 der belgischen Verfassung von 1831: „Les Belges ont le droit de s’associer; ce droit ne peut être soumis à aucune mesure préventive.“ Schon ein Jahr zuvor hatte ein Gesetz festgelegt, dass im Falle von Übertretungen „[l]a loi ne pourra atteindre que les actes coupables de l’association ou des associés, et non le droit d’association lui-même“.3 Selbst nach heutigen Maßstäben sind diese Bestimmungen äußerst progressiv. Ein liberales Vereinigungsrecht dieser Art sollte das Großherzogtum nach der belgischen Periode nicht mehr kennen.
In Reaktion auf die Ereignisse von 1830 verhängte König Wilhelm I. die Karlsbader Beschlüsse schließlich auch in Luxemburg. Ab 1839 – als das Großherzogtum wieder unter holländische Befehlsgewalt fiel –, wurden das Vereinigungs- und das Versammlungsrecht damit im ganzen Land wieder abgeschafft. Keine zehn Jahre später, also im Kontext der Revolutionen von 1848, erhob das Volk die Forderung, beide Freiheiten erneut einzuführen. In einem Aufruf luxemburgischer Arbeiter konnte man beispielsweise folgendes Anliegen lesen: „[Es steht] den Staatsangehörigen frei, sich ohne vorherige polizeiliche Erlaubnis, sei es unter freiem Himmel, sei es in geschlossenen Räumen zu versammeln, um sich über ihre gemeinschaftlichen Interessen zu berathen. Niemand darf wegen seiner dort geäußerten politischen und religiösen Ueberzeugungen zur Verantwortung gezogen werden.“4 Die erste nationale Verfassung Luxemburgs, deren Text sich stark am belgischen Modell von 1831 orientierte, wurde diesen Forderungen zum Teil gerecht. So verfügte Artikel 27: „Les Luxembourgeois ont le droit de s’associer. Ce droit ne peut être soumis à aucune mesure préventive.“ Die Verfassungsgeber behielten es sich jedoch vor, eine Einschränkung einzuführen, die im belgischen Text nicht vorhanden war: „L’établissement de toute corporation religieuse doit être autorisé par une loi.“ Religiöse Institutionen konnten von dieser Freiheit folglich keinen freien Gebrauch machen.
Der Grund dafür lag vor allem in der Angst vor der sogenannten „Toten Hand“. Darunter versteht man Besitztümer, die dem freien Handel entzogen werden, weil sie nicht von natürlichen – und damit sterblichen – Personen (personnes physiques), sondern von juristischen – und damit potenziell ewigen – Personen (personnes morales) gehalten werden. Es handelt sich um Güter, die keine Gewinne abwerfen und sozusagen in den Händen der Körperschaften, denen sie gehören, „sterben“. Das Problem wurde vor allem mit den Kongregationen in Verbindung gebracht, da diese sich in vormoderner Zeit mit Hilfe von Spenden und Schenkungen bereichert und Immobilien angehäuft hatten. Dies war auch einer der Gründe, weshalb Kongregationen in den 1790-er Jahren von der Französischen Revolution sofort aufgelöst und verboten, ihre Besitztümer beschlagnahmt und öffentlich verpfändet wurden. Mit dem Zusatz zu Artikel 27 der Verfassung von 1848 wollten die politischen Entscheidungsträger Luxemburgs eine starke Zuwanderung von Kongregationen verhindern und sich gegen die damit einhergehende Gefahr der „Toten Hand“ wappnen. Bei den Kirchenvertretern Luxemburgs rief das heftigen Protest hervor. So urteilte der apostolische Vikar Nicolas Adames: „Man gewehre allgemeines Vereinsrecht, nicht allein für weltliche Zwecke, sondern auch für die Kirche. Eine Engherzigkeit und unverzeihlicher Widerspruch ist es, wenn jedermann zu allen Zwecken das Recht der Verbrüderung und Verbindung haben solle, zum Beten aber und zu gemeinsamen christlichen Uebungen nicht einige Menschen sich vereinigen dürfen.“5 Der Zusatz blieb jedoch bestehen und wurde auch in die Verfassung von 1868 übernommen. Erst 1989 wurde er gestrichen.
Zwischen dem Verfassungstext von 1848 und dem vom 1868 besteht, was die Vereinigungsfreiheit anbelangt, ein subtiler, aber wichtiger Unterschied. Nunmehr heißt es nicht mehr, dass „[c]e droit ne peut être soumis à aucune mesure préventive“, sondern: „Ce droit ne peut être soumis à aucune autorisation préalable.“ Damit behielt sich die exekutive Gewalt das Recht vor, präventiv einzugreifen, falls sie das für nötig erachtete. Schon drei Jahre später wurde diese Maßnahme praktisch umgesetzt, als 1871 auf dem Limpertsberg der Allgemeine Luxemburger Arbeiterverein gegründet wurde – eine Sektion von Karl Marx’ kommunistischer Ersten Internationale. Da die Behörden den Verein aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht verbieten konnten, schlugen sie vor, „[de] prévenir et empêcher avant tout la propagation des théories abominables de cette société, [de] repousser leur introduction et leur propagation“.6 Das Beispiel verdeutlicht einerseits, dass die Vereinigungsfreiheit dank der Verfassung tatsächlich gesichert war, andererseits jedoch, dass die Behörden andere Wege suchten, um als unangenehm erachtete Vereine zu untergraben.
Die Zeit nach 1868 bildete die Blütezeit des Vereinswesens in Luxemburg. Nun stellte sich die Frage, ob Vereine ohne Gewinnzweck (associations sans but lucratif) per Gesetz die Rechtspersönlichkeit erhalten sollten. Eine solche würde den Vereinsmitgliedern ihre ehrenamtliche Arbeit erheblich erleichtern, da ein gesetzlich anerkannter Verein im eigenen Namen Besitztümer erwerben und verwalten, Kredite bei eine Bank aufnehmen oder vor Gericht erscheinen kann. Ohne Rechtspersönlichkeit mussten diese Tätigkeiten und finanziellen Transaktionen über einzelne Mitglieder abgewickelt werden, was für diese mit einem gewissen Risiko verbunden war. Angesichts der wachsenden Bedeutung des Vereinswesens innerhalb der luxemburgischen Gesellschaft erkannte die Regierung sehr früh die Dringlichkeit eines solchen Gesetzes. Dennoch erhielt Luxemburg erst am 21. April 1928 einen gesetzlichen Rahmen für gemeinnützige Vereine. Diese Verzögerung erklärt sich durch zwei Ursachen: Zum einen hegte der Staat den Verdacht, die Kongregationen würden ein solches Gesetz missbrauchen um durch die Hintertür – das heißt, ohne ausdrückliche Zustimmung der Regierung, wie dies im Verfassungstext vorgesehen war – die Rechtspersönlichkeit zu erlangen und so Besitztümer anzuhäufen. Andererseits befürchtete der Staat, dass nunmehr auch Gewerkschaften – einschließlich der radikalen Arbeiterzusammenschlüsse – sich als gemeinnützige Vereine eintragen könnten, um sich rechtlich zu schützen.
In Anlehnung an das belgische Gesetz über gemeinnützige Vereine vom 27. Juni 1921 sahen die luxemburgischen Verfasser des Gesetzes vom 21. April 1928 mehrere Maßnahmen vor, um beiden Szenarien zu begegnen. Um der „Toten Hand“ vorzubeugen, mussten die Vereine sich verpflichten, sich nur jene Besitztümer anzueignen, die für die Verwirklichung ihrer tatsächlichen Aktivitäten nötig waren. Des Weiteren mussten sie eine Steuer auf ihre Immobilien zahlen und für Spenden über 10 000 Franken eine staatliche Genehmigung einholen. Um sich gegen Gewerkschaften zu wappnen, verlangte der Gesetzgeber, dass zwei Drittel der Mitglieder die Luxemburger Nationalität besitzen sollten – wohlwissend, dass die Kommunisten besonders bei den italienischen Arbeitern Anklang fanden. Ein weiteres Hindernis schuf die Bedingung, die Mitgliederlisten zu veröffentlichen. In einer Zeit, in der Arbeitsniederlegungen noch illegal waren und die Arbeitgeber schwarze Listen führten, muss diese Voraussetzung abschreckend gewirkt haben.
Das Koalitionsverbot wurde erst am 11. Mai 1936 abgeschafft.7 Am gleichen Tag stimmte das Parlament ein Gesetz „betr[effend] die Gewährleistung der Vereinigungsfreiheit“, das nicht nur das Recht sicherte, sich zu vereinigen, sondern ebenfalls das Recht, einer Vereinigung nicht beitreten zu müssen.8 Theoretisch war die Vereinigungsfreiheit ab 1936 somit sowohl in der Verfassung als auch per Gesetz gewährleistet. In der Praxis zeigte sich aber schnell, wie fragil ein solches Grundrecht trotz dieser gesetzlichen Garantien sein kann. 1937 fand im Großherzogtum ein Referendum statt, in dem entschieden werden sollte, die Kommunistische Partei und andere als gefährlich erachtete Vereine zu verbieten. Mit einer knappen Mehrheit von 50,68 Prozent sprachen sich die Wähler gegen ein solches Verbot aus – und somit gegen die Verletzung der Vereinigungsfreiheit. Das Beispiel des sogenannten Maulkorbgesetzes verdeutlicht, dass auch Grundfreiheiten auf tönernen Füßen stehen und unter gegebenen Umständen riskieren, stark eingeschränkt zu werden.
Nach einer Schätzung von Danielle Merx, Leiterin der Agence du Bénévolat, bestehen heute rund 8 000 aktive Vereine politischer, freizeitlicher oder karitativer Art in Luxemburg, für die das Gesetz vom 21. April 1928 noch immer gilt.9 Allerdings ist eine grundlegende Reform dieses fast hundertjährigen Gesetzes angedacht, um veraltete und unzeitgemäße Bestimmungen zu ändern, wie zum Beispiel den Artikel über die Veröffentlichung von Mitgliederlisten. Die hohe Zahl der gemeinnützigen Vereine zeugt jedenfalls vom anhaltenden Bedürfnis nach sozialen Zusammenschlüssen und gemeinsamen, ehrenamtlichen Aktivitäten – trotz etwaiger gesetzlicher Unzulänglichkeiten.