Luxemburg ist ein gut regulierter, seriöser Finanzstandort – mit der Losung treten die Offiziellen des Landes seit Ausbruch der Finanzkrise und den Diskussionen um die Steuerpolitik allen entgegen, die Kritik am Großherzogtum üben. Dass die Finanzindustrie sich dermaßen entwickelt hat, wiederholen sie gerne, liege auch daran, dass Luxemburg immer schnell den juristischen Rahmen für neue Aktivitäten geschaffen habe. Da kann es überraschen, dass sich Luxemburg bei der Umsetzung der europäischen Gesetzestexte so viel Zeit lässt, in denen die großen Lehren aus der Finanzkrise gezogen werden.
Am Donnerstag diskutierte die Finanz- und Haushaltskommission des Parlaments über Änderungen am Gesetzentwurf, durch den ein Comité du risque systémique (CRS) eingesetzt werden soll. Dafür wird es langsam Zeit, denn eigentlich hätte dieses Komitee, das an das European Systemic Risk Board (ESRB) unter Führung der Europäischen Zentralbank berichten soll, spätestens am 1. Juli 2013 einsatzbereit sein sollen. Dass man schon eineinhalb Jahre Verspätung hat, sollte man nicht überbewerten, findet Berichterstatter Eugène Berger (DP). Die sektoriellen Aufsichtsbehörden, die CSSF für die Banken und Fonds, das Commissariat aux Assurances für die Versicherungen, hätten ihre Branchen schließlich kontrolliert.
Das stimmt wohl, wird aber der Aufgabenteilung zwischen dem mikro-zentrierten Aufsichtsauftrag, den CSSF und CAA haben, und dem makro-basierten Ansatz, den ein CRS verfolgen soll, nicht ganz gerecht. Dass ein solcher makro-basierter Ansatz notwendig ist, war eine der großen Schlussfolgerungen aus der 2008 ausgebrochenen Finanzkrise. Als die Experten in der Folge mit Ursachenforschung begannen, stellten sie fest: Sogar wenn jede Bank einzeln alle Aufsichtsauflagen erfüllt, können sich dennoch Risiken im Finanzsystem aufbauen, die das ganze System ins Wanken bringen können. Deshalb müsse ein neuer Aufsichtsansatz her, jemand müsse diese Risiken im Markt, im System, identifizieren und bekämpfen, anstatt dass man sich ausschließlich auf die Kontrolle der einzelnen Marktakteure konzentriere. So entstand die Idee für das ESRB und die entsprechenden nationalen Behörden für systemische Risiken.
Der Immobilienmarkt ist ein gutes Beispiel, um zu verdeutlichen, worin der Unterschied zwischen mikro- und makro-zentrierter Aufsicht besteht. Die Finanzaufsicht kontrolliert die Banken, die Immobilienkredite an ihre Kunden vergeben. Ihre Aufgabe besteht darin, sicherzustellen, dass jede Bank ausreichend Kapitalreserven hat, um eventuelle Ausfälle auf ihren Kreditportfolio zu decken, wenn die Kunden ihre Kredite nicht mehr bedienen können. Sie wacht darüber, dass die Kreditinstitute ihre gesetzlich festgelegten Kapitalquoten einhalten. Und darüber, dass eine Bank ihre Risiken nicht zu sehr konzentriert, also zum Beispiel nicht einem Bauträger so viel Kredit gibt, dass sie riskiert in Schieflage zu geraten, wenn der mit seinen Zahlungen in Verzug gerät.
Eine Aufsichtsbehörde mit Makro-Ansatz würde statt der einzelnen Akteure den Markt insgesamt unter die Lupe nehmen. Untersuchen, ob die Preise noch im Verhältnis zum Kaufobjekt stehen, ob sich die Kunden überverschulden oder ihnen die Banken genug Eigenkapital abverlangen, wenn sie kaufen. Damit, wenn die Kunden Probleme beim Zurückzahlen haben und die Preise sinken, die Banken ihren Einsatz durch einen Verkauf ohne Verlust zurückholen können.
In Ermangelung eines Komitees des systemischen Risikos griff die CSSF in diesem bestimmten Punkt bereits vor drei Jahren ein. Um der allzu großzügigen Kreditvergabe einen Riegel vorzuschieben, schrieb sie den Banken einen neuen „loan-to-value-ratio“ vor; seit 2012 also müssen Käufer mindestens 20 Prozent des Kaufpreises ihrer Immobilie selbst aufbringen. Das soll aber längst nicht heißen, dass die besondere Situation auf dem Luxemburger Immobilienmarkt keinen Anlass für weitere Analysen durch ein CRS geben würde.
Womit sich ein CRS sonst befassen könnte, darüber gehen die Meinungen auseinander. Der Staatsrat fand in seinem Gutachten zum Gesetzentwurf, es sei „unvorstellbar“, dass es sich an das Schattenbanksystem richte. „En effet, s’il convient de réguler tant soit peu le secteur financier parallèle, et sachant que des initiatives en ce sens sont en cours, cette compétence devra nécessairement revenir aux autorités de surveillance...“, heißt es im Gutachten. Dabei kann man kann sich durchaus fragen, ob der Staatsrat das Thema nicht ein wenig verfehlt hat. Denn das „Regulieren“ einzelner Bereiche des Finanzwesens soll nicht direkt Aufgabe des CRS sein. Laut Gesetzentwurf macht er Folgendes: „identifie, évalue et fait un suivi des risques pour la stabilité financière visant à prévenir ou atténuer ces risques, notamment sur base de la situation économique, de la situation du secteur financier et des marchés financiers (...)“. Ob aber der Staatsrat ausschließen kann, dass im parallelen Finanzwesen Risiken für die Finanzstabilität und die Luxemburger Volkswirtschaft entstehen?
Das ist eher unwahrscheinlich und eigentlich ein Thema, das durch die rezente Nachrichtenlage eher mehr als weniger aktuell ist. Beispiel Banco Espirito Santo. Ursprung der Probleme war die undurchsichtige Buchführung bei der Muttergesellschaft in Luxemburg, die als unregulierte Holding keine komplexere Bilanz als eine Bäckerei erstellen musste. Dass die Gesellschaften der Firmengruppe relativ diskret vor den Luxemburger Gerichten abgewickelt werden und der Fall keine größeren Auswirkungen in Luxemburg hatte, liegt vor allem am schnellen Eingreifen der portugiesischen Regierung, die die Bank mit Steuergeldern rettete. Aus einer CRS-Perspektive heraus könnte man sich vielleicht die Frage stellen, welche Risiken das Ansiedeln solcher Holdings und die vergleichsweise laschen Vorschriften, denen sie unterliegen, für die Luxemburger Wirtschaft bergen.
Vielleicht wäre es überhaupt einmal von Interesse zu untersuchen, welche Rolle dieses parallele Finanzwesen in der Luxemburger Wirtschaft spielt, welches Ausmaß es angenommen hat, um einzuschätzen, welche Risiken davon ausgehen. Dass sich unter der Oberfläche so manches verbirgt, zeigt ein weiteres rezentes Beispiel: Fiat Finance and Trade (FFT), dessen Ruling aktuell von der EU-Kommission untersucht wird. Die strittigen Punkte betreffen den Zinssatz, mit dem FFT Kredite an andere Unternehmen der Fiat-Gruppe vergeben hat, und die Kapitalrücklagen, die sie dafür bereithalten muss. Anders gesagt: FFT funktioniert wie eine Bank; nur hat die Firma keine Banklizenz und wird nicht als Bank überwacht. Treasury-Aktivitäten heißt das dann, und dass davon mehr in Luxemburg ausgeübt werden, wünscht sich die Regierung, weil sie den Kritikern der Luxemburger Steuer-Praxis dann entgegnen kann, dass diese Unternehmen nicht nur zum Steuernsparen hier sind, sondern eine reelle Substanz haben. Angesichts dessen wäre es vielleicht nicht ganz unnütz, wenn sich jemand ein wenig Gedanken über die Risiken machen würde, die entstehen, wenn solche Firmen von Luxemburg aus Milliardensummen hin- und herschieben.
ABBL-CEO Serge De Cilia fallen aus aktuellem Anlass noch weitere Themen ein: das Währungsrisiko. Der Abrutsch des Euro im Vergleich zum US-Dollar und dem Schweizer Franken bringt Probleme für diejenigen mit sich, die Kredite in Dollar oder Franken aufgenommen haben beziehungsweise diejenigen, die sie vergeben haben und deren Kunden, die jetzt mit der plötzlichen Verteuerung ihres Kredits kämpfen. Die Ruling-Problematik bringt De Cilia auf das Reputationsrisiko: „Welche Folgen kann der Reputationsschaden auf das Rating haben, die Bereitschaft zu investieren?“, fragt er. Für ihn gebe es einiges zu tun für ein CRS, deshalb findet er, sollte weniger über die Modalitäten diskutiert, sondern mit der Arbeit angefangen werden.
Denn um die genauen Modalitäten der Zusammenarbeit der verschiedenen Komitee-Mitglieder sorgten sich sowohl die EZB in ihrem Gutachten, wie der Staatsrat. Erstere, weil ihr die Rolle der Luxemburger Zentralbank im Komitee nicht ausgeprägt genug ist, dem neben der BCL die CSSF und das CAA angehören und das laut Entwurf vom Finanzminister geleitet werden soll. Letzterer weil er Probleme beim Austausch von Informationen zwischen den beteiligten Behörden sieht, deren Vertraulichkeit dardurch verletzt werden könnte. „Es muss eine klare gesetzliche Basis geschaffen werden“, sagt De Cilia dazu, „das darf aber nicht dazu führen, dass noch zwei Jahre herumgedoktert wird“.
Dass das Komitee für systemische Risiken endlich geschaffen werden muss, hängt auch damit zusammen, dass der Staatsrat seine Zustimmung zu einem anderen wichtigen Gesetzentwurf davon abhängig gemacht hat: dem Entwurf zur Umsetzung der neuen Kapitalrichtlinie, auch CRD IV genannt. In CRD IV hat die EU alle großen Lehren der Finanzkrise niedergeschrieben. Die Kapitalanforderungen für die Banken wurden verschärft, besondere Kapitalpuffer eingeführt und Liquiditätsregeln erstellt. Umgesetzt sollte sie bis zum 1. Januar 2014 sein. „Die Umsetzungsfrist von CRD IV war sehr kurz“, räumt Isabelle Goubin, Schatzamtsdirektorin ein, „es gab da einen gewissen politischen Druck.“ Die CRD IV wurde gebraucht, damit die gemeinsame Finanzaufsicht SSM unter der Leitung der EZB vergangenen November die Arbeit aufnehmen konnte. Dennoch – auch mit der Umsetzung dieses Kernstücks der Finanzreform hinkt Luxemburg hinterher. Behelfsmäßig setzt deshalb die CSSF die Inhalte über Rundschreiben an die Banken um. Juristisch ist das alles andere als lupenrein. Die Ungeduld ist so groß, dass die ABBL kürzlich eine Liste der nicht umgesetzten Richtlinien ans Finanzministerium geschickt hat, um sich zu beschweren. Regierung und Parlament sollten das ernstnehmen – ein Land, das ausgerechnet die Reformen nicht umsetzt, mit denen Krisen wie 2008 vorgebeugt und das Finanzwesen robuster gemacht werden soll, ist nicht besonders glaubwürdig, wenn es versucht, sich als seriösen, gut regulierten Standort zu verkaufen.