d’Lëtzebuerger Land: Herr Ostermaier, Sie haben mit Schwarze Sonne scheine (siehe obenstehende Kritik) einen Roman auf die Theaterbühne gebracht. Warum wurde aus der Geschichte zunächst ein Roman und kein Bühnenstück? Albert Ostermaier: Es wurde ein Roman, weil es meine Geschichte ist, die ich erzählen musste, bedingungslos, mit all ihren Metastasen und Metaphern, in aller Ausführlichkeit, kompromisslos, bis zum Schluss und gegen alle Widerstände und Schmerzpunkte am Ende der Sätze. Ich habe zwanzig Jahre gewartet, bis ich sie aufschreiben konnte. Wie wichtig war Ihnen bei dieser Geschichte, dass die autobiografischen Bezüge durchscheinen? Es geht um Muster des mentalen Missbrauchs, die so leider überall zu finden sind, angefangen in den Familien. Diese Mechanismen transparent zu machen, war für mich entscheidend. Was Sebastian widerfahren ist, soll niemand erfahren müssen. Wir müssten jetzt lange über Autobiografie und autobiografisches Erzählen diskutieren, kürzen wir es ab: Nichts ist erfunden; ich habe nur eine Sprache dafür gefunden, wo ich im Leben sprachlos blieb. Sie haben einmal gesagt, Ihr Schreiben verlange danach, gesprochen zu werden ... Was ich mit der „Sprechbarkeit“ all meiner Texte meinte, ist, dass, egal wie komplex die Form oder die Struktur ist, sie immer rhythmisch komponiert sind, dass die Sprache Musik ist, einen eigenen Sog entfaltet. Die „Sprechbarkeit“ ist zugleich auch das Ansprechen, die Unmittelbarkeit. Es sind Texte, die Adressaten haben, die gesprochen werden wollen, weil sie etwas ansprechen. Wussten Sie eigentlich von Anfang an, dass Luc Feit den Sebastian spielen würde? Dieses Stück konnte ich so nur komponieren und riskieren, weil ich wusste, dass Luc es nicht nur spielt und spielen kann wie kein zweiter, sondern weil er neue Räume öffnet und eine wehrhafte Empfindsamkeit besitzt. Das ist einzigartig. In der Theaterfassung wird aus einem Künstler- und Entwicklungsroman eine Auseinandersetzung mit dem Thema der Selbstbehauptung und Selbstfindung. War diese Veränderung beabsichtigt? Die Theaterfassung ist ja nicht nur eine Dramatisierung des Romans, sie ist vielmehr eine Weiterschreibung. Es ist ein ganze eigenes Stück geworden, das die Rezeptionsgeschichte und Nachwehen des Romans verarbeitet und Sebastian aus der Gegenwart erzählt. Es geht um Narben, die sich erneut öffnen. Während Sebastian im Roman sich und die Katharsis sucht, muss er im Stück die Realität des ihm Widerfahrenen behaupten gegen alle Fiktionalisierung und Verdrängung der Umwelt. Stück und Buch bringen den Künstler als Melancholiker und als Außenseiter ins Spiel. Welche Bedeutung haben diese traditionellen Künstlerrollen für Sie? Es geht weniger um Rollen als um Rollenwechsel, Blickwechsel, aber mehr als alles andere um Realität, um die Künstlerwerdung im Angesicht eines angekündigten Todes. Sind Künstlerbilder Schutzschilder, geht hier jeder Schutz verloren und der Künstler steht nackt vor seinem Leben und seiner Endlichkeit, vor der er seine Kunst definieren und behaupten muss. Künstlerrollen sind Krücken. Krücken können helfen, aber dann muss man sie wegschmeißen. Darf man Sie am Ende fragen, wie es für Sie war, Ihr Stück auf eine luxemburgische Bühne zu bringen? Was mich an Luxemburg fasziniert, sind die Luxemburger. Wenn man in dieser Stadt am Flughafen landet und durch künstliche Welten und gebaute Europapolitik gleitet, ist man überrascht, dass man plötzlich im Herzen der Stadt auf Menschen trifft, die nicht nur hintersinnigen Humor haben, bewundernswert entspannt sind, sondern auch so viele Abgründe haben, wie sich Schluchten um und durch die Stadt ziehen. Hier Theater zu machen, ist wie in den Arm genommen zu werden, ein herrliche Ermutigung, das Beste zu geben.
Karolina Markiewicz
Catégories: Théâtre et danse
Édition: 07.12.2012