An ihm kommt niemand vorbei, der oder die sich mit dem sozialen Sektor beschäftigt: Gilbert Pregno ist Psychologe, Familientherapeut, Ausbilder; aber er ist vor allem auch ein engagierter Menschenrechtler, der sich nicht scheut, seine Meinung in der Öffentlichkeit zu vertreten. Im Radio RTL hielt er rund sechs Mal im Jahr eine Carte Blanche, dies über viele Jahre hinweg, 50 hat er inzwischen geschrieben.
Sie sind nun zusammen in einem Band unter dem Titel Verléift an de 4. Tunnel erschienen. Von Erziehungsfragen, über Elternprobleme – die Fondation Kannerschlass, die Pregno gemeinsam mit Gaby Praus-Leuckefeld leitet, ist Gründerin der Elternschule – handeln seine Zwischenrufe: In der Regel sind sie freundlich formuliert, oft beginnen sie mit einer persönlichen Anekdote. Immer sind sie auch für Fachfremde gut verständlich. Nicht nur zu Luxemburger Befindlichkeiten, zu weltpolitischen Angelegenheiten äußerte sich Pregno ebenfalls, sofern sie Menschenrechte betrafen: Guantanamo, Abschiebung und Folter, der Prozess gegen den Sexualstraftäter Michel Fourniret – wenn dem Mitglied der Menschenrechtskommission Pregno etwas gegen den Strich ging, teilte er das seinen Zuhörern mit. Auch zu Entwicklungen in seinem Herkunftsland Italien, das ihm in den letzten Jahren verstärkt Sorgen bereitete, genauer: die politischen Eskapaden eines Silvio Berlusconi, meldete er sich mahnend zu Wort.
Und dann ist da ein Thema, das den Psychologen in seinem Berufsleben immer wieder umtrieb: vernachlässigte traumatisierte Kinder. Gilbert Pregno war mit seinen kinderrechtlichen Positionen hierzulande ähnlich präsent wie die ehemalige Kinderrechtsbeauftragte Marie-Anne Rodesch-Hengesch, die er als Mitglied des Ombudskomitees beriet und auch privat gut kennt. Auf Konferenzen, im Fernsehen – kaum eine Veranstaltung zu Kinderrechten, die ohne seinen Beitrag auskam.
Sein Trick, wenn man so will, ist es, egal wie schwerwiegend der Sachverhalt oder grundsätzlich die Kritik, immer gütig und sanft zu sprechen. Manche mögen sagen: zu sanft. Seine Stimme klingt gutväterlich und, ja, zuweilen gemütlich. Aber es geschieht nicht oft, dass für Heimkinder und ihre Eltern öffentlich eine Lanze gebrochen wird. In einem Land, dessen vorige mehrheitlich christlich-soziale Regierung gegenüber Kindern, die nicht das Glück eines intakten Elternhauses haben, oft eine kühl-administrative und paternalistische Haltung eingenommen hatte, die Minderjährige trotz internationaler Kritik über Jahrzehnte im Erwachsenengefängnis einsperren ließ und sogar trotz des Baus eines geschlossenen Heims völlig beratungsresistent dieses (Un-)Recht weiter verteidigte (Luxemburgs Jugendgerichte spielen hierbei eine traurige Rolle, Stichwort: elterliches Sorgerecht, das Eltern, deren Kind in ein Heim eingewiesen wurden, automatisch entzogen bekommen) – da kann der Widerspruch nicht laut genug sein. Aus der Branche selbst kam all die Jahre, von wenigen Ausnahmen wie dem Sozialarbeitsforum Ances, der Menschenrechtskommission oder dem Ombudskomitee für Kinderrechte abgesehen, nicht viel Widerstand.
Gut also, dass es Leute wie Gilbert Pregno gibt: ein Luxemburger Günter Grass der Kinderrechte. Ebenso mahnend, aber nicht so vorwurfsvoll und moralisch, und auch nicht so altersstarr. Wobei: In den vergangenen Jahren hat sich Pregnos Tonfall verändert. Er ist konfrontativer geworden, es sind weniger Anekdoten, aber die Geschichten immer noch persönlich. Er habe das Buch Die Radikalität des Alters von der Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich gelesen, versucht Pregno eine Erklärung.
In der Tat lesen sich seine jüngeren Einwürfe schärfer, Pregno zeigte zuletzt mehr Kante und nutzte das Medium Radio geschickt, um gesellschaftliche Missstände anzuprangern. Seit diesem Herbst ist damit aber Schluss. Er wolle sich ausruhen, andere Dinge tun, so Pregno im Land-Gespräch. Deshalb habe er seine Beiträge jetzt gesammelt als Buch herausgebracht. Fast ist es, als ob man beim Lesen seine mahnende Stimme wieder hört.