Rund 40 Frauen und eine Hand voll Männer hatten sich am vorvergangenen Montagnachmittag im Hotel Parc Alvisse in Luxemburg-Dommeldingen eingefunden. Über zwei Tage sollte sich das Treffen der Mitglieder der Initiative Female Board Pool erstrecken. Thema des mittlerweile neunten Treffens der 2011 gegründeten Initiative, die den Frauenanteil in den Verwaltungsräten von Unternehmen fördern will: Wie kann frau Unternehmen auf sich und ihre Stärken aufmerksam machen? Wie sich vernetzen, um zu wissen, dass eine interessante Stelle frei wird?
„Viele Frauen sind so sozialisiert, dass sie Hemmungen haben, ihre Leistungen und Vorzüge anzupreisen. Sie finden das unmoralisch, obwohl sie hochqualifiziert sind und exzellente Lebensläufe vorweisen“, versucht Rita Knott eine Erklärung für die Hürden, von der Frauen auf der Tagung berichteten. Die ehemalige Bankerin koordiniert den Female Board Pool; das Konzept hat sie aus der Schweiz mitgebracht, wo die Idee 2005 in Zusammenarbeit mit der Universität Sankt Gallen ihren Anfang nahm. Mittlerweile gibt es Ableger in Luxemburg, Deutschland und Belgien.
Erklärtes Ziel: Mit Schulungen und Experten-Workshops sowie einer Datenbank die Kompetenzen von Frauen zu fördern, um sie auf die künftige Rolle als Mitglied eines Verwaltungsrats vorzubereiten und so die Diversität in den Unternehmen zu erhöhen. In der Luxemburger Privatwirtschaft waren laut einer vom Chancengleichheitsministerium angeforderten Studie des Luxembourg Institute of Socio-Economic Research in Esch-Belval, 2015 nur 23 Prozent der Mitglieder von Verwaltungsräten Frauen, obwohl ihr Anteil in den Unternehmen insgesamt bei 39 Prozent liegt.
Was mit rund 100 Frauen in Luxemburg startete, ist inzwischen auf 540 Mitglieder angewachsen. „Wir bieten eine Bandbreite von Profilen, die aus unterschiedlichsten Bereichen der Wirtschaft kommen“, sagt Rita Knott, die die Datenbank leitet. Darunter Versicherungen, Fonds und Banken, aber auch Anwaltskanzleien, Wissenschaftseinrichtungen, staatliche Organisationen. Unternehmen, die Kandidatinnen für ihre Verwaltungsräte suchen, können kostenlos mit ihr Kontakt aufnehmen und bekommen dann Beratung und Unterstützung bei der Kandidatinnensuche. Matching heißt das Verfahren, in dem die Bedürfnisse des Unternehmens mit den Profilen der Datenbank abgeglichen werden. Das klappt in der Regel sehr gut – würde es nur mehr nachgefragt. Denn obwohl über 100 Profile verschickt wurden, Anfragen von Firmenseite gab es bisher nur 16.
Damit steht fünf Jahre nach dem offiziellen Startschuss der Datenbank fest: Das Argument, qualifizierte und gewillte Frauen seien nicht zu finden, zieht nicht (mehr). Obschon Frauen Männer bei den Bildungsabschlüsse überholt haben (rund 65 Prozent der Uni-Absolventen in Luxemburg sind weiblich) und immer mehr Frauen auf langjährige Berufserfahrung schauen können und gezielt Karriereplanung betreiben, bleiben sie auf Entscheidungsebene deutlich unterrepräsentiert. Sogar wenn die Unternehmen gratis Hilfe angeboten bekommen – irgendwie will der Funke nicht recht überspringen.
Das mag auch daran liegen, dass das Female Board Pool bisher kaum Werbung nach außen betreibt. Rita Knotts Arbeit besteht vor allem darin, hinter den Kulissen Kontakte mit Unternehmensverbänden, Berufskammern, Ministerien und anderen Entscheidungsträgern zu knüpfen. Auch die Mitglieder tragen in Multiplikator-Manier dazu bei, die Initiative weiterzutragen.
Michel Wurth, Präsident der Handelskammer und der Unternehmervereinigung UEL, hat auf Land-Nachfrage vom Frauen-Pool noch nichts gehört, begrüßt ihn aber. Robert Dennewald, über zehn Jahre Vizepräsident der Handelskammer und bis 2015 Präsident der Industriellenföderation Fédil, lobt das Netzwerk mit der Datenbank als „formidable Initiative“, die „noch Zeit braucht, um sich herumzusprechen und zum Tragen zu kommen“. Gefragt, ob er selbst – Dennewald ist Chef von Eurobeton und sitzt überdies in mehreren Aufsichtsräten – vom Angebot des Female Board Pool Gebrauch gemacht habe, verneint der Unternehmer, der auch als Mentor tätig ist: Diversität sei oft „nur ein Kriterium neben anderen“. Auch seien insbesondere Familienbetriebe bei der Besetzung freier Posten im Verwaltungsräten erfahrungsgemäß „ganz vorsichtig“. Eine Politikerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will und in der Vergangenheit wiederholt Frauen für Verwaltungsräte vorgeschlagen hat, sieht das Problem teils auf Frauenseite: Auf ein Mandat angesprochen, hätte manch Frau zögerlich reagiert und bezweifelt, sie sei ausreichend qualifiziert. „Das würde ein Mann so nie sagen“, ist die Politikerin überzeugt, „die sind meistens sicher, dass sie es können. Egal, ob das stimmt oder nicht.“
Nachvollziehbare Gründe für die Zurückhaltung der Unternehmen zu finden (die nicht nur in Luxemburg zu beobachten ist), fällt schwer. Unternehmerverbände sperren sich unter Verweis auf die Unternehmerfreiheit gegen gesetzliche Quoten und beharren auf freiwilligem Engagement. Wenn aber wirklich Qualifikation und Eignung im Fokus der Postenvergabe stehen, ist kaum zu erklären, warum der Aufstieg von Frauen so langsam vorangeht. In der Schweiz versuchen Martin Hilb und Doris Aebi, die ebenfalls zum Leitungsteam des dortigen Female Board Pool zählt und zudem eine eigene, geschlechterneutrale Rekrutierungsagentur leitet, seit Januar einen neuen Weg zu gehen: Sie legen bei Unternehmeranfragen Kandidaturen aus beiden Pools, also männliche und weibliche vor, in der Hoffnung, so den Bewerberkreis und das Blickfeld der Unternehmen zu erweitern. Der Schweizerische Arbeitgeberverband veröffentlichte 2015 eine Broschüre mit 400 Frauenporträts: alles hochkarätige Profile, darunter solche, die bereits in mehreren Verwaltungsräten ihre Frau stehen.
Doch 16 Anfragen hierzulande bleiben eine bemerkenswert niedrige Zahl, weil schon die öffentlichen Unternehmen 865 Mandate auf sich vereinen; bei 518 von ihnen kann der Staat selbst über die Besetzung bestimmen. So dass sich die Frage aufdrängt, ob der Staat, der die Pool-Initiative per Konvention unterstützt, und die Ministerien überhaupt das Angebot nutzen. Schließlich ist die Förderung von Frauen in Verwaltungsräten in Unternehmen, in denen staatliche Vertreter sitzen, erklärtes Ziel der DP-LSAP-Grüne-Regierung. Bis 2019 solle der Frauenanteil auf 40 Prozent steigen, hatte Wirtschaftsminister Etienne Schneider auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Chancengleichheitsministerin Lydia Mutsch (beide LSAP) im April 2015 versprochen.
Laut einer Zwischenbilanz im September 2016 war der Frauenanteil zwischen Januar 2015 und Juni 2016 von 21,75 auf 25,66 Prozent gestiegen. Inzwischen liegt der Anteil von Frauen in Verwaltungsräten, in denen der Staat vertreten ist, bei rund 33 Prozent, das ist, verglichen mit vor 2,5 Jahren, ein Zuwachs von fünf Prozent. „Wir werden die 40 Prozent vielleicht nicht punktgenau erreichen“, räumt Lydia Mutsch im Land-Gespräch ein. Trotzdem ist die Chancengleichheitsministerin optimistisch, dass die Regierung ihre Hausaufgaben macht. Zum einen sei der Anteil von Frauen in Führungspositionen „in jedem Regierungsrat, wo eine Stellenbesetzung ansteht, Thema“. Und zwar nicht als Punkt Divers unter ferner liefen, sondern als ordentlicher Punkt der Tagesordnung, der systematisch geprüft und dokumentiert werde: Minister, in deren Ressort Stellen in Verwaltungsräten oder andere Entscheidungsposten zu vergeben sind, sind angehalten, zu analysieren, wie es um den Frauenanteil im besagten Gremium steht und welche Schritte unternommen werden, um ihn gegebenenfalls zu verbessern. Im Januar veröffentlichten Finanz- und Wirtschaftsministerium gemeinsam eine Übersicht über alle staatlichen Beteiligungen und schlüsselten zudem die Besetzung der Verwaltungsräte auf, darunter die Spuerkees, Luxair, der nationale Forschungsfonds oder öffentliche Kultureinrichtungen wie die Rockhal. Premierminister Xavier Bettel (DP) und seinem Vize Etienne Schneider sei, das beteuern Regierungsmitglieder aller drei Parteien, die Förderung von Frauen ein echtes Anliegen.
Zudem werden die internen Prozeduren für die Stellenbesetzungen überdacht: Um im Vorfeld besser nach geeigneten Profilen suchen zu können, sollen künftig frei werdende Stellen, frühzeitig gemeldet werden. Um das Monitoring kümmert sich das Wirtschaftsministerium. Außerdem sind Ministerien angehalten, systematisch Gemeinden, Arbeitnehmervertreter, Berufskammern, Aktionäre anzuschreiben, wenn es um Postenbesetzungen geht. Dazu wurde ein Standardbrief entwickelt, in dem die Regierung ihren Willen bekräftigt, sich für mehr Frauen in Führungspositionen einzusetzen und ihre Partner bittet, doch mitzumachen.
Dass es dennoch oft hakt, dafür gibt es gewichtige strukturelle Gründe: Verantwortlich für die staatlichen Vertreter/innen (und ihre Performance), die er oder sie in die Gremien sendet, ist der/die jeweils zuständige Minister/in. Da es in Verwaltungsräten neben der Aufsicht um strategische Entscheidungen geht, ist Loyalität zentral. Dazu braucht es gewchsenes Vertrauen, weshalb unabhängige Kandidatinnen, wie sie vom Female Board Pool vermittelt werden können, tendenziell eher schlechtere Karten haben. Zudem gelten lukrative oder prestigiöse Posten als Anerkennung für Geleistetes. In vielen Verwaltungen sitzen Männer an der Spitze, was die oft beobachtete Häufung von Verwaltungsratsposten zumindest teilweise erklärt. Vor dem sogenannten „Ämter-Kumul“ sind auch nachrückende Frauen nicht gefeit: Solange nicht im gleichen Maße kompetente Frauen nachkommen, ist die Auswahl begrenzt. Da unterscheiden sich staatlich geführte Einrichtungen nicht von Privatunternehmen.
Doch selbst dort, bei den schwerer zu erreichenden Privatunternehmen, sieht Lydia Mutsch langsam einen Mentalitätswechsel: Auch wenn die blau-rot-grüne Regierung keine Quoten auf den Weg gebracht hat (die DP war dagegen), die Diskussion um Frauen in Führungspositionen sei nicht zu stoppen, so Mutsch. Allmählich spreche sich herum, dass Unternehmen, die sich für Diversität einsetzen, dabei gewinnen. Die bessere Performanz von Firmen mit mehr Diversität und familienfreundlichen Arbeitszeiten war zentrales Argument der ehemaligen EU-Kommissarin Viviane Reding gewesen, um laut über eine verpflichtende Quote von 40 Prozent für börsennotierte Unternehmen nachzudenken. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker scheint das aber weniger ein Anliegen zu sein, oder, wie Mutsch es ausdrückt: Sie könnte sich „mehr vorstellen“. Die Chancengleichheitsministerin sucht derzeit gemeinsam mit Wirtschafts-Staatssekretärin Francine Closener, und Professor Martin Hilb von der Uni Sankt Gallen, nach Möglichkeiten, diesen Zusammenhang mit konkreten Beispielen zu belegen. Unter Closener wurde zudem die Netzwerk-Plattform Équilibre ins Leben gerufen, die Klein- und Mittelunternehmen für die Thematik familienfreundlichere Arbeitszeiten und Frauenförderung gewinnen will. „Die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, ihre Fähigkeit, hochqualifiziertes Personal zu gewinnen und zu halten, hängt auch davon ab, wie sie die Arbeitszeiten gestalten und wie gut sie die Bedürfnissen ihrer Mitarbeiter kennen und berücksichtigen“, so die Staatssekretärin.
Wenn es aber mit dem Zuckerstück nicht gelingt, bleibt am Ende nur die Peitsche. Obschon in Luxemburg nicht viele Unternehmen von einer gesetzlichen Quote, wie Reding sie sich vorgestellt hatte, betroffen wären, weil nur wenige börsennotiert sind: In der Regierung ist die verpflichtende Frauenquote für Privatunternehmen inzwischen kein prinzipielles Tabu mehr, auch nicht beim blauen Koalitionär. „Wir können keine 100 Jahre warten. Als Übergangsinstrument hat die Quote ihre Berechtigung“, sagt Lydia Mutsch, die sich selbst noch keine abschließende Meinung dazu gebildet haben will. Rita Knott, früher dezidiert gegen eine Quote, sieht das Thema heute ebenfalls differenzierter und zitiert Viviane Reding: „Ich mag die Quote nicht, aber ich mag die Wirkung, die die Quote erzielt.“
Noch ist die Schonfrist für die Privatwirtschaft nicht abgelaufen, um selbst doch noch den Beweis zu erbringen, dass die gläserne Decke der Vergangenheit angehört und es keine Quoten braucht. An einer kleinen Stellschraube hat die Regierung dennoch gedreht, um den Druck auf die Unternehmen zu erhöhen: Nach dem Lohngleichheitsgesetz, dessen Entwurf seit Oktober im Parlament liegt, wären Firmen, die von staatlichen Subventionen im Rahmen der sogenannten actions positives profitieren wollen, künftig verpflichtet, Rechenschaft auch über die Repräsentanz von Frauen in ihren Chefetagen abzulegen. Die Teilnahme ist allerdings freiwillig.