Das Prinzip der Lohngleichheit für Frauen und Männer stehe im Regierungsprogramm und ein im Dezember vergangenen Jahres verabschiedetes Gesetz erhöhe „die Visibilität der Problematik“, meinte Chancengleichheitsministerin Lydie Mutsch (LSAP) am Mittwoch. Arbeitsminister Nicolas Schmit (LSAP) nannte die nach Geschlecht unterschiedliche Bezahlung für die gleiche Arbeit „eine der fundamentalen Ungleichheiten“, das „Bewusstsein dafür“ soll nun bei Unternehmern und Beschäftigten durch ein neues Faltblatt L’égalité salariale : une des priorités du gouvernement „gestärkt werden“. Denn viele Betriebe, so Lydia Mutsch, seien sich der Lohnunterschiede gar nicht bewusst und deshalb dankbar dafür, wenn sie darauf aufmerksam gemacht würden.
Beide Minister stellten das neue Faltblatt vor, das aufzählt, was die Regierung zugunsten der Lohngleichheit für Frauen und Männer unternimmt: das in der Schweiz gekaufte Computer-Programm Logib-Lux, mit dem die Lohnhierarchie nach Geschlecht aufgedröselt wird, positive Aktionen mit Hilfe von Unternehmensberatern und Zuschüssen, die ebenfalls in der Schweiz gekaufte Bewertung Abakaba und Fortbildungsangebote für Firmenleiter und Ausschussleute.
Nun steht das Chancengleichheitsministerium seit seiner Gründung im Ruf, nicht nur mit jedem Regierungswechsel seinen Namen abzuschwächen, sondern sich auch auf bunte Broschüren und harmlose Sensibilisierungskampagnen zu beschränken. Doch am 24. November vergangenen Jahres verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das ein neues Kapitel in das Arbeitsgesetzbuch schreibt, um die Unternehmer zu verpflichten, Männern und Frauen für eine gleiche oder gleichwertige Arbeit den gleichen Lohn zu zahlen. Anderslautende Abmachungen werden nichtig und die niedrigeren Löhne müssen an die höheren angepasst werden. Unternehmern, die gegen das Gesetz verstoßen, drohen Geldbußen zwischen 251 und 25 000 Euro, im Wiederholungsfall das Doppelte. Die Höhe dieser Geldbuße entspricht derjenigen von Geldbußen bei Verstößen gegen die Mindestlohn- oder Indexbestimmungen.
Das neue Gesetz entspricht einer Abmachung aus dem Regierungsprogramm von 2013, laut dem die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen durch Gesetz abgeschafft werden sollen. Die Ironie der Geschichte will es, dass der erste Artikel des neuen Gesetzes dem ersten Artikel eines großherzoglichen Reglements vom 20. Juli 1974 entspricht. Aber das Reglement wurde offenbar seit über 40 Jahren nicht so richtig eingehalten. Denn laut Berechnungen des Statec verdienen Frauen heute noch immer über acht Prozent weniger als Männer auf vergleichbaren Posten. Da auch die widersprüchliche Rechtsprechung keine große Hilfe war, wurde ein Gesetz nötig, um Artikel 199 des EU-Vertrags Genüge zu tun, der Mitgliedstaaten verpflichtet, die Lohngleichheit zu gewährleisten.
In ihrem positiven Gutachten zum Gesetz hatte die Salariatskammer darauf hingewiesen, dass die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen schon zu Problemen führe, wenn es heiße, ihren Lohn entsprechend der Lohnskala eines Kollektivvertrags festzulegen. Die Ungleichheit werde vor allem bei Teilzeitarbeitenden festgestellt, die mehrheitlich Frauen seien. Auf jeden Fall sei es nötig, dass die Arbeits- und Grubenaufsicht regelmäßig Kontrollen vornehme. Skeptischer war der Conseil national des femmes luxembourgeoises, der meinte, dass es nicht genüge, das Gleichheitsprinzip ins Gesetz zu schreiben, jeder Kollektivvertrag müsse auch ein Programm zum Kampf gegen die Ungleichheiten vorsehen.
Nach Berechnungen des Statec lag der durchschnittliche Brutto-Stundenlohn von Männern im Jahr 2014 um 8,6 Prozent über demjenigen der Frauen. Da er 2009 bei 9,2 Prozent lag, nennt das Statec in Regards sur la vie des femmes au Luxembourg den Unterschied relativ konstant. Der europäische Durchschnitt habe laut Eurostat im Jahr 2013 bei 16 Prozent gelegen – zwischen drei Prozent in Slowenien und 30 Prozent in Estland.
Allerdings scheint niemand in der Lage, erklären zu können, weshalb Frauen weniger verdienen als Männer. In seinem Gutachten zum neuen Gesetz hatte der parlamentarische Gesundheits-, Chancengleichheits- und Sportausschuss den Lohnunterschied darauf zurückgeführt, dass Arbeitsplätze, die mehrheitlich von Frauen besetzt sind, unterbewertet würden, Kassiererinnen in einem Supermarkt oft weniger als die Männer verdienten, die Regale einräumen. Die Lohnunterschiede würden durch die Segregation von Männer- und Frauenberufen verstärkt, viele Frauen arbeiteten in schlechter bezahlten Pflege- und Reinigungsberufen. Auch die Stundenlöhne von Teilzeitbeschäftigten seien oft niedriger als diejenigen von Vollzeitbeschäftigten, wobei vor allem Frauen teilzeitarbeiteten, etwa aus familiären Rücksichten. Die Erklärungsversuche von Arbeitsminister Nicolas Schmit diese Woche blieben ebenfalls eher tautologisch nach dem Prinzip, dass Frauen weniger verdienten, weil sie in Niedriglohnsektoren arbeiteten.
Aber vielleicht schwebt der Arbeitsmarkt nicht in einem dynamischen, stochastischen allgemeinen Gleichgewicht, sondern ist ein gesellschaftliches Gewaltverhältnis. Und vielleicht irrt auch der parlamentarische Ausschuss, der es für überflüssig hielt, dass sich das Gesetz auf den Öffentlichen Dienst erstrecke, weil der Staat geschlechtsneutral sei. Denn der Erlass von 1945 über die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns schrieb vor, dass „der Mindestlohn von Arbeitern weiblichen Geschlechts auf 80 bis 90 Prozent desjenigen für Männer festgelegt“ wurde. Erst nachdem 1958 die Römischen Verträge in Kraft getreten waren und die Europäische Gemeinschaft Luxemburg zur „Gleichstellung von Männern und Frauen“ zwang, wurde durch einen Erlass vom 22. April 1963 die diskriminatorische Bestimmung abgeschafft. Und es war die DP/LSAP/Grünen-Regierung von Frau Mutsch und Herrn Schmit, die kurz nach ihrem Antritt den Unternehmern der Reinigungsfirmen versprach, durch eine Gesetzesänderung den Putzfrauen das durch ihre Berufserfahrung entstehende Anrecht auf den qualifizierten Mindestlohn zu verweigern.
Aber das ist immer weniger ein Thema für einen Feminismus, der sich eher daran stößt, dass nur drei Prozent der Verwaltungsratsvorsitzenden großer Unternehmen in der Europäischen Union weiblich seien, wie der parlamentarische Gesundheits-, Chancengleichheits- und Sportausschuss in seinem Gutachten vorrechnete. Diese Bewegung für Gleichstellung hat den Wettkampf auf dem Arbeitsmarkt so verinnerlicht und trägt ihn so identitär mit der Forderung nach Lohngleichheit zwischen Frauen und Männern aus, dass sie übersieht, wie die Lohnunterschiede zwischen den Frauen selbst immer größer werden. In ihrer Ceps-Studie Écart salarial à l’embauche selon le genre : une analyse par métier rechnete Kristell Leduc 2013 vor, dass die Stundenlöhne der Frauen bei der Einstellung je nach Beruf zwischen 7,4 Prozent höher und 8,5 Prozent niedriger waren als diejenigen der Männer, sie interessierte sich aber nicht dafür, dass die Lohnunterschiede zwischen unqualifierten Arbeiterinnen und ihren Direktorinnen mehrere hundert oder tausend Prozent ausmachen, von Frauen mit ergiebigeren Erwerbsarten als Lohnarbeit gar nicht zu reden.
In seinem Buch Die Abstiegsgesellschaft. Über das Aufbegehren in der regressiven Moderne bringt dies der Sozialforscher Oliver Nachtwey auf den Punkt: „Im Zuge der regressiven Modernisierung kommt es zu einer Umwertung des Gerechtigkeits- und Gleichheitsdiskurses. Es geht nun vor allem um das Modell einer radikalisierten Chancengleichheit. Gerechtigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang dann nicht so sehr den Ausgleich vertikaler Ungleichheiten als vielmehr in erster Linie die Verringerung horizontaler Diskriminierungen entlang kultureller Merkmale (vgl. Fraser/ Honneth 2003). Die Schlüsselbegriffe dieses Gerechtigkeitsdiskurses sind nicht mehr soziale Ungleichheit und Ausbeutung, sondern Gleichberechtigung und Identität. Chancengleichheit zielt etwa auf den formell gleichberechtigten Zugang von Frauen zu Positionen, die bisher nur Männern vorbehalten waren. Die vertikalen Unterschiede zwischen den beruflichen Positionen — zwischen der Managerin eines Dax-Konzerns und der Niedriglohnbezieherin im Reinigungsgewerbe — spielen in diesem Diskurs jedoch kaum eine Rolle. Das Problem bei dieser Verschiebung ist selbstverständlich nicht, dass man sich für eine Verbesserung der Position von Frauen auf dem Arbeitsmarkt einsetzt. Das Problem ist, dass Gerechtigkeitspolitik auf diese Frage verengt wird, denn radikale Chancengleichheit reduziert Gerechtigkeit auf die horizontale Logik der Inklusion und Gleichbehandlung. Die vertikale Logik der Umverteilung wird zunehmend ausgeblendet.“
Bemerkenswerterweise hatte sich einzig die Handelskammer in ihrem Gutachten über die Lohngleichheit mit den vertikalen Ungleichheiten beschäftigt. Sie hatte gefunden, dass das Gesetz sich zu Unrecht auf die Eigenschaften der Arbeitsplätze konzentriere und sich so nicht um die Eigenschaften der Lohnabhängigen schere, wie deren Ausbildung und Leistungsfähigkeit, obwohl diese sogar Lohnunterschiede auf ein und demselben Arbeitsplatz rechtfertigen könnten. Nach Meinung der Handelskammer ist jeder noch so gut gemeinte Versuch, mit gesetzlichen Kriterien eine gleichwertige Arbeit zu definieren und damit zu entlohnen, nicht nur „delikat“, sondern auch „unangebracht“.