In Clervaux geht die diesjährige Bilderstaffel der Freiluft-Ausstellung zu Ende. Die Cité de l’image lud zu einem zweiteiligen „Meet the Artists“ ein. Neben der zweisprachigen Tour, geleitet von Bärbel Praun und Elisabeth Beckers, fand abends im hauptstädtischen Cercle Cité ein Rundtischgespräch mit den beteiligten Fotografen statt. Titel der auslaufenden Ausstellung ist Portraits Hors Cadre. Die sehr offene Interpretation des Begriffs „Porträt“ lässt neben Vorder- und Rückansichten von Personen auch Landschafts- und Architekturaufnahmen Platz. Im Pressetext wird erläutert, die Ausstellung wolle das Spektrum vom Porträt „eines Individuums, einer Gemeinschaft, einer Gesellschaft, eines Landes“ abdecken.
Im Garten des Bra’haus etwa stößt man auf Aufnahmen von Menschen in bizarren Verkleidungen aus Stroh und gemusterten Textilien. Bei der Serie Yokainoshima – Island of Monsters des französischen Fotografen Charles Freger, der als einer der progressiveren zeitgenössischen Porträtfotografen gilt, handelt es sich um Studien übernatürlicher Kreaturen aus der japanischen Mythologie. Freger, leider nicht anwesend, gibt zwar vor, kein Anthropologe zu sein, und doch porträtiert er in dieser choreografisch abwechslungsreichen aber visuell überaus konsistenten Typologie von Kostümen den ländlichen Volksglauben in ausdrucksstarken Bildern.
Nebenan im Schlassgaart befasst sich der britische Fotograf David Spero in seiner Serie Settlements, einer Dokumentation selbstversorgender Aussteiger-Communities auf dem Land, mit einer soziologischen Thematik. Mit den selbstgebauten Behausungen und Strukturen zeigt er die Errungenschaften dieser Gemeinschaften und deren enge Beziehung zur Natur, während familiär anmutende Gruppenfotos von der Empathie des Fotografen zeugen. In den Arkaden entlang der Grand-Rue sind vermeintliche Anti-Porträts der New Yorker Fotografin Susan Barnett aufgehängt, die formatfüllend Rücken und Hinterkopf der Personen zeigen. Auch diese Typologie stellt sich auf den zweiten Blick als erstaunlich aussagekräftig heraus, lassen sich doch anhand von Aufschrift beziehungsweise Motivwahl der Oberteile, anhand von Frisur und Statur Rückschlüsse auf die Träger ziehen.
Klar ins Genre der Porträtfotografie fällt Denis Dailleux’ Serie Tante Juliette, für die der Franzose seine Großtante in ihrem Zuhause, beispielsweise bei der Gartenarbeit, aber auch in gestellten Posen fotografiert hat. Die Vorstellung, ältere Leute ergäben im Zweifelsfall die interessanteren Porträtmotive, wird mit den charismatischen Blicken und den eleganten bis raunig-lässigen Haltungen der Dame im besten Sinne bestätigt. Die Bilder geraten dabei zum Dialog, in dem Tante Juliette forsch in Dailleux’ Kamera blickt.
Maximal entfernt vom klassischen Porträt sind Peter Bialobrzeskis Bilder aus den Reihen Heimat und Die zweite Heimat. Die pittoresken aber reduzierten Landschaftsbilder sind deutliche Referenzen an Bruegels Winterlandschaften sowie an die Landschaftsgemälde der Romantik. Rurale und (sub-)urbane Landschaften, kombiniert mit Porträts liefert die deutsche Fotografin Isabelle Graeff mit Exit, eine Serie, die sie fotografierte, als sie nach dem Tod eines nahen Verwandten an ihren Studienort London zurückkehrte, diesmal mit dem Vorsatz, auch etwas vom Umland zu sehen. Das Resultat ist ein subtiler und subjektiver Blick auf die Stimmung im Land unmittelbar vor dem Brexit.
So spannend der Rahmen der Freiluftausstellung in Clervaux ist, liefern die wenigen Bilder jedoch nur eine Art „Teaser“, einen Ausblick auf das jeweilige Gesamtprojekt, das meist weitaus umfassender ausfällt. So erklärt Denis Dailleux bei der Table Ronde, dass er seine Großtante über sechzehn Jahre fotografierte und sich entsprechend viele Bilder ergeben hätten, die – sehr zur Freude seiner Tante – auch in ihrem Dorf ausgestellt werden.
Von David Spero konnte man erfahren, dass auch diese Serie ursprünglich als Typologie selbstgebauter Unterkünfte startete. Spero verbrachte viel Zeit in den Communities, die er im Gegenzug für Arbeitseinsätze wie Hochzeitsfotos dokumentieren durfte. Spero erklärte, die Siedlungen stünden auf Agrarland, weshalb sie laut Gesetz gewisse Erträge liefern müssten, was der Ideologie einer selbstversorgenden Gemeinschaft jedoch gegenläufig ist. Von den insgesamt 156 Bildern nur fünf für Clervaux auszuwählen, fühle sich jedoch nicht wie eine passende Repräsentation an.
Dass es sich auch bei Susan Barnetts Bilder ganz wesentlich um eine soziologische Studie handelt, tritt in der Diskussion hervor. Barnett spricht von „Stammesmitgliedern“, etwa Metal-Fans oder Republikanern, die anhand der Aufschriften ihre Zugehörigkeit kommunizieren. Sie habe festgestellt, dass die Aufdrucke von der Wahl Barack Obamas bis heute zunehmend aggressiver wurden und der Ausdruck allgemeiner Hoffnung ab 2012 von drastischen Äußerungen der Frustration abgelöst wurde („I don’t give a fuck!“).
Ein subtileres Stimmungsbild ergibt sich bei Isabelle Graeff, die erklärt, wie der Brexit 2015 in ihrer Social Bubble aus Künstlern und Akademikern für niemanden denkbar gewesen sei. Die eigene Identitätskrise nach einem großen Verlust habe sich während der Arbeit in der Identitätskrise Großbritanniens gespiegelt. Diese Kombination aus Persönlichem und Politischem erkläre die Melancholie, die sie auf dem britischen Land fand.
Auf das Genre Porträt angesprochen, weist Peter Bialobrzeski diese Definition zunächst weit von seinen Bildern. Er habe nie zum Ziel gehabt, ein Porträt seines Heimatlands zu fotografieren. Stattdessen sei es ihm darum gegangen, zu untersuchen, was seine Identität geprägt habe. Der Titel Heimat, ein Begriff, den man laut Bialobrzeski nicht den Rechten überlassen sollte, sei erst am Ende des Projekts gefunden worden. Die Serie sei ein Experiment gewesen, einerseits Subjektivität mit der äußeren Welt zu verbinden, andererseits Schönheit, die in der Kunstfotografie negiert werde, festzuhalten ohne dabei Postkartenmotive zu erzeugen. Nach ungefähr dreistündigem Aufbau und Einrichtung seiner Großformatkamera, quasi dem Bühnenaufbau, kamen die Leute, etwa die Schlittenfahrer seiner Winterlandschaft, wie Schauspieler ins Bild.
Der Einblick am Abend verdeutlicht: Die Gemeinsamkeiten zwischen diesen gelungenen, aber sehr unterschiedlichen Projekte sind weitaus größer als man aufgrund des ersten Eindrucks annimmt.