Luxemburger Modell

Ende gut

d'Lëtzebuerger Land du 04.11.2010

Das Luxemburger Modell ist nicht tot, wie die parlamentarische Opposition vorwurfsvoll geklagt hatte. Jenes Modell, das dank hoher Produktivität und etlicher Souveränitätsvorteile so lange gut funktionierte, als genug Geld da war, um hohe Löhne und einen maximalen Sozialstaat bei einer niedrigen Umverteilung und einer minimalen Belastung der Unternehmen zu finanzieren. Die Tripartite war im Frühjahr gar nicht gescheitert, wie zu lesen war, sondern nur vom Premierminister vertagt worden. Anders als vorübergehend befürchtet, verfügte die Regierung noch immer über genug Geld, um den sozialen Frieden und damit das Überleben der Koalition zumindest bis Ende nächsten Jahres oder bis nach den Gemeindewahlen zu kaufen. Die vom Sommerurlaub unterbrochenen Tripartite-Verhandlungen wurden nun mit zwei Separatfrieden doch noch erfolgreich beendet.

Nachdem die Regierung Ende September zum Preis von brutto 135 Millionen Euro – Kilometerpauschale und Krisensteuer für 2012 – das Einverständnis der Gewerkschaften zu einer Indexmanipulation gekauft hatte, gelang es ihr am Wochenende, für den vergleichbaren Betrag von brutto 117 Millionen – Mindestlohn und Indextranche – auch das Einverständnis der Unternehmer zu kaufen. Wie viel das am Ende netto kosten wird, hängt davon ab, ob sie ihren ungedeckten Scheck über den Konjunkturaufschwung und die nächste Indextranche einlösen muss. Jedenfalls erhärtet sich bei dem durchschnittlichen Einkommenssteuerzahler der Eindruck, dass Sparen gar nicht die oberste Priorität war, wenn die Regierung wieder auf die Hälfte des Betrags verzichten kann, den Finanzminister Luc Frieden im April mit seinem Spar- und Steuerpaket einnehmen wollte. Zum ersten Mal hatte besagter Steuerzahler übrigens den Eindruck gewonnen, als die Regierung die Abschaffung des Kindergelds für einheimische Studenten durch Studienbeihilfen überkompensierte. Der letzte Zweifel dürfte verfliegen, wenn das Parlament über den Entwurf des Staatshaushalts für 2011 mit einer Ausgabensteigerung um 5,3 Prozent abstimmt.

Die missverständlichen Deutungen entstanden, wie schon 2006, dadurch, dass die Zielsetzung der Tripartite undeutlich war. Während die Regierung behauptete, dass sie „die Konsolidierung der Gesamtstaatsfinanzen“ anstrebe, wie es in der Erklärung zur Lage der Nation hieß, hatten die Unternehmerverbände von Anfang an betont, dass es um die Wettbewerbsfähigkeit des Produktionsstandorts, das heißt die reale, wenn nicht gar nominale Senkung der Produktionskosten gehen müsse. Als Richtschnur sollte die Entwicklung der nominalen Lohnstückkosten seit dem Jahr 2000 beim Haupthandelspartner Deutschland dienen.

Dem ist die Tripartite tatsächlich nun ein Stück näher gekommen, wenn auch etwas langsamer und etwas kostspieliger als in anderen Ländern, so wie es nun eben zum Luxemburger Modell gehört. Die Gewerkschaften willigten mit der vom Statec empfohlenen Fristenlösung in eine vorerst konjunkturelle Indexmanipulation ein. Und mit der Kompensation der Mindestlohnerhöhung und Indextranche aus der Staatskasse dehnt die Regierung die bisher weitgehend auf die Sozialversicherung und Familienzulagen beschränkte hohe Fiskalisierung des Sozialstaats auch auf die Bezahlung der Arbeitskraft aus. Die Idee kam vielleicht mit dem Vorschlag der Unternehmer, den Patronatsbeitrag zu den Gehältern zu schlagen und sich dann aus der Krankenversicherung zu verabschieden. Für die Unternehmerverbände entsteht nun nach eigenen Angaben durch das Einfrieren der Lohnkosten eine Verschnaufpause bis Ende nächsten Jahres, die genutzt werden soll, um den konjunkturellen Ansätzen strukturellen Charakter zu geben.

Romain Hilgert
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