Der Werteunterricht soll 2016 kommen. Wie objektiv er sein wird und wie groß der Einfluss der Religionen auf den Lehrplan, ist noch offen

Neu ist nicht neutral

d'Lëtzebuerger Land vom 23.01.2015

„Alles, was in der Konvention mit der Kirche festgehalten wird, entspricht in punkto Werteunterricht eins zu eins dem, was wir in unserem Regierungsprogramm festgehalten haben“, betonte Erziehungsminister Claude Meisch (DP) am Dienstag auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz im Staatsministerium. Wenn am Montag die neue Vereinbarung zwischen Staat und Kirche unterschrieben wird, wird zum Schuljahr 2016/2017 ein allgemeiner Werteunterricht für alle eingeführt. Die Regierung werde dazu „in den nächsten Wochen“ ein Lastenheft vorstellen, das die Leitlinien des neuen Fachs festlege, erklärte Meisch. Ziel des Werte-Fachs sei es, über religiöse und alternative Lebensanschauungen zu informieren, altersgerecht Lebensfragen von Kinder zu thematisieren und sie darin zu unterstützen, eigene Werte zu formulieren. Im blau-rot-grünen Regierungsprogramm ist von einem Werteunterricht die Rede, der „objektiv über die großen religiösen Strömungen und Philosophien“ aufklären und Schüler in den Werten „erziehen soll, die unser Zusammenleben ausmachen“. Präziser wird das Programm nicht.

Reichlich Spielraum demnach für die blau-rot-grüne Regierung, etwas zu verhandeln, das viele als eines der Kernprobleme einer Trennung von Staat und Kirche ansehen: Werden Religionsgemeinschaften beim Erstellen des Werteunterrichts mitreden, welches Gewicht bekommen die Religionen im Stundenplan?

Meisch ging auf diese kruzialen Punkte in seinen Ausführungen nur am Rande ein. Fest steht: Wer von einer laizistischen öffentlichen Schule geträumt hat, sollte aufwachen: Sie wird nicht kommen. Zwar gibt die Regierung Leitlinien für den Lehrplan per Lastenheft vor. Aber bei den vorbereitenden Beratungen im vergangenen Sommer mit Vertretern der Religions- und der Philosophielehrer, als das Schulministerium versuchte, die Kompromissbereitschaft beider Seiten auszuloten, stellte sich schnell heraus: Die Meinungen gehen weit auseinander. Während die Religionslehrer nach vielem Hin und Her ein Unterrichtsmodell aus dem Quebec befürworteten, lehnten die Philosophielehrer dies als zu religionslastig ab (d’Land vom 7.1.2014). Auf Nachfrage des Land, welches Modell nun zurückbehalten wurde, antwortete Claude Meisch am Rande der Pressekonferenz: Man werde „in Richtung praktische Philosophie“, ein ethisch-pädagogischer Ansatz, der bereits an Schulen umgesetzt wird, gehen, um im nächsten Atemzug hinzufügen: „mit richtiger Gewichtung im Hinblick auf eine Religion, die unsere Land wie keine andere geprägt hat“.

Es sind schwammige Sätze wie diese, die Grund für Zweifel geben. Eine Aussage, die viel Raum für Interpretationen lässt. Bisher weiß niemand, was in dem Lehrplan konkret stehen wird. Eine erste – unveröffentlichte – Version des Lastenhefts hat das Ministerium an die Experten Joachim Kalcher und Daniel Bogner geschickt, Ersterer ein Philosophielehrer, der Weiterbildungskurse in „praktischer Philosophie“ in Luxemburg gibt, sowie Daniel Bogner, Professor für Theologie und Ethik an der Universität Freiburg. Sie sollen Anfang Februar mit dem Ministerium die Vorschläge diskutieren, bevor das Lastenheft an eine Arbeitsgruppe gegeben wird. Ein neutraler Moderator soll helfen, im Konfliktfall zu vermitteln. Noch ist nicht entschieden, wer die heikle Mission übernehmen wird, deshalb wollte Meisch am Dienstag keinen Namen verraten. Sicher ist: Er/sie ist Luxemburger/in.

Der bildungspolitische Sprecher der Grünen, Claude Adam, sagte bei der Parlamentsdebatte am Mittwoch, der allgemeine Werteunterricht sei „ein Fach wie die anderen Fächer auch“. Doch Politiker mögen das noch so oft behaupten, wahrer wird die Behauptung dadurch nicht. Allein das jahrzehntelange politische Ringen um das Fach macht es so einzigartig.

In der Arbeitsgruppe Werteunterricht, die den Lehrplan erstellen soll, werden Vertreter sowohl von Religionslehrern als auch von Philosophielehrern sitzen. Weil es für eine neue Programmkommission ein Gesetz braucht, wird die Arbeitsgruppe übergangsweise das Programm und die Didaktik entwickeln. Später soll diese Aufgabe von der Programmkommission übernommen werden. Das Fach würde formal dann ähnlich funktionieren wie andere Fächer – mit dem entscheidenden Unterschied, dass religiöse und nicht-religiöse Gruppen ein Mitspracherecht bekommen: Sie sollen den Lehrplan begutachten können und ihre Überlegungen sollen in den Lehrplan einfließen. Das letzte Wort habe das Erziehungsministerium, betonte Meisch.

Das Tauziehen um den Einfluss von Religionen im Allgemeinen und der katholischen Kirche im Besonderen auf die öffentliche Schule ist also noch lange nicht beendet. Auch wenn alle Redner im Parlament am Mittwoch einhellig meinten, mit dem neuen Vertrag zwischen Staat und Religionsgemeinschaften habe ein neues Kapitel, das des neutralen Staates, begonnen. Zur Neutralität ist die Schule heute schon verpflichtet, so steht es im Grundschulgesetz. Das hat aber nicht verhindert, dass katholische Religionslehrer in Luxemburgs Schulen ein- und ausgingen.

Und viele von ihnen werden das vermutlich weiterhin tun. Der Klassenlehrer entscheidet, ob er das Werte-Fach selbst unterrichten will. Andernfalls übernimmt dies ein Kollege oder ein Ersatzlehrer. Da die Regierung ein breites Umschulungsangebot für ehemalige Religionslehrer vorgesehen hat, kann es durchaus sein, dass später dieselben Leute über Buddha, Jesus oder Kant informieren werden wie heute, nur dass sie über den Reservepool in die Schule kommen und eine Umschulung besucht haben.

Dass die 220 Religions-Lehrkräfte in den Grundschulen nicht entlassen werden, hatte die Regierung stets betont und steht so im Regierungsprogramm, schon um keine Unruhe zu provozieren und die Verhandlungen mit dem Bistum nicht zu gefährden. Das wiederum verzichtet im Gegenzug auf seine Forderung eines Religionenkurses in der öffentlichen Schule. Rund 13 Millionen Euro bezahlt der Staat allein für die Gehälter der Religionslehrer in der Grundschule; die Ausgaben werden sich vermutlich kaum ändern, da die Regierung der Kirche versprochen hat, dass niemand nach der Übernahme Abstriche beim Gehalt hinnehmen müsse. Allerdings müssen die Lehrkräfte, um vom Staat übernommen zu werden, eine Zusatzausbildung durchlaufen, die von der Universität Luxemburg angeboten werden soll. Diejenigen, die keine Première haben, sollen über das VAE-Verfahren (Validation des acquis de l’expérience) Berufserfahrung angerechnet bekommen. Details stehen noch nicht fest. Meisch beteuerte, man werde sich „eins zu eins an bestehende Regeln“ halten. Sonderbedingungen für Ex-Religionslehrer soll es keine geben. Drei Jahre bekommen die Betreffenden Zeit, um sich umzuschulen und so die Bedingungen zu erfüllen, um das neue Fach unterrichten zu können.

Doch trotz Bestandsgarantie bleiben viele unzufrieden. „Ich unterrichte seit über 20 Jahren Religion. Warum sollte ich eine Weiterbildung besuchen?“, fragt ein Lehrer, der an einem Lycée technique im Süden arbeitet. Eine Grundschullehrerin aus der Hauptstadt betont: „Alle meine Kollegen haben eine dreijährige Ausbildung in Theologie oder haben Weiterbildungen besucht. Der Religionskurs heute ist viel ganzheitlicher und offener. Wir informieren auch über andere Religionen. Wir missionieren keine Kinder.“ Eltern, die auf einen katholischen Unterricht für ihr Kind nicht verzichten wollen, können es außerhalb der regulären Schulzeiten tun – die Kosten dafür übernimmt ebenfalls der Staat. Für 40 Gehälter von Katechet/inn/en, die außerhalb der Schule unterrichten, wird der Staat aufkommen . Allerdings soll das Angebot mit dem Renteneintritt der Personen auslaufen.

Kritik am Werte-Fach gibt es aber auch von Lehrern, die der religiösen Mission unverdächtig sind: Diejenigen, die heute bereits praktische Philosophie unterrichten, werden aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls zur Weiterbildung müssen, bevor sie das neue Fach unterrichten dürfen: „Wir schaffen zwei Fächer ab und entwickeln ein neues. Deshalb ist es logisch, wenn alle die Fortbildung durchlaufen“, so ein Ministeriums-Mitarbeiter. Zielsetzung der Fortbildung sei es, die Lehrer auf „Sensibilitäten“ vorzubereiten, die sie wegen ihrer „neutralen“ Rolle haben.

Ob das helfen wird, das tiefe Misstrauen abzubauen, das nicht nur atheistische und agnostische Gruppen wie Aha, Liberté de conscience oder die Lehrergewerkschaft SEW äußern, ist unwahrscheinlich. Zumal die Regierung diese Gruppen bisher zur Vereinbarung nicht angehört hat. Laizistische Eltern fürchten, unterm Deckmantel eines von Religionslehrern mitverfassten Wertefachs könnte die Kirche weiterhin Einfluss nehmen. „Neutral bedeutet, Religionsgemeinschaften aus der Lehrplan-Gestaltung und dem Unterricht herauszuhalten“, so eine Mutter verärgert. Auch die Vertreter der Pro-Religions-Initiative Fir de choix sind enttäuscht: Die Stimmen von 25 000 Unterzeichnern würden ignoriert, ein in einer partizipativen Demokratie „inakzeptabler Vorgang“, hieß es in einem Presseschreiben. Der Graben zwischen Befürwortern eines Religionsunterrichts und jenen, die eine strikte Trennung von Schule und Religion wollen, wird sich so schnell nicht schließen.

Ines Kurschat
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