Am Anfang stand ein Missverständnis. Boykott oder Protestaktion, darüber herrschte am Montag Verwirrung. In einem Schreiben hatte die Gewerkschaft Feduse, im Namen der Intersyndicale mit Apess und SEW, Lehrer der Examenskommissionen der Oberstufe des Sekundarunterrichts aufgefordert, bestimmte Verhaltensregeln hinsichtlich der an dem Tag stattfindenden Examensvorbereitungstreffen zu befolgen. Die Lehrer sollten einige Minuten schweigend vor der Tür auf den Regierungsvertreter warten und eine Mitteilung vorlesen, bevor man mit der Sitzung beginnen würde. Mit „Entschlossenheit“ werde man die Arbeitsbedingungen verteidigen, hieß es in dem Schreiben.
Doch einige verstanden den Aufruf falsch und blieben der Veranstaltung fern. Andere kamen, ohne zu protestieren. Solch ein Chaos herrschte, dass sich Apess-Gewerkschafter Daniel Reding gezwungen sah, gegenüber RTL klarzustellen, es sei „eine Protestaktion gewesen, nicht mehr und nicht weniger“. Man habe „den Druck auf den Minister hochhalten“ wollen. Mit einem Boykott der Examensvorbereitungen habe das nichts zu tun. Auch die Schüler seien vom Protest nicht betroffen.
Dass die Nachricht nicht bei allen ankam, liegt daran, dass Lehrerkomitees und Gewerkschaften offenbar widersprüchliche Botschaften übermittelten. Inzwischen überschauen selbst solidarische Lehrer die Drehungen und Wendungen im Streit um die Sparmaßnahmen bei den Abschlussklassen nicht mehr ganz. Eigentlich sollten die Rücktrittsgesuche der 1 400 Lehrer aus den Examenskommissionen ein symbolischer Protest sein, mit dem Gewerkschaften und Lehrerkomitees Druck auf den Minister machen wollten. Deshalb, und weil viele sich durch die Darstellung der Regierung, es handele sich bei den Sparvorschlägen um Stunden, in denen sie nicht arbeiteten, getroffen sahen, hatten sich viele Lehrer dem Protest angeschlossen. Doch seitdem die Gespräche zwischen Schulministerium und Gewerkschaften geplatzt sind, herrscht in Schulen Ratlosigkeit darüber, wie es weitergehen soll. Sollte es doch noch zum Boykott der Examen kommen?, fragen sich nicht nur Eltern und Schüler besorgt, sondern zunehmend auch Lehrer.
Denn eigentlich befinden sich die Streithähne derzeit vor dem Schlichter. Noch steht kein Termin fest, aber Ziel ist es, dass Regierung und Gewerkschaften doch noch einen Weg aus dem Konflikt finden. Weil aber bei den Gesprächen im Ministerium nicht die Gewerkschaften, sondern radikalere Vertreter der Lehrerkomitees tonangebend waren (d’Land, 19.12.2014), ist nicht nur dem Ministerium nicht mehr klar, was genau verhandelt wird – und ob sich die Lehrerkomitees an einmal getroffene Vereinbarungen halten würden. „Haben die Gewerkschaften nun ein Verhandlungsmandat oder nicht?“, fragt ein Mitarbeiter aus dem Ministerium genervt. Die Stimmung ist mies wie lange nicht mehr. Von „Lügen“ ist die Rede, von Gewerkschaften, die sich nicht an Absprachen hielten.
„Wir wissen nicht, welche Auswirkungen der Streit auf unsere Kinder haben wird, die sich aufs Examen vorbereiten“, klagt derweil Jutta Lux-Hennecke von der Elterndachorganisation Fapel. Die Lage in den Schulen sei unübersichtlich: „Wir hören von Schülern, die sich Sorgen machen, die Widersprüchliches in der Presse lesen“, so Lux-Hennecke, der es offensichtlich schwerfällt, Verständnis für den andauernden Streit aufzubringen. Ihre Forderung an Lehrer und Ministerium: Beide Seiten sollen den Konflikt im Interesse der Schüler lösen.
Wie das gehen kann, ist unklar, denn es sind nicht die Gewerkschaften, die derzeit die Richtung vorgeben, sondern Lehrervertreter, von denen niemand weiß, wie weit sie gehen wollen und wie viel Unterstützung sie in den Schulen haben. Die Gewerkschaften ihrerseits trauen sich nicht, klar Position gegen die Komitees zu beziehen, weil sie – trotz Intersyndicale – in Konkurrenz zueinander stehen und fürchten, Verhandlungsbereitschaft zu zeigen, könnte ihnen als Schwäche ausgelegt werden. Im März/April stehen die Wahlen zur Berufskammer der Fonction publique an und viele Lehrer sind verärgert über die mit den Stimmen der CGFP beschlossene Beamtenreform, wovon die radikaleren Gewerkschaften nun profitieren.
Auch deshalb zeigt sich die Intersyndicale kampfbereit. Akribisch hatte sie aufgeschrieben, wie die Lehrer, die vom Minister trotz Rücktrittsgesuch nicht von ihrer Verpflichtung zur Examensvorbereitung freigestellt wurden, ihren Protest ausdrücken können, ohne sich in juristischen Fallstricken zu verheddern. Der Protest sei legal, heißt es. So sicher ist das nicht: Der Grat zwischen erlaubtem Protest und unzulässiger Arbeitsverweigerung ist schmal. Noch hat das Ministerium nicht entschieden, wie es auf die Abwesenheit mancher Lehrer reagieren wird. Erziehungsminister Claude Meisch (DP) sagte nur, er gehe davon aus, dass die Proteste die Examen nicht beeinträchtigten. „Die Lehrer, die nicht an den Sitzungen teilgenommen haben, bekommen die Inhalte in schriftlicher Form nachgereicht“, so Meisch gegenüber RTL. Seine demonstrative Gelassenheit muss nicht viel heißen: Der Minister lag mit seiner Einschätzung in den vergangenen Wochen mehrfach daneben.
Ministerium und Gewerkschaften sprechen auf der Ebene der Grundschule zwar weiter miteinander. Doch auch für seinen Vorstoß, neue Stundenpläne in der Grundschule einzuführen, die aktuelle individuelle Förderung durch einen Förderunterricht für alle Schüler abzulösen und mit der Hausaufgabenhilfe zu verbinden, erntete Meisch Kritik. Die gemäßigtere Gewerkschaft SNE will einen zweiten Vorschlag abwarten, doch der SEW, der sich vehement gegen Einschnitte bei der Tâche wehrt, will auch das im Rahmen der Reform des öffentlichen Dienstes vereinbarte dreijährige berufsbegleitende Praktikum nicht. In einer Petition fordert die Gewerkschaft einen „sinnvollen Stage“ und verrät, was sie sich darunter vorstellt: Lehrer müssten frei entscheiden können, ob sie eine „Beratung und Begleitung“ wollten, so der SEW, der am 29. Januar um 19 Uhr im Bartringer Atert-Zentrum zur Protestveranstaltung aufruft. Wohl nicht ohne dem Hintergedanken, neue Anhänger zu gewinnen: Studenten der Uni Luxemburg hatten ihrerseits in einer Mitteilung den Stage kategorisch abgelehnt, ohne jedoch zu sagen, wie die offensichtlichen Mängeln in der Lehrerausbildung behoben werden sollen. Beim letzten Staatsexamen waren 39 Prozent der Kandidaten trotz Diploms durchgefallen. An diesem Dienstag saßen Regierung und Grundschul-Gewerkschaften wieder zusammen. Doch ob dabei etwas Konkretes herauskommen wird, ist nicht ausgemacht, schließlich will der SEW die beschlossene Reform des Beamtenstatus unbedingt kippen. Dann könnte eintreffen, was besonnene Stimmen schon bei den Gesprächen zum Gesetzentwurf der Sekundarschulreform vor zwei Jahren befürchteten: dass Bildungsreformen, die Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen der Lehrer haben, in Luxemburg praktisch unmöglich sind.
Was manche Lehrer und Gewerkschafter jetzt als ihre starke Stunde interpretieren, könnte sich dann allerdings als Bumerang entpuppen: Das Verständnis der Öffentlichkeit für die Anliegen der Lehrer ist, das zeigen die Reaktionen zum Streit um die Examensklassen deutlich, zuletzt stark gesunken, wohl auch, weil pädagogische Argumente weder auf Seiten der Regierung noch auf Seiten der Lehrer eine große Rolle spielen. Und auch wenn Lehrer – zu Recht – in Leserbriefen auf „unsichtbare“ Arbeitsstunden hinweisen, die sie für die Korrektur von Klausuren und Vorbereitung von Unterrichtsstunden leisten – dass sie sich erklären, zeigt, wie sehr sie unter Rechtfertigungsdruck stehen.
Viele Beiträge in Internet-Foren waren polemisch, es wurde über Ferien gelästert, über das gute Gehalt: Ein Lehrer im Stage verdient derzeit 6 140 Euro, nach zehn Jahren Unterrichtspraxis rund 8 760 Euro und nach 20 Jahren 10 220 Euro brutto (Grad E7, Überstunden und Kommissionssitzungen nicht eingerechnet). Wegen der Altersdécharge nimmt die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit zudem im Laufe der Jahre ab. Vor allem aber klang aus vielen Internet-Beiträgen ein fundamentales Unverständnis heraus: Die Mehrheit der Bevölkerung kann nicht nachvollziehen, dass ausgerechnet Schüler und die Pädagogik beim Arbeitskampf der Lehrer auf der Strecke bleiben sollen.