„Soviel wie ein Espresso“, sagt CEO David Arendt, werde es ungefähr kosten, ein Bild von Standardmaßen im Freeport Luxembourg zu lagern. Sprich: zwei Euro täglich. „Das wäre der Tarif in den Gemeinschaftslagern“, präzisiert Yves Bouvier, Investor des Freihafens. Denn wie viel die Lagerung eines Kunstwerks tatsächlich kostet, hänge vom Volumen und der Bodenfläche ab, die es einnimmt. Und davon, ob es statt im Gemeinschaftslager in einem reservierten Einzellager unterkommt. Am Dienstag fand neben dem Luxair-Frachtzentrum in Findel fast auf den Tag genau ein Jahr nach dem Spatenstich die Straußfeier am Freeport statt. Rund 55 Millionen Euro investiert die Trägergesellschaft Euroasia Investment in das Gebäude, das eine Baufläche von 22 000 Quadratmetern aufweist. Von der Lagerfläche, die im dritten Quartal 2014 in Betrieb genommen werden soll, seien bereits 60 Prozent reserviert. Ein Großteil dieser Fläche hat Yves Bouviers eigene Kunstspeditionsfirma Natural Le Coultre vorgebucht. Denn Bouvier ist beim Freeport-Projekt sowohl Investor als auch Kunde. Ein Teil seiner Kunden, erklärt er gegenüber dem Land, wolle seine Werke auf andere Standorte verteilen, um das Konzentrationsrisiko zu mindern. Da bietet sich Luxemburg an.
Natural Le Coultre wird einer der Spediteure sein, die im Freeport aktiv sein werden. Allein vom Zoll zugelassene Spediteure, unterstreichen Arendt und Bouvier, werden Kunden des Freeport sein. Die Zulassung werden die Zollbehörden aufgrund von Ehrenhaftigkeits-, Solvenz-und Prozedurkriterien geben, wie Arendt ausführt. Einzelne Kunden, die ihre Golduhr ins Schließfach legen wollen, werden am Freeport Luxembourg demnach nicht zu sehen sein. „Es ist ausgeschlossen, dass individuelle Kunden bei uns einen Safe mieten können“, sagt Arendt entschieden. Seine Entschlossenheit rührt daher, dass in den vergangenen Wochen und Monaten in der internationalen Presse vermehrt Vorwürfe aufgetaucht sind, Freihäfen wie der gerade in Findel entstehende, seien die neue Generation von Steuerparadiesen, die es Steuerflüchtigen erlaube, Vermögenswerte am Fiskus vorbei einzulagern. The Economist berichtete kürzlich, Kunden von Schweizer Banken würden aus Angst vor der Lockerung des Bankgeheimnisses und ihres Heimatfiskus ihre Bankguthaben in Gold und Bargeld umtauschen und in Banksafes einlagern. Das Phänomen habe derartige Ausmaße angenommen, dass es kaum noch verfügbare Banksafes gebe, und die Kunden auf Freihäfen auswichen. Ob das auch in Luxemburg passieren könnte, wo 2015 der automatische Informationsaustausch über Zinseinkünfte für EU-Bürger eingeführt wird?
Wenn der Freeport Safes für individuelle Kunden ausschließt, so will man sich dennoch bei den Banken umhören, ob es eine Nachfrage nach Safefläche gibt, sagt David Arendt auf mögliche Synergien mit der Finanzbranche angesprochen. Aber dann würden die Banken die Safes mieten, wiederum über einen zugelassenen Spediteur, wie Yves Bouvier bekräftigt. Dabei biete der Freeport mehr Transparenz als es Banken tun, unterstreicht Arendt. „Alles, was in den Freeport reinkommt und rausgeht, wird von der Sicherheitsfirma gescannt“, so Arendt. „Wir haben gegenüber dem Zoll und den Kunden die Verpflichtung, keine ‚verbotenen Waren’ hereinzulassen. Dazu zählen Waffen und Drogen auf jeden Fall“, sagt der CEO. Der Zoll werde eine Liste solcher „verbotener Waren“ erstellen und die Versicherer sie eventuell vervollständigen, fügt er hinzu. „In der Bank wendet sich der Bankier diskret ab, wenn der Kunde das Schließfach öffnet“, so Arendt, da könne man alles reinpacken. Das gehe im Freeport nicht.
Von konkreten Projekten im Zusammenhang mit dem Freihafen hat ABBL-CEO Jean Jacques Rommes noch nichts gehört. Dennoch glaubt er, dass der Freeport Möglichkeiten für „erstaunliche Synergien“ bieten werde, zwischen der white- collar-Domäne Finanzwesen und dem blue-collar-Bereich der Logistik. Denn die Superreichen, welche die Privatkundenabteilungen der Banken zur Zielkundschaft erklärt haben, besäßen wahrscheinlich die Art von Wertobjekten, für die der Freeport gedacht ist. Diese Superreichen, schätzt Deloitte Luxemburg in seinem Bericht Art&Finance 2012, säßen auf auf einem Schatz von Wertobjekten – Kunst, Briefmarken, Wein, Autos, Edelmetalle und Juwelen – im Wert von vier Billionen Dollar. Und das Interesse an Kunst als Wertanlage nehme, aufgrund der niedrigen Renditen in anderen Anlageklassen und ungewissen konjunkturellen Lage, weiter zu, so Deloitte. Kunst als bloße Handelsware? Um sich gegen Wertverluste abzusichern, investierten die Anleger 2012 vor allem in anerkannte Künstler, so die Berater, die den Gebrauch von Börsenslang nicht scheuen. Bei 77 Prozent der weltweiten Käufe im Segment der zeitgenössischen Kunst habe es sich um Werke der „Top 20 blue-chip contemporary artists“ gehandelt. Doch auch auf dem globalen Kunstmarkt machte sich vergangenes Jahr die wirtschaftliche Unsicherheit spürbar. Laut The european fine art foundation (TEFAF) schrumpfte der Handel mit Kunst und Antiquitäten 2012 um sieben Prozent auf ein Umsatzvolumen von 43 Milliarden Dollar. 2011 allerdings war der Umsatz um sieben Prozent auf 46 Millionen Dollar gestiegen.
Um den Freihafen zu ermöglichen, hatte die letzte CSV-LSAP-Regierung eigens das Gesetz geändert, um die Lagerung im Freihafen und die Dienstleistungen, die dort erbracht werden – beispielsweise Restaurationen, Rahmung, Authentifizierung – von Zollabgaben beziehungsweise von der Mehrwertsteuer zu befreien. Den Vorwurf, Freihäfen seien die neuen Steuerparadiese oder könnten als Bunker für gestohlene Werke dienen, lehnt Bouvier kategorisch ab. „Alles, was herein kommt und herausgeht, wird vom Zoll registriert, mit einem Eingangs- und einem Ausgangswert“, so Bouvier. „Das wird eingetragen in einem offiziellen Register, das alle europäischen Zollbehörden einsehen können. Wer etwas zu verstecken hat, kommt zu allerletzt in einen Freihafen und geht stattdessen zum Self-Storage, in ein Möbellager oder einfach zu einem Bankschließfach“, so Bouvier. „Wir schaffen hier auch keinen finanziellen Mehrwert, verbriefen nichts, verkaufen kein Finanzprodukt“, wehrt er sich. Weil man sich im Freihafen im Rahmen der Zollgesetzgebung bewegt, kennt man hier das Konzept des Auftraggebers (bei der Einlagerung) und des Empfängers (beim Ausgang). Die werden ebenfalls registriert, so Bouvier. Aber wer der tatsächliche Finanzier oder Besitzer eines Wertgegenstandes ist, „das ist dann eine Frage für den Zoll oder den Fiskus“, räumt er ein. Was einiges an Spielraum offen lässt.
Willkommen sind ihm Steuerflüchtige nicht. „Ich habe keine Lust auf einen Steuerskandal“, sagt der Schweizer Investor. „Wir investieren hier große Summen, die will ich nicht für drei, vier schwarze Schafe aufs Spiel setzen.“ Für ihn sind Freihäfen, wie er sie betreibt – in Genf und Singapur – vor allem eins: spezialisierte Logistikplattformen. „Der Kunstmarkt entwickelt sich stark, es gibt immer mehr Messen und Ausstellungen. Die Künstler produzieren mehr“, so Bouvier. Und weil Kunst keine „verderbliche“ Ware sei, „steigt natürlich der Bedarf an Lagerflächen und Logistikdienstleistungen“, erklärt er den Aufwärtstrend in seiner Branche, die auf fachgerechte Lagerung und Transport von Kunst spezialisiert ist. Es ist die Präsenz von Cargolux und das Luxair-Frachtzentrum, die Luxemburg als Standort interessant machen. Bereits jetzt liefen 50 Prozent der Kunsttransporte, die Bouviers Firma ab Genf organisiere, via Luxemburg, sagt der Spediteur. „Die Werke werden mit dem Lastwagen nach Luxemburg gebracht und hier in die Flugzeuge verladen. Wenn man nun das Lager neben das Flugzeug baut, entfallen Transportwege, Etappen beim Handling. Das mindert die Kosten für die Kunden und das Risiko für die Versicherer.“
Dass die Freihäfen Kunsträubern und Fälschern Unterschlupf bieten würden, bestreitet Bouvier. Weil alles dokumentiert werde, könne man „binnen Minuten auf Anfragen vom Untersuchungsrichter reagieren“. „Dass wir in der Presse oft genannt werden“, sagt er, „beweist nur, dass unser System funktioniert.“ Die Zeit hatte Im April 2013 berichtet, Bouviers Firmen seien am Handel und am Transport von gefälschten Gemälden beteiligt gewesen.
Ob sich um den Freeport tatsächlich eine ganz neue „Kunst-Industrie“ als Wirtschaftsnische für Luxemburg entwickeln wird, wie es die Befürworter in der Vergangenheit versprochen haben, bleibt abzuwarten. Denn einige dieser Befürworter sind schon mit ihren eigenen Projekten gescheitert. Zum Beispiel Split Art. Die Firma hatte in Luxemburg eine Börse einrichten wollen, an der die verbrieften Anteile von Kunstwerken gehandelt werden sollten. Investoren hätten sich via Zertifikat „ein Stück“, beispielsweise, von einem Picasso kaufen und dann an der Börse damit handeln können. Doch die Finanzaufsichtsbehörde CSSF gab kein grünes Licht, bis die Investoren Insolvenz anmelden mussten. Zu den Investoren gehörten auch einige Mitarbeiter des Beratungsunternehmen Deloitte, das angekündigt hatte, einen Masterplan rund um den Kunstmarkt auszuarbeiten. Fragen zu Fortschritten bei besagtem Masterplan wollte Deloitte diese Woche nicht beantworten.
David Arendt glaubt dennoch an Synergien zwischen Freihafen und lokaler Kunst-, beziehungsweise der Museumsszene. Denn Werke, die den Freihafen verlassen, sollen während der Dauer von Ausstellungen im In- oder Ausland unter ein Steuerspezialregime fallen. Für ihn ist das wichtig, damit die Kunstwerke auch dem Publikum zugänglich gemacht werden können. Arendt hofft beispielsweise, dem Mudam ein attraktives Angebot für die Aufbewahrung der Museumskollektion machen zu können – sowohl in Bezug auf die Lagerungsbedingungen wie die Kosten. Und, dass „die lokalen Museen ihre Wände zu Verfügung stellen werden, um die Kollektionen unserer Kunden zu zeigen“. Enrico Lunghi, Mudam-Direktor, verwehrt sich dem nicht. Aber ob Ausstellungen mit Werken aus dem Freeport zustande kommen, hängt für ihn in erster Linie davon ab, um welche Werke es sich handelt. „Im Moment haben wir keine Ahnung, was kommt oder welcher Anteil an zeitgenössischer Kunst dort gelagert wird.“ Doch vielleicht, sagt er, „ist dies eine Gelegenheit, Werke nach Luxemburg zu bringen, die sonst nicht hierherkommen würden.“ Das Gleiche, glaubt er, gelte für die Kunden. Der Freihafen, meint er, trage ganz generell zur „Komplexität“ des Kunststandorts Luxemburg bei, biete andere Möglichkeiten, mit Kunst in Kontakt zu kommen, und werde wahrscheinlich auch Kunstinteressierte nach Luxemburg bringen, die ansonsten nicht unbedingt kämen.