Am 7. November um 14.45 Uhr verkündete Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), die Nachricht: Der Hauptleitzins in der Eurozone wurde auf 0,25 Prozent gesenkt. So tief sind die Zinsen seit der Einführung des Euro nicht gewesen. Schon seit Juli 2012 liegt der Leitzins unter einem Prozent und die Frage, die aktuell die Beobachter beschäftigt, lautet, wie lange die Niedrigzinsphase noch andauern wird. Das ist für die Sparer in Luxemburg noch wichtiger als für die in anderen Euroländern. Denn weil die Inflation hierzulande im Durchschnitt höher ist als in der Eurozone insgesamt, ist das reale Zinseinkommen auf Giro- und Sparkonten seit 2009 negativ.
Angesichts der niedrigen Inflationsrate von aktuell nur 0,7 Prozent in der Eurozone geht Yves Wagner, Direktor von BCEE Asset Management, davon aus, dass sich so schnell nichts an der Situation ändert. „Man kann damit rechnen, dass die Zinsen so bald nicht steigen und dass sie in den kommenden Monaten, vielleicht sogar für das nächste Jahr auf dem Niveau bleiben, das wir von diesem Jahr kennen“, sagt Wagner. Yves Nosbusch, Chefvolkswirt der BGL BNP Paribas, verweist zu allererst einmal auf die Erklärung der EZB, die seit kurzem einen Ausblick auf die Zukunft enthält. Darin heißt es: „The governing council (...) continues to expect the key ECB interest rates to remain at present or lower levels for an extended period of time.“ Deshalb sagt Nosbusch: „Wir sehen die Wahrscheinlichkeit, dass die Zinsen mindestens 2014 auf sehr niedrigem Niveau bleiben, und eine gute Chance dafür, dass es 2015 auch so bleibt.“
Yves Kuhn, Chief investment officer bei der Bil, sieht drei bis vier Faktoren, die zur aktuellen Situation an der Preisfront beitragen. Da ist erstens die negative Entwicklung bei der Kreditvergabe an Firmen und Haushalte, die gegen eine Ausweitung der Geldmenge wirke, zweitens die hohe Arbeitslosigkeit in der Eurozone, die dazu führe, dass den Arbeitnehmern die Verhandlungsbasis für Lohnerhöhungen fehle. Drittens der starke Euro, der dazu führe, dass die Rohstoffimporte in die Währungszone billig sind. „Das sind drei Faktoren, die dazu beitragen, dass wir in einem deflationären Modus sind“, so Kuhn. 0,7 Prozent Inflation im Währungsraum – „das ist nicht gesund“, sagt er. Daran Schuld ist seiner Ansicht nach auch die EZB selbst. Die habe die Liquidität, die sie über die außerordentlich langen Refinanzierungsoperationen auf dem Höhepunkt der Finanzkrise ins Bankensystem gab, weitestgehend wieder abgezogen. Das, während die US-amerikanische Zentralbank Federal Reserve den Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik kürzlich auf später vertagt habe, um das Wirtschaftswachstum nicht abzuwürgen und bei 1,2 Prozent Inflation deflationären Tendenzen entgegenzuwirken. Angesichts der unterschiedlichen Vorgehensweisen, meint Kuhn, „muss auf einer Seite des Atlantiks ein Fehler unterlaufen sein“.
Was also sollen Sparer tun, um zu verhindern, dass die Inflation langsam, aber sicher das Sparguthaben anknabbert? Denn auch wenn, wie Yves Nosbusch sagt, die Differenz zwischen Habenzins auf dem Sparguthaben einerseits und der Inflation andererseits auf ein Jahr betrachtet nur zwischen ein bis zwei Prozent betrage – „keine sehr hohe Summen“ –, so „kumuliert sich der Effekt über die Jahre und wird immer größer. Das ist ein Problem“, so Nosbusch. „Das ist das Dilemma für diejenigen, die sich historisch auf kurzfristige Zinsen verlassen haben“, meint auch Wagner. Eine Kategorie, der ein Großteil der einheimischen Luxemburger Bankkundschaft angehören dürfte.
Für Kleinanleger ist die Lage in den vergangenen zwei Jahren nur noch verwirrender geworden. Ehemals als sicher eingestufte Anlageklassen, wie Staatsanleihen, bieten seit dem griechischen „Hair cut“, der Umschuldung, keine Garantie mehr. Von so genannten „sicheren Häfen“ reden die Experten auch nicht gerne. „Wir sind keine großen Gold-Fans“, sagt Wagner von BCEE Asset Management. „Wir glauben, dass Gold fundamental nicht den Wert hat, zu dem es aktuell gehandelt wird. Dabei sind die Preise schon gesunken“, so ein kategorischer Wagner. „Ich persönlich würde auch den Dollar nie als ‚sicheren Hafen’ bezeichnen. Wir haben vor wenigen Wochen gesehen, dass auch die USA, wenn auch aus technischen Ursachen, fast insolvent gewesen wären“, fügt er hinzu. Die Geschichte gibt ihm Recht. Sparer, die auf dem vorerst letzten Höhepunkt der Eurokrise im Frühling und Sommer 2012 in Panik Gold oder Dollar kauften, sehen ihr Vermögen ein Jahr später sehr wahrscheinlich gemindert. Der Goldpreis ist gefallen, der Euro hat dagegen im Vergleich zum Dollar zugelegt. „Gold“, erklärt Nosbusch, „erfüllt in einem Anlageportfolio den Zweck einer Versicherung, weil es eine negative Korrelation mit anderen Anlageklassen hat.“ Wer vergangenes Jahr Gold gekauft habe, habe das getan, um sich gegen Katastrophenszenarien abzusichern. Eine aus dem Ruder laufende Inflation, den Zusammenbruch der Eurozone. Davor wollten sich auch die Dollarkäufer schützen. Beide Katastrophenszenarien sind nicht eingetreten. Im Gegenteil.
Wer eine Rendite sucht, die den Inflationsausgleich erlaubt, muss also umdenken. „Es gibt keine Rendite ohne Risiko“, sagen Yves Wagner und Claude Hirtzig von BCEE Asset Management. „Um in diesem Umfeld ein bisschen mehr Rendite zu erzielen, müssen die Leute etwas mehr Risiko eingehen“, meint Yves Nosbusch. Insgesamt gelte immer das Prinzip der Diversifizierung, unterstreichen Kuhn, Nosbusch und Wagner. Und weisen eindringlich darauf hin, dass es kein einzelnes Rezept für alle Anleger gebe; unterstreichen, wie wichtig die individuelle Situation des einzelnen Investors sei. „Was ist sein Investitionshorizont? Wird das Geld für ein paar Monate oder für mehrere Jahre angelegt?“ „Wie viel Risiko kann man eingehen?“ Denn im Endeffekt, stellen Wagner und Hirtzig fest, „wissen oft sogar Unternehmer gar nicht, was auf den Finanzmärkten ‚Risiko’ wirklich bedeutet, und im Allgemeinen mögen die Leute kein Risiko, wenn man erst einmal erklärt hat, was das bedeutet“. „Sicherheit war den Anlegern unglaublich wichtig“, teilt Yves Kuhn die Analyse. Doch wer deswegen in den vergangenen Monaten auf Staatsanleihen aus „Kern-Euroländern“ wie Deutschland gesetzt hat, hat ebenfalls eine negative reelle Rendite zu verzeichnen.
Bei festverzinslichen Papieren – auf der Risikoskala nach den Festgeldkonten die nächste Stufe – im aktuellen Niedrigzinsumfeld besondere Vorsicht geboten, warnt Yves Nosbusch. Statistisch gesehen, erklärt er, stiegen die „langen Zinsen“, also die Zinsen auf Wertpapieren mit langer Laufzeit, wenn die Konjunktur anziehe, schneller als die kurzfristigen Zinsen. Deswegen riskierten Anleger, die ihre Papiere vor Ende der Laufzeit verkauften, Verluste hinnehmen zu müssen. Yves Kuhns erste Antwort auf die aktuelle Situation sind Aktien. Mit Grafiken und Tabellen ausgestattet, erklärt er, seine Analyse zeige, dass seit dem Zweiten Weltkrieg immer dann, wenn die USA einen neuen Zinszyklus – egal in welche Richtung – eingeschlagen haben, der Börsenindex gestiegen sei. Er glaubt, dass ein solch neuer Zinszyklus eingesetzt hat und ist deswegen „überzeugt, dass langfristig – damit meine ich sieben Jahre – Aktien eine gute Sache sind“. Dabei sei es – immer in einem diversifizierten Portfolio – allerdings wichtig, Papiere solche Firmen zu kaufen, die „Vorhersehbarkeit“ böten. Um zu erklären, was er meint, gibt er ein Negativ-Beispiel. „Vor zehn Jahren wurde von Sony, von Sharp, von Nokia geredet. Aber wo sind diese Technologie-Werte jetzt? Heute wird von Google von Facebook geredet.“ Da fehle die Vorhersehbarkeit.