„Überrascht und traurig“ zeigte sich CSV-Innenminister Jean-Marie Halsdorf, nachdem sich am Sonntag 56 Prozent der Wähler in Koerich gegen eine Fusion mit dem benachbarten Simmern ausgesprochen hatten. Ein „überraschendes Ergebnis in Koerich“ meldete auch das Luxemburger Wort. „Das war so eigentlich nicht abzusehen gewesen“, glaubte das Tageblatt, und die RTL-Reporterin blieb ratlos, weil „ganzer zwou Persounen“ überhaupt vor ihre Kamera wollten. Tatsächlich hatten bei den rezenten Volksbefragungen die Wähler bisher nur einmal, 2005 in Eschweiler, gegen eine Fusion gestimmt. Aber so unerwartet, wie sie nun dargestellt wird, kam die Ablehnung in der kleinen Gemeinde unweit der belgischen Grenze doch nicht.
Mit rund 2 300 Einwohnern ist Koerich eine jener Majorzgemeinde, wo nicht nach Parteilisten abgestimmt wird, die Gemeindepolitik aber bereits fest in der Hand der Parteien ist. Bürgermeister Léon Eschette und die beiden Schöffen Jean Everard und Georges Simon sind alle drei CSV-Mitglieder, während die Opposition von LSAP-Mitgliedern gestellt wird, die sich, wie in Kopstal, Är Equipe, nennen.
Kompliziert wurde die Angelegenheit, als bei den Wahlen 1999 und 2005 der populäre Gewerkschafter Marcel Flammang von Är Equipe die meisten Stimmen erhielt, die CSV aber einen Rat mehr hatte, um den Zweitgewählten Albert Haas zum Bürgermeister zu wählen. Noch komplizierter wurde die Angelegenheit, als Bürgermeister Haas genau ein Jahr nach den letzten Wahlen seinen Rücktritt erklärte, und die CSV-Räte Léon Eschette zum neuen Bürgermeister wählten, der 2005 als Zweitletzter in den Gemeinderat gerutscht war. Was für Eschette ein politisches Legitimationsproblem darstellt und von der Opposition als Missachtung des Wählerwillens dargestellt wurde, nachdem die CSV-Mehrheit schon Komplementarwahlen abgelehnt hatte, um einen Nachfolger für den Anfang 2008 verstorbenen Erstgewählten, Marcel Flammang, zu finden, so dass dem Gemeinderat und Är Equipe seither ein Sitz fehlt.
Folglich war das Referendum am Sonntag auch für den einen oder anderen Koericher die erstbeste Gelegenheit, um es dem nicht sonderlich populären Bürgermeister und dessen CSV heimzuzahlen. Das hatte jedenfalls die lokale LSAP so gesehen, denn in der entscheidenden Gemeinderatssitzung vom 6. Februar 2009 hatten sich drei Räte von Är Equipe bei der Abstimmung über Fusionsverhandlungen mit Simmern enthalten. Stattdessen hatten sie erfolglos vorgeschlagen, Fusionsverhandlungen mit der größeren und sozialistisch regierten Proporzgemeinde Steinfort aufzunehmen.
Anschließend begann Är Equipe sogar eine lautstarke Kampagne, in der sie die Wähler unter dem Motto „Gemeindefusion für die CSV-Sektion Koerich-Simmern“ aufrief, gegen die Fusion zu stimmen. So als wollte die CSV nach der Fusion ihrer Parteisektionen nun auch die Gemeinden fusionieren. Gleichzeitig unterstellte sie einem der Schöffen, die Gemeinden fusionieren zu wollen, um sich die Wählerstimmen seiner zahlreichen Familienangehörigen in Simmern zu sichern. Dabei ist es eher selten, dass eine der großen Parteien offen gegen eine Gemeindefusion ankämpft, denn Fusionen gelten aufgrund erhoffter ökonomischer Skaleneffekte als Synonym für Fortschritt.
Bürgermeister Eschette scheint zwar einzusehen, dass das Referendum eine Wahlschlappe für die CSV darstellt, aber er gibt die Verantwortung gleich an seinen Parteikollegen, Innenminister Jean-Marie Halsdorf, weiter: Die Fusion sei im Grunde eine Idee der Regierung gewesen, der Schöffenrat habe bloß ausgeführt. So versucht er auch, möglichen Rücktrittsforderungen zuvorzukommen, nachdem die Regierung 2005 ihren Rücktritt für den Fall erwogen hatte, dass beim Referendum über den Europäischen Verfassungsvertrag keine Mehrheit zustande gekommen wäre.
Koerich – das einzige Luxemburger Dorf, dessen Name 1524 über die Coryciana unbemerkt in die Weltliteratur glitt – war lange von landwirtschaftlichen Betrieben und Bauernsöhnen, die op der Schmelz arbeiteten, geprägt. Heute profitiert die Gemeinde davon, dass die Peripherie der Schlafgemeinden rund um die Hauptstadt sich immer weiter ausdehnt, und brachte es in letzter Zeit zu einem gewissen Wohlstand durch die Steuereinnahmen aus der Industriezone von Windhof, wo inzwischen ein halbes Tausend Leute arbeiten. Ende 2009 belief sich der Überschuss in der Gemeindekasse auf über drei Millionen Euro.
Vergleichbare Einnamen fehlen der 800-Seelengemeinde Simmern, die sich nicht einmal an der regionalen Kleingewerbezone Zaro beteiligen wollte. Deshalb stellten sich am Sonntag die Koericher Wähler die Frage, was ihnen die Fusion mit den ärmeren Nachbarn einbrächte, die vergangenes Jahr sogar im Ruf standen, die Kapelle von Roodt an der Eisch verscherbeln zu wollen.
Är Equipe hatte in Flugblättern drastisch vor dem „Ausverkauf der durch die Industriezone bedingten guten finanziellen Situation der Gemeinde Koerich“ gewarnt. Weil nämlich die arme „Gemeinde Simmern sich aufgrund ihrer Finanzsituation überhaupt keine Schulden leisten kann“, müsse sie sogar „normale Infrastrukturen“ wie die Instandsetzung von Dorfstraßen und eine Wasserleitung zu einem entlegenen Bauernhof aus dem versprochenen staatlichen Fusionszuschuss finanzieren. Während Koerich die Schule, die Maison Relais und das Gemeindehaus erweitern solle, bloß um die fusionierten Simmerner aufzunehmen.
Zweifelsohne sollte die Fusion vor allem verhindern, dass Simmern, die zweitkleinste Gemeinde des Gutlands, die ein Fusionsangebot aus Kehlen abgelehnt hatte, den Anschluss verpasst. Als sichtbarste Gegenleistung hätte Koerich der neuen Fusionsgemeinde den Namen gegeben und wäre Proporzgemeinde geworden. Dazu waren am Sonntag 492 Koericher bereit. 632 wollten erwartungsgemäß die Einnahmen ihrer Industriezone lieber nicht teilen.