20 Jahre ADR

Versuch und Irrtum

d'Lëtzebuerger Land du 19.04.2007

Der ordentliche Parteitag der ADR am Sonntag im Düdelinger Centre René Hartmann steht im Zeichen des 20. Geburtstags einer der erfolgreichsten und originellsten Parteineugründungen der Nachkriegsgeschichte. Wie die fast zur selben Zeit entstandenen Grünen ist die ADR ein Produkt der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise Ende der Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre, als verschiedene Wählergruppen ihre Interessen nicht mehr von den damals im Parlament vertretenen Parteien
wahrgenommen fühlten. Doch im Gegensatz zu den weitgehend am deutschen Vorbild orientierten Grünen ist die ADR eine genuin luxemburgische Schöpfung und ihr bisheriges Erfolgsgeheimnis deshalb um so bemerkenswerter.

Anfangs sprach die ADR im Namen von Arbeitern, kleinen Angestellten, Bauern, Handwerkern und Geschäftsleuten, die eine höhere Rente wollten, und formulierte ihr Anliegen griffig als Neid auf die Pensionen im öffentlichen Dienst. Mit dieser alles andere als „postmaterialistischen“ Position, wie manchmal behauptet, gewann das von dem ehemaligen Handwerkerverband NGL, dem dissidenten Bauernverband FLB, der Hausgewerkschaft der Wort-Journalisten UJL und dem KPL-nahen Rentner- und Invalidenverband gegründete Aktionskomitee 1989 auf Anhieb acht Prozent der Stimmen und vier Abgeordnete. So zwang es die CSV und die anderen Parteien in die Knie: die Perequation und die 5/6-Pension im öffentlichen Dienst wurden abgeschafft, der Rententisch erhöhte die Renten in der Privatwirtschaft.

Doch die Hoffnungen der CSV, dass die ADR als Einpunktliste, wie zuvor die Zwangsrekrutiertenliste, nach getaner Arbeit verschwinden würde, das Versprechen von Premier Jean-Claude Juncker am Wahlabend 1994, die Partei auszumerzen, waren
verfrüht. Ihre überraschende Langlebigkeit verdankt die Rentnerpartei einigen erfahrenen Politikern mit einem kleinen Apparat
und einer kleinen Basis bei NGL und FLB, aber vor allem ihrer Anpassungsfähigkeit.

Von diesem Anpassungswillen zeugt bereits der Umstand, dass die Partei im Durchschnitt alle fünf Jahre den Namen wechselt: Als Aktiounskomitee 5/6 Pensioun fir jiddfereen gegründet, hieß sie bald Aktiounskomitee 5/6, dann Aktiounskomitee fir Demokratie a Rentegerechtekeet und derzeit Alternativ demokratesch Reformpartei.

Hinter den vielen Namensänderungen verbirgt sich eine Politik des ständigen Versuchs und Irrtums: Bald macht die ADR mit sehr rechter Propaganda Stimmung gegen die politischen Parteien und die Ausländer, dann nennt sie sich plötzlich selbst Partei und überholt in der Frage des Ausländerwahlrechts die anderen Parteien links. Bald versucht sie, mit der Konstruktion von Affären und Skandalen die anderen Parteien zu destabilisieren, bald sucht sie deren Unterstützung, um sich in Parlament,  Verfassungskonvent und am liebsten auch in den Staatsrat integrieren zu lassen.

Bald bedient sie kleine Lohnabhängige, bald deren mittelständische Arbeitgeber, immer protektionistisch und liberal zugleich.
Erweist sich eine Position als unhaltbar, scheut sich die ADR nicht vor einer rasanten Kehrtwende. Denn ihr politisches Kapital sind nicht Kohärenz und Grundsätze, sondern die Ressentiments der zu kurz Gekommenen.

Deshalb schadeten den Saubermännern mit der robusten Stammtischrhetorik weder die internen Streitereien um die Abgeordneten Josy Simon oder Ady Jaerling, noch das Debakel der Valissen-Affär oder der Nepotismus ihrer
Kampagne gegen die Fassadensteine des „Pei-Museums“. Auf diese Weise brachte das ehemalige Rentnerkomitee das Kunststück
fertig, sich nach getaner Arbeit in eine modisch rechtspopulistische Protestpartei zu verwandeln und so zu überleben. Sie sprach jene von Modernisierung und Globalisierung bedrohten Lohnabhängigen und Mittelständler an, für die sich nicht einmal mehr LSAP und CSV interessieren.

Erstmals konnte sich so eine Partei erfolgreich auf der Rechten der CSV etablieren, denn die Christlichsozialen opferten viel von ihrem konservativen Image, um ihren Krebsgang in den Neunzigerjahren zu stoppen. Doch im neuen Jahrzehnt gingen die
fetten Jahre der ADR zu Ende. Bei den Sozialwahlen 2003 ging die Fédération syndicale samt ADR-naher NGL unter. Bei den Parlamentswahlen 2004 verlor die ADR in allen Bezirken Stimmen. Die Zahl ihrer Abgeordneten fiel von sieben auf fünf, mit
dem Parteiaustritt Jaerlings verlor sie auch noch das Fraktionsstatut. Bei den halbjährlichen Meinungsumfragen im Auftrag des Tageblatt liegt der Anteil der Wahlabsichten zugunsten der ADR derzeit in drei von vier Bezirken noch unter dem Niveau von
2004. Bei den Gemeindewahlen 2005 schrumpfte die ADR auf landesweit fünf Gewählte und spielt kommunalpolitisch
keine Rolle mehr.

Dass die ADR nur noch ein Schatten ihrer selbst ist, zeigte sich schließlich 2005 beim Referendum über den europäischen Verfassungsvertrag. Sie war nicht einmal mehr in der Lage, jene fast 50 Prozent Verfassungsgegner anzusprechen, die von den anderen im Parlament vertretenen Parteien links liegen gelassen wurden. Was einst die Stärke der Partei ausmachte, ihre skrupellose Anpassungsfähigkeit, wurde zum ängstlichen Opportunismus und zur großartigen Blamage.

Damit das nicht wieder vorkommt, gab sich die Partei vor einem Jahr erstmals ein Grundsatzprogramm wie all die anderen Parteien. Sie hatte also auch schon vergessen, dass ihre Wähler gar keine Grundsatzprogramme wollen. Nach 20 Jahren droht das, kein gutes Ende zu nehmen.

Romain Hilgert
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