Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise, inmitten großen Aufruhrs in Frankreich wegen der geplanten Anpassung des Renteneintrittsalters an die demographische Entwicklung, geht das Europäische Parlament beim Mutterschutz klar über die Vorschläge der Europäischen Kommission hinaus. In erster Lesung hat es am Mittwoch einen europaeinheitlichen bezahlten Mutterschutz von 20 Wochen nach der Geburt eines Kindes gefordert und noch das Recht auf zwei Wochen bezahlten Vaterschaftsurlaub oben drauf gelegt. Die Kommission hatte lediglich 18 Wochen gefordert. Die Weltgesundheitsorganisation betrachtet 26 Wochen Mutterschaftsurlaub als notwendig. Von vollem Lohnausgleich ist bei ihr allerdings nicht die Rede. Die Internationale Arbeitsorganisa-tion befürwortet 18 Wochen, ebenfalls ohne Lohnausgleich.
Das Europäische Parlament hat damit der Argumentation widerstanden, 20 Wochen Mutterschaftsurlaub seien für die Wirtschaft nicht zu bezahlen und würde ihre Konkurrenzfähigkeit untergraben. In globalisierten Zeiten ist das ein Argument, das man nicht einfach wegwischen kann. Zu globalisierten Zeiten gehört aber auch, dass man markiert, welchen Stellenwert das Soziale in der Wirtschaft behalten soll. Die Europäische Union ist als Wirtschaftsraum stark genug, innerhalb gewisser Grenzen, bei der so genannten sozialen Marktwirtschaft globale Standards zu setzen. Der Frauenausschuss des Europäischen Parlaments hatte das äußerst seltene Vergnügen, dass das Plenum seine Beschlussvorlage übernommen hat.
Niemand sollte sich jedoch Illusionen hingeben. Bei der Reform der bestehenden Richtlinie, die schon 14 Monate Mutterschaftsurlaub vorschreibt, die Entlohnung allerdings nur auf das Niveau für Kranke festlegt, geht es nur vordergründig um Mutter und Kind. Es geht, im politischen Neusprech, um die Work-Life-Balance. Übersetzt heißt das: Wie kriege ich mehr Frauen zwischen 25 und 49 Jahren in Erwerbsarbeit und wie erreiche ich, dass 2020 mindestens 75 Prozent aller Frauen im erwerbsfähigen Alter auch tatsächlich arbeiten? Beides ist für die wirtschaftliche Entwicklung der EU wichtig geworden. Und genau deshalb ändert sich auch etwas.
Nach dem Votum des Parlaments ist nun der Rat am Zug. Die Richtlinie wird im Mitentscheidungsverfahren entschieden, das heißt, das sich Rat und Parlament einigen müssen. 390 Ja-Stimmen für 20 Wochen Mutterschaftsurlaub sind ein starkes Argument, an dem der Rat nicht leicht verbeikommt. Dass der Rat einfach zustimmt, ist dennoch unwahrscheinlich. Zum einen deshalb, weil der Rat schon die Vorlage verzögert hat. Sie hätte genauso gut schon in der letzten Legislaturperiode beschlossen werden können, ist aber aus fadenscheinigen Gründen „vertagt“ worden. Im Moment sind Großbritannien und Deutschland die Hauptgegner einer großzügigen Regelung, hinter denen sich andere Mitgliedstaaten wie das in einer Wirtschaftskrise steckende Spanien verstecken dürften. Deutschland könnte aber mit der beschlossenen Regelung leben, sieht sie doch vor, dass der Staat anstelle der Unternehmen die letzten vier Wochen bezahlen kann. Vorausgesetzt, dass die Mutter 75 Prozent ihres letzten Lohns bekommt und ihr Arbeitsplatz garantiert bleibt.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete vergangene Woche von einem internen Arbeitspapier von EU-Kommissarin Viviane Reding, in dem es heißt, 20 Monate würden Frankreich 40 und Großbritannien 57 Milliarden Euro innerhalb von 20 Jahren kosten. Die zwei Wochen Vaterschaftsurlaub sind darin noch gar nicht eingerechnet. Die grüne Fraktion im Europäischen Parlament rechnet dagegen, dass sich der Mutterschutz schon tragen würde, wenn man dadurch nur ein Prozent mehr Frauen am Arbeitsplatz halten könne.
Tritt die neue Richtlinie in der heutigen Form in Kraft, wären nicht nur Mutter und Kind optimal geschützt, sondern die für eine gleichberechtigte Gesellschaft so wichtige Wahlmöglichkeit zwischen Arbeit und Familie entscheidend verbessert. Die Lohnfortzahlung ist dabei aus mehreren Gründen wichtig. Einmal um einfach den Lebensunterhalt zu sichern, vor allem auch dann, wenn die Frau Hauptverdienerin ist, was immer häufiger der Fall ist. Zum anderen aber auch, um allen Gesellschaftsschichten das Ja zum Kind zu erleichtern. Gerade so genannte Besserverdienende haben in der Vergangenheit oft auf Kinder verzichtet. Deutschland hat aus diesen Gründen seit der großen Koalition auf das Elterngeld gesetzt. Im Kern ist das nichts anderes als Bevölkerungspolitik à la Sarrazin. Feministinnen kritisieren allerdings, dass es so oder so zu einem Karriereknick kommt, wenn Frauen zu lange von ihrem Arbeitsplatz wegbleiben.
Politik will und kann keine individuellen Entscheidungen treffen. Sie kann und muss aber die Rahmenbedingungen für eine gerechte Gesellschaftsentwicklung schaffen, soweit ihr das möglich ist. Das Europäische Parlament hat sich diese Woche nicht bange machen lassen und einen Pflock für eine geschlechtergerechtere Welt eingeschlagen. Dass gute wirtschaftspolitische Gründe ebenfalls für einen erweiterten Mutterschaftsschutz gesprochen haben, soll den Beifall nicht schmälern.