„Steel and glass“ sang John Lennon 1974. Das punkige Lied des Ex-Beatles, mit eingängigem Refrain und schweren Gitarrenriffs, handelt von einer gescheiterten Freundschaft, könnte aber genauso gut die Hymne der modernen Architekten sein. Die beiden Werkstoffe, der tragfähige Stahl und das transparente, zerbrechliche Glas, sind aus der heutigen Architektur nicht mehr wegzudenken.
Das ist einer der Gründe, warum Michel Wurth, im Vorstand von Arcelor-Mittal unter anderem zuständig für Forschung und Entwicklung, an die Universität Luxemburg herantrat und gemeinsam der Lehrstuhl für Stahlbau und Fassadentechnologien ins Leben gerufen wurde.
„Die Anwendung von Stahl, der tatsächlich im Verbund mit Glas wirkt, hat im Gebäudebau erst begonnen“, sagt Christoph Odenbreit. Der Bauingenieur und Professor aus Saarbrücken, der bereits in den Neunzigerjahren an der Technischen Universität Kaiserslautern in der Verbundbauforschung tätig war, leitet den Lehrstuhl für Stahlbau und Fassadentechnologien auf dem Kirchberger Campus. Gemeinsam mit Partnern möchte er untersuchen, „wie Glas und Stahl miteinander verbunden werden können, so dass sie nachhaltig und wie ein Bauteil einsetzbar sind“. Die Frage beschäftigt Bauingenieure in der ganzen Welt. Glas ist spröde und bricht ohne Vorwarnung. Wer Gebäude mit großen Fensterfassaden bauen will, muss garantieren können, dass das zerbrechliche Material optimal und sicher genutzt wird.
Hier wollen Odenbreit und sein Team ansetzen, dafür werden zunächst die Grundlagen studiert. Im Labor – Werkstatt trifft es besser – liegt ein so genanntes Einscheibensicherheitsglas unter einem Prüfzylinder. Ein junger Techniker befestigt eine Sonde an der Oberfläche. „Damit können wir aufzeichnen, wie viel Belastung die Scheibe maximal aushält und wann sie zerbricht“, erklärt Odenbreit. Belastbarkeits- und Elastizitätstests sind das A und O der Materialforschung. Ein Mitarbeiter mit Schutzbrille gibt ein Zeichen: Der Stahlkopf nähert sich und drückt allmählich auf das Glas, bis mit bloßem Auge zu erkennen ist, wie es sich zu wölben beginnt. Dann ein Knall und das Glas zersplittert in viele, harmlose centgroße Einzelstücke. „Umgerechnet 1 000 Kilogramm“, sagt der Techniker nach dem Test zufrieden, die Messung deckt sich mit den vorherigen Ergebnissen.
Zwei Räume weiter wird nicht vorgespanntes Glas getestet. Ein kleiner Stahlstift drückt auf das zehnmal zehn Zentimeter große, etwa zwei Millimeter dicke gläserne Viereck. Ein Mitarbeiter hat das getestete Glas in Fünferreihen gruppiert: Bei jedem klafft in der Mitte ein Loch, dort wo der Stift angesetzt hat, aber die Bruchstellen fallen unterschiedlich aus: „Gleichbleibende Qualität zu garantieren, ist schwierig, denn in der Glasherstellung treten mitunter kleinere kaum sichtbare Risse auf“, so Odenbreit.
Er wechselt zur letzten Versuchsanordnung. Ein vorgekerbter, etwa acht Zentimeter langer Stahlstift einer Kerbschlagprobe wird in eine Maschine gelegt, ein Pendel schlägt mit Schwung dagegen: Wie groß die Restenergie des Pendels ist, nachdem es auf die Probe trifft, sagt etwas über die Verformbarkeit, die Duktilität des Stahls aus. Je biegsamer sich ein Stahl verformen lässt ohne zu reißen, umso besser. Die Duktilität hängt ab von der Qualität des verwendeten Stahls, aber auch von der Hitze bei der Herstellung. „Dieser Stahl ist von bester Qualität, sehen Sie“, sagt Odenbreit zufrieden und zeigt den Stift nach dem Test: Er ist kaugummiähnlich verbogen, aber nicht gerissen.
Bald schon soll mit der eigentlichen Verbundforschung begonnen werden: Wie sind Glas und Stahl optimal und sicher zusammenzubringen, damit die Konstruktion auch höheren Lasten standhält? Bisher war das Kleben mit Silikon vorherrschend, allerdings ist die Belastbarkeit begrenzt. Der Wettlauf nach neuen, effizienteren Verfahren hat schon länger begonnen. An der Universität Duisburg-Essen etwa forschen Ingenieure seit Ende 2008 an neuen Hybridträgern. Das Forschungsprojekt war auf drei Jahre begrenzt und wurde von Glas- und Klebstofffirmen unterstützt. In Luxemburg sollen die Forschungen zunächst fünf Jahre laufen, das Glas stellt die Glasfirma Vitrum Luxemburg zur Verfügung, die Initialsummer von 750 000 Euro stellt die Arcelor-Mittal-Stiftung bereit: „Wir erwarten mittelfristig, dass die Anwendungen der Stahlbauweise sich vervielfachen“, sagt Michel Wurth im Gespräch mit dem Land über den Nutzen für den Stahlkonzern. Doktoranden und Studenten sollen über den Lehrstuhl den Werkstoff Stahl besser kennen lernen – und hoffentlich auch später darauf zurückkommen.
Odenbreit selbst will einen Schwerpunkt auf neue Verbindungstechniken zwischen Glas und Stahl setzen und hofft auf Zusammenarbeit mit anderen Universitäten. Im Fraunhofer Institut in Würzburg etwa tüfteln Ingenieure über Laserstrahlverfahren und andere Techniken, um Glas und Stahl sicher zu verbinden. Bis diese im Gebäudebau einsetzbar sind, wird allerdings noch Zeit vergehen. „Die entwickelten Verfahren werden jeweils auch von anderen Instituten getestet und müssen dann zertifiziert und zugelassen werden. Man spricht bei derlei Entwicklungen von Zeithorizonten um 15 bis 30 Jahre“, weiß Christoph Odenbreit.
Lohnend sind Investitionen in die Materialforschung dennoch: Im Zeitalter steigenden Umweltbewusstseins und immer strengerer Umweltauflagen spricht für Glas und Stahl vor allem ihre Nachhaltigkeit: „Stahl und Glas können abmontiert werden und sind recycelbar“, betont Odenbreit, der in der Verbundbauweise viel Potenzial für energiesparende Bauten sieht. Zumal, wenn sich Modularsysteme durchsetzen sollten: Glasmodule mit integrierter Kühlungstechnik könnten im Falle eines Abrisses entnommen und anderswo wieder verwendet werden. „Allerdings steckt diese Technologie noch in den Kinderschuhen“, dämpft Odenbreit allzu große Erwartungen.
Heute gängig sind Lüftungs- und Klimasysteme, bei denen Sonnenlichteinstrahlung und Luftströmungen intelligent genutzt werden, so dass kaum noch Energie zum Heizen oder Kühlen benötigt wird. Der Temperaturaustausch wird über Lüftungskanäle zwischen einer ersten „Fenster-Haut“ und einer zweiten reguliert. „Derzeit macht der Energiekonsum des Gebäudesektors etwa 50, 60 Prozent des Gesamt-Primärenergieverbrauchs aus“, sagt Odenbreit. Als Mitarbeiter des renommierten Ingenieurbüros Ove Arup [&] Partners hat der Ingenieur gemeinsam mit Kollegen an nachhaltigen Klimanagementkonzepten mitgewirkt, wie zum Beispiel für das GSW-Hochhaus in Berlin.
Auch in Luxemburg ist nachhaltiges Bauen immer mehr im Kommen. Die Neufassung der EU-Richtlinie zur Energieeffizienz von Gebäuden, die im vergangenen Jahr vom Europaparlament beschlossen wurde, wird weitere Anreize schaffen. Allerdings berücksichtigt die Richtlinie nicht die „graue Energie“, die beim Bauen und Abreißen von Gebäuden und bei der Herstellung der jeweiligen Baustoffe anfällt. Bei der Herstellung eines Aluminium-Fensterrahmens beispielsweise wird bis zu siebenmal mehr Energie verbraucht als für einen Fensterrahmen aus Holz. In einer vollständigen Energiebilanz wäre das zu berücksichtigen. Aber das ist eine andere Geschichte.